Christsein und die Corona-Krise. George Augustin

Christsein und die Corona-Krise - George Augustin


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mehr ausrichten können. Dann dürfen wir darauf bauen, dass Gott selbst an uns hand-elt. Im Glauben dürfen wir wissen, dass wir auf jeden Fall in der Hand Gottes sind – in unserem Leben und in unserem Sterben. Wäre es nicht an der Zeit, uns neu auf die christliche Botschaft vom ewigen Leben zu besinnen, das Christus uns verheißen hat und schenken wird und das das Ziel des christlichen Lebens ist? Und ruft uns die Corona-Krise, die uns täglich massenhaftes Sterben vor Augen geführt hat, nicht neu in Erinnerung, dass ein Christ, der am Grab eines Menschen nichts zu sagen hat, wahrscheinlich überhaupt nichts Hilfreiches zu sagen hat?

      4. Helle Seite des Karsamstags

      Dies sind einige Fragen, die sich am verlängerten Karsamstag stellen, den die Corona-Krise in diesem Jahr darstellt. Den Karsamstag erfahren wir gegenwärtig intensiv mit seiner dunklen Seite. Wenn wir uns der Corona-Krise wirklich aussetzen und danach fragen, welche Konsequenzen es zu ziehen gilt, zeigt der Karsamstag aber auch seine helle Seite. Der christliche Glaube bringt sie zum Leuchten im Apostolischen Credo, in dem wir bekennen, dass Jesus gestorben ist und begraben wurde und in das Reich des Todes hinabgestiegen ist. Um der Sprengkraft dieses Glaubensgeheimnisses ansichtig zu werden, müssen wir uns der Frage stellen, was sich in diesem Totenreich ereignet hat. Unsere menschliche Erfahrung sagt uns, dass das Reich des Todes der Ort der völligen Verlassenheit und der totalen Einsamkeit ist, weil in ihm jede menschliche Beziehung gestorben und deshalb selbst die Liebe tot ist. Der christliche Karsamstag aber spricht uns zu, dass Jesus in seinem Tod in dieses Reich des Todes gegangen ist, um die Gegenwart Gottes und seine Liebe in dieses Reich zu bringen. Dieses Geschehen hat auch das Reich des Todes in einen neuen Ort des Lebens verwandelt, weil das Undenkbare und Unerwartbare geschehen ist, dass Gott selbst in das Reich des Todes vorgedrungen ist und den Wärmestrom seiner Liebe hat hineinfließen lassen.

      Die coronare Osterzeit in diesem Jahr lädt uns ein, den Karsamstag mit seiner dunklen und hellen Seite neu zu erfahren. Denn der Evangelist Johannes weiß zu berichten, dass in jenen Raum, in dem die Jünger aus Furcht die Türen verschlossen hatten, der auferstandene Christus eingetreten ist und ihnen den österlichen Frieden gebracht hat. Nachdem er ihnen seine Hände und seine Seite gezeigt hat, heißt es: »Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen« (Joh 21,20). Der Karsamstag leitet deshalb von selbst zu Ostern und seiner Botschaft hinüber, dass das letzte Wort nicht dem Tod gehört. Er hat nur das zweitletzte Wort. Das letzte Wort behält sich Gott vor, und es heißt Leben: Leben auf dieser Erde unterwegs zum ewigen Leben.

      Mit dieser Aussicht können wir Christen auch die Corona-Krise bestehen. Ostern ermöglicht, mit Papst Franziskus gesprochen, die christliche »Ansteckung«, nämlich die Ansteckung der Hoffnung, die von Herz zu Herz geht. Diese österliche Hoffnung nimmt der Corona-Krise nichts von ihrer schmerzlichen Schwere. Aber sie hilft, dass die Krise auch Anlass zu Besinnung, Gewissenserforschung und Glaubensvertiefung werden kann – vorausgesetzt, dass wir nicht einfach zur Normalität vor der Krise zurückkehren wollen, sondern zu einer in der Krise bewährten, im Glauben verwandelten und im Ostergeschehen gereinigten Normalität des menschlichen Lebens und des christlichen Glaubens.

      Bruno Forte

      Der Glaube an den Gott Jesu Christi und die Pandemie

      1. Die Herausforderung

      Die Welt vor dem Corona-Virus war zunehmend von der Erfahrung der »Globalisierung« geprägt, die in vergleichsweise kurzer Zeit und rasch zugunsten der großen Akteure wirtschaftlicher und politischer Macht vor sich ging, hauptsächlich auf der Grundlage der Ausbeutung der als »abhängig« geltenden Völker und auf Kosten der als »Abfall« angesehenen Gebiete. Der Prozess hatte sich im Sinne einer »Globalisierung der Gleichgültigkeit« entwickelt, getragen von Selbstsucht und Gier starker Mächte und der Aufrechterhaltung von Abhängigkeitssystemen zu ihren Gunsten. Manche sahen in der außerordentlichen Entwicklung der Industrieländer nachgerade ein Anzeichen dafür, dass die Geschichte sich endlich ihrer Vollendung näherte; Francis Fukuyama etwa, amerikanischer Politologe mit japanischen Wurzeln, hatte sogar erklärt: »Wenn wir heute an einem Punkt angelangt sind, wo wir uns keine Welt vorstellen können, die sich wesentlich von der unseren unterscheidet, wo anscheinend keine grundsätzliche Verbesserung gegenüber unserer derzeitigen Ordnung mehr denkbar ist, dann müssen wir auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Geschichte an ihrem Ende angelangt ist.«25

      Dieser Lesart zufolge ist das Ende der Geschichte nicht das Ende von Ereignissen – schon gar nicht großer und bedeutender –, sondern das Ende der Geschichte als eines einzigen und fortlaufenden Evolutionsprozesses, der die Erfahrungen aller Völker zu allen Zeiten umfasst: Den Höhepunkt dieses Prozesses bildet – nach Ansicht Fukuyamas – die »liberale Demokratie« nach amerikanischem Vorbild, die das Ziel der ideologischen Evolution der Menschheit und die endgültige Regierungsform unter den Menschen sei und sich mithin als das »Ende der Geschichte« darstelle. Von dieser – durch die globalen Informationskanäle popularisierten – Sicht gelangt man nur allzu schnell zu dem Anspruch, das erzielte Resultat verteidigen zu müssen, auch um den Preis völliger Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnisse und Rechten anderer: Das »Wir zuerst«, das etwa in Donald Trumps Slogan America first zum Leitsatz erhoben wurde und Prozesse des Zerreißens und der Abschottung gegenüber anderen wie den »Brexit« inspirierte, bringt eine Wertehierarchie zum Ausdruck, in der das Prinzip der grundlegenden Gleichheit der Menschen und das Recht aller auf Zugang zu den grundlegenden Gütern der Natur de facto ausgesetzt ist, während die Verantwortung für den Schutz der Umwelt der Durchsetzung der Interessen des Stärkeren untergeordnet wird.

      Auch wenn das »Phänomen Greta Thunberg« in dieser Hinsicht ein erstaunliches Alarmsignal gesendet hat, das vor allem von der jungen Generation aufgegriffen wird, scheint die herrschende Logik auf der politischen und ökonomischen Weltbühne davon unbeeindruckt. Die Vorherrschaft einer egoistischen und anmaßenden Sicht hat sich insbesondere in den sogenannten fortschrittlichen Gesellschaften auf breiter Basis in einem immer ex­tre­meren Konsumismus niedergeschlagen und drückt sich in hedonistischen Lebensstilen aus. Die Vorstellung, im Namen einer gerechteren Chancen- und Güterverteilung, die allen zugutekommt, Opfer auf sich zu nehmen, gilt hier als anachronistisch und irrelevant. Das stolze Gefühl, Herren der Welt zu sein und sich für das Schicksal des Großteils der Menschheit nicht einmal mehr interessieren zu müssen, scheint zum entscheidenden Faktor des Fortschritts, zur tragenden Kraft der amerikanischen und westlichen »Überflussgesellschaft« (John Kenneth Galbraith: affluent society), zur Binde vor den Augen derer geworden zu sein, die mehr Glück gehabt haben und blind sind für das Leid und Elend unzähliger anderer. Doch manche haben mit Weitblick ­vorausgesehen, dass eine derartige Lebens- und Verhaltensweise nicht lange würde gutgehen können, und sogar prophezeit, dass kein Atomkrieg und kein plötzlicher globaler Finanzcrash, sondern womöglich ein winziges Virus das Ende der Welt einläuten würde – zumindest jener Welt, die auf der Gewalt und den Interessen des Stärkeren aufgebaut ist …

      2. Die Frage

      Die hypothetische Bedrohung ist plötzlich Realität geworden: Auch wenn der Westen zu Beginn der Tragödie von Wuhan – der chinesischen Stadt, wo sich die ersten dramatischen Auswirkungen von Covid-19 zeigten – noch mit einer gewissen Sorglosigkeit auf das »chinesische Übel« blickte und dachte, um sich davor zu schützen, genüge es, die Verbindungen zum asiatischen Riesen zu kappen, vergingen nur wenige Wochen, bis deutlich wurde, dass der tückische Feind bereits mitten unter uns war. Die Bagatellisierungsversuche einiger Machthaber auf dem Planeten Erde waren bald vom Tisch: Die Pandemie war inzwischen überall auf dem Vormarsch, und die Immunitätsbehauptung hielt der tragischen Evidenz der Zahlen derer, die durch das Corona-Virus erkrankten, und mehr noch derer, die in der Folge starben, nicht stand. Besonders erschreckend war die Zahl der Betroffenen unter den alten Menschen: Gewiss waren sie dem Angriff des Virus aufgrund ihrer Anfälligkeit stärker ausgesetzt, doch in mehreren Ländern führte ein Zusammenspiel aus schwerwiegenden Versäumnissen und ungerechtfertigten Verzögerungen der zu ihrem Schutz zu treffenden Maßnahmen Situationen herbei, die für viele von ihnen tödlich endeten. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis sich die Pandemie als eine Bedrohung für alle Altersgruppen herausstellte: Die Todesfälle unter den


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