Walk by FAITH. Felicitas Brandt

Walk by FAITH - Felicitas Brandt


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normal. „Ja, da hast du auch wieder recht. Oder wir heben ihr was auf. Würde sie das versöhnlich stimmen?“

      Die Unsicherheit kroch in Begleitung von ihrer Freundin Unbehagen meine Wirbelsäule hinauf, als ich die Schultern hob. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was sie davon mag. Nudeln sind bestimmt tabu, vielleicht einfach nur Gemüse? Aber die Zubereitung … Ich weiß nicht, Tori. Dafür kenne ich sie nicht gut genug.“

      „Aber sie ist schon deine echte Tante, oder?“ Tori legte den Kopf schief. „Und du wohnst bei ihr. Du machst aus mir nicht gerade einen Hausbesetzer, oder?“

      „Ich hatte einen Wohnungsschlüssel“, erinnerte ich sie trocken, doch sie verdrehte nur die Augen. „Also, das heißt ja mal absolut gar nichts.“ Ihre Finger streiften über meine unbenutzten Regale. „Du bist seltsam, Val.“

      Ich umarmte das Sofakissen auf meinem Schoß noch ein bisschen fester und stützte das Kinn darauf. „Ich weiß.“

      „Wenn ich so ein unendlich schönes Zimmer mit so einem genialen Feuertreppenbalkon hätte, ich würde es einrichten und nicht aus meinem Koffer leben.“ Sie drehte sich zu mir herum und fragte mit plötzlichem Ernst in der Stimme. „Vor was läufst du davon?“

      „Vor mir selbst vielleicht“, erwiderte ich zögernd. „Und vor der Vergangenheit.“

      „Dass das nicht geht, wissen wir seit Disney. Oder durftest du als Kind etwa nicht König der Löwen schauen?“

      „Ich hatte sogar die Special Edition mit Stofftier.“

      „Du Snob.“ Ihr Lächeln war echt, aber der Ernst verschwand nicht ganz aus ihrem Gesicht, als sie mir die Faust entgegenstreckte. „Versprich mir eins, okay?“

      „Und was?“

      „Lüg mich nicht an. Ich lass dir deine Geheimnisse, aber anlügen darfst du mich niemals.“

      Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle hinunter und stieß meine Faust gegen ihre. „Versprochen.“

      „Okay.“ Sie packte meine Hand und zerrte mich auf die Füße. „Na komm. Gehen wir auf Futtersuche.“

      Gemeinsam eilten wir die Treppe hinunter und mein Magen regte sich in freudiger Erwartung auf einen dampfenden Teller irgendwas. Doch als ich die Gestalt auf der Couch im Wohnzimmer entdeckte, war das Gefühl ganz schnell vergessen. „Tante Fiona? “ Ich hielt so plötzlich inne, dass Tori, die sich bei mir eingehakt hatte, beinahe gestürzt wäre. Tante Fiona drehte den Kopf in unsere Richtung und lächelte schwach. Sie trug einen viel zu großen Pullover, der um ihre Schultern schlotterte, und ihr Gesicht war leichenblass, sodass die geröteten Augen stark hervorstachen. Mein Herz machte einen Satz. „Was ist passiert? Sind meine Eltern …?“

      Tante Fiona hob schnell die Hände. „Deiner Familie geht es gut, Valerie. Alles okay.“

      „Oh.“ Fast hätten meine Beine vor lauter Erleichterung unter mir nachgegeben. Im selben Moment schämte ich mich dafür, denn selbst, wenn es meiner Familie gut ging, bei einer anderen war das vielleicht nicht so. In Tante Fionas Beruf war das schließlich nichts Außergewöhnliches. Ich ließ Tori los und ging ins Wohnzimmer. Nur ein paar Schritte, als wäre da eine unsichtbare Linie, von der es kein Zurück gab. „Was ist dann los? Ist jemand im Krankenhaus …“ Die Worte hingen schwer und ungesagt in der Luft, aber Tante Fiona schüttelte den Kopf. „Es ist niemand gestorben, Valerie. Hör auf, so ein Gesicht zu ziehen. Ich hatte einfach nur eine sehr lange und sehr anstrengende OP. Aber es geht allen gut. Gott sei Dank.“

      Ich kannte sie vielleicht nicht sehr gut, aber gut genug, um zu wissen, dass dieser Satz viel mehr als nur eine Floskel war. Und für einen Moment beneidete ich sie um ihre Sicherheit, die ihr Glaube ihr gab. Die Sicherheit und das Gefühl, Teil eines größeren Plans zu sein. Und dann wurde mir klar, dass ich sie schon seit einer ganzen Weile darum beneidete. Tante Fiona sah an mir vorbei zu Tori und hob grüßend die Hand. „Hallo, ich bin Valeries Tante, Fiona.“

      „Ich bin Victoria, aber sagen Sie bitte einfach Tori.“

      „Freut mich, Tori. Ich mag deine Haare.“

      Ruckartig hob ich den Blick von meinen Schuhen, um Tante Fiona anzustarren. Hätte sie plötzlich Chinesisch gesprochen, wäre ich wohl nicht weniger verwirrt gewesen. „Schau mich nicht so an, Valerie.“ Sie verdrehte die Augen. „Als wenn ich so ein spießiges Monstrum wäre. Geht ihr Mädchen noch weg?“

      „Wir … ich –“, begann ich, aber Tori unterbrach mein Gestotter.

      „Ich denke, ich werde jetzt gehen und euch beide mal alleine lassen.“ Sie schwebte zu mir, zog mich in eine einarmige Umarmung und hauchte: „Das ist deine Chance, sie kennenzulernen!“, ehe sie mir einen Kuss auf die Wange drückte und Tante Fiona zuwinkte. „Bis zum nächsten Mal.“

      Mit einem tiefen Seufzer ließ Tante Fiona den Kopf auf die Kissen sinken. Zögernd ging ich zu ihr hinüber. „Bist du sicher, dass es dir gut geht? Kann ich dir vielleicht was bringen?“

      Tante Fiona öffnete erneut müde ihre Augen und sah mich an. „Es war ein Autounfall. Eine Familie. Der Vater hat die Kontrolle verloren, keine Ahnung, wieso. Sie haben einen Baum gerammt. Die Eltern und zwei Kinder, noch klein. Sie waren alle angeschnallt, sonst wären sie wohl sofort tot gewesen.“ Sie rieb sich über die Augen. „Ich erspare dir die blutigen Details, aber es war schlimm. Wirklich schlimm. Wir hatten nicht viel Hoffnung, doch sie haben überlebt, alle vier.“ Bei den letzten Worten brach ihre Stimme.

      Ich spürte, wie sich in meinem Herzen etwas zusammenzog. Mit wackeligen Knien setzte ich mich neben Tante Fiona und nahm sie vorsichtig in den Arm. Meine Tante versteifte sich für einen schrecklichen Moment, aber dann lehnte sie sich an mich. Ich tätschelte behutsam ihre Schulter und suchte nach den richtigen Worten. Aber mein Kopf war wie leer gefegt. Bis auf … „Wessen Pulli ist das?“

      Tante Fiona hob den Kopf und ich hätte meinen am liebsten gegen die Wand gedonnert. Wessen Pulli ist das? Toll, Valerie, ganz toll, sehr tröstlich und einfühlsam.

      „Er heißt Nick.“

      „Der Pulli?“, fragte ich verdutzt.

      Tante Fiona sah mich merkwürdig an. „Der Mann, dem der Pulli gehört.“

      „Ah.“ Ich nickte. „Und was trägt der jetzt so lange? Hoffentlich nicht deine Bluse. Sind Trikot-Tauschs nicht so eine Fußballsache?“

      Vielleicht bildete ich es mir ein, aber ich glaubte, ihre Mundwinkel zucken zu sehen. „Redest du eigentlich immer so viel Unsinn?“

      „Meistens ja. Ist dir das an Weihnachten nie aufgefallen?“

      „Da war ich immer zu sehr damit beschäftigt, mein Leben vor deinen Großeltern zu rechtfertigen.“ Sie schnipste mir gegen den Arm. „Gegen einen perfekten Bruder und eine großartige Nichte anzukommen, ist gar nicht so leicht.“

      „Und warum wurde mir dann immer gesagt, ich solle mich mehr an dem Kleidungsstil meiner Tante orientieren?“

      Tante Fiona grinste und plötzlich sah sie meinem Vater unglaublich ähnlich. Mein Herz zog sich so schmerzhaft zusammen, dass ich für einen Moment keine Luft mehr bekam.

      „Wie wäre es, wenn du etwas Eiscreme aus der Truhe holst und dir mit mir einen Film ansiehst?“, fragte sie. „Das Eis ist selbst gemacht und wird dir schmecken.“

      „Ich …“ Mühsam kämpfte ich gegen die Welle aus Heimweh und Verlorensein an. „Was für ein Film schwebt dir da vor?“

      Tante Fiona stand auf. Der Pullover reichte ihr weit über die Oberschenkel. Nick musste ein ganz schöner Riese sein. Oder breit wie Obelix. Barfuß lief sie zu dem Schrank mit den Milchglassscheiben und drückte die Türen auf. „Ich habe den Geschirrschrank etwas zweckentfremdet.“

      Meine Kinnlade sackte nach unten. Der mannshohe Schrank war komplett vollgestellt mit DVDs. Und den Titeln nach zu urteilen war meine werte Tante,


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