Mütter der Neuen Zeit. Группа авторов

Mütter der Neuen Zeit - Группа авторов


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die sich Themen wie Bindung, Nachahmung, das erste Jahrsiebt, freies Spiel, aber auch politischen Themen wie Elterngeld, Patriarchatskritik, Generationenvertrag oder Care-Revolution widmen. Sie erklären, wie die Verantwortung für eine verbindlich gelebte Mutterschaft, die der Reifung und Entfaltung eines eigenständigen Wesens dient, ökonomisch und politisch ausgehöhlt, ja beinahe unmöglich gemacht wird.

      Mütter sind wie ein Zuhause – eine wärmende, nährende und lebendige Hülle, gleichsam einer Fortsetzung der Gebärmutter. Und sie arbeiten mit ihrem Vorbild an der Quelle zukünftigen Lebens. Dabei müssen sie nicht alleinige Bezugsperson bleiben. Was das bedeutet, erzählen die Mütter in diesem Buch. Mutig, eigenwillig und ihrer Intuition folgend, riskieren sie es, Standardfloskeln zu hinterfragen und in Beziehung mit ihrem Kind dessen Lebensumfeld selbst zu gestalten. Denn das ist das Neue in dieser Zeit, die Suche nach der eigenen Wahrheit, die weder Ratgeber noch Mainstream beantworten. Es braucht das Hinwachsen zu einer inneren Freiheit, die neben den eigenen Werten auch die Möglichkeit zur Selbstermächtigung bewusst macht. So lassen uns die Mütter auch teilhaben an ihrer Wut, Verunsicherung und an ihren Zweifeln, an ihren Gefühlen, bevormundet zu werden, zu versagen oder einfach nur überfordert zu sein. Letztendlich sind es immer die Kinder, in deren Trauer oder Strahlen die Antwort liegt. Sie schenken uns das unermessliche Glück, in der Gegenwart ankommen zu dürfen. Das Werdende in der Beziehung zwischen Mutter und Kind, wenn wir es denn zulassen, möchte sich dem Leben offenbaren.

      Möge dieses Buch jungen Müttern Mut machen, die gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu hinterfragen und die Ernsthaftigkeit ihrer Aufgabe anzuerkennen. Manche Mütter sprechen sogar von einer heiligen Aufgabe: Denn wir lernen darin, nicht wegzuschauen, sondern hinzuschauen. Wir lernen, die Einweihungen des Lebens mit uns selbst zu beantworten. In dieser Selbstheit ist selbstbestimmte Mutterschaft selbstlos. Möge jede Mutter dieses Paradoxon erfahren dürfen.

       Sabine Mänken, im April 2020

      Dr. Sara Tröster Klemm

      Die Kunst der Mütterlichkeit

      Sara liebt ihren Beruf als Kunsthistorikerin. Und sie liebt ihre Kinder. Eigentlich hätte sie allen Grund gehabt, für Fremdbetreuung dankbar zu sein. Doch schon ihre Mutter hatte sie gelehrt, »out of the box« zu denken. Für sie ist es das Leben selbst, das sie einlädt, ihren Kindern Zeit zu schenken und mit ihnen im Hier und Jetzt anzukommen.

      Auf dem weinroten Teppich, den unsere Vormieter hinterließen, klebt ein gräulicher Kaugummi, für immer untrennbar verschmolzen mit dem Teppichgewebe. Er ist schon immer dagewesen, keiner war‘s. Der Samstagnachmittag ist noch lang, und ich habe es mir bäuchlings auf dem Boden liegend gemütlich gemacht. Die Ideen sprudeln.

      Es ist 1989. Wir leben in Basel in einer einfachen Dreizimmerwohnung am Stadtrand. Mit meinem silbernen Füller kritzle ich die Geschichte über ein fast unbekanntes Bergdorf tief in den Schweizer Alpen auf ein weißes Stück Papier. Meine Mutter möchte unbedingt wissen, wie sie ausgeht und ermutigt mich, weiterzuschreiben. Wie am Fließband erfinde ich zur Zeit die wildesten Erzählungen. Märchen und Selbsterlebtes fließen nahtlos ineinander, mein kleiner Bruder hängt mir an den Lippen. Meine Mutter nimmt viele meiner Live-Erzählungen auf Tonband auf. Diese aber schreibe ich auf. In der Küche klappern die Töpfe, der Duft von frisch gebackenem Brot steigt mir in die Nase, die Meerschweinchen quieken aus ihrem Stall heraus, mein Bruder spielt mit seinen Legosteinen und auf dem Schreibtisch meiner Mutter stapeln sich Seminararbeiten, Schulbücher und Kunstbildbände. Sie ist Lehrerin.

      Als ich fertig bin, entziffert sie gespannt meine fantastisch-lakonische Story, schmunzelnd, gerührt, mütterlich stolz. Sie lacht! Die Geschichte handelt von »unserem« Dorf, und es ist eine so komische Geschichte, dass sie es sogar ins Schweizer Radio schafft. Denn meine stolze Mutter schickt den Text zu einem Schreibwettbewerb für Kinder und Jugendliche. Sie ermutigte mich auch später immer, meine Ideen durchzudenken, aufzuschreiben, mich auszuprobieren und »out of the box« zu denken.

      Der Impuls, zu promovieren entstand bei mir kurz nach der Geburt meines ersten Kindes. Ich fühlte eine ungeheure Energie und Euphorie in mir, obwohl es eine schwere Geburt und meine Tochter ein wirklich anspruchsvolles Baby war. Neugeboren lehrte sie mich, dass sie möglichst rund um die Uhr getragen und viel mehr gestillt werden möchte, als ich es mir zuvor vorgestellt und auch sagen lassen habe. Der Stubenwagen stand bei uns schnell nur noch als hübsche Innendekoration im Wohnzimmer und verschwand alsbald im Keller. Mit Selmas Geburt wurde aber nicht nur ein neues Kind geboren, sondern auch ich fühlte mich als ganz anderer Mensch. So viel Liebe, so viel Energie, so viele und starke, intensive Emotionen. Auch ich war wie neugeboren im wahrsten Sinne des Wortes. Ich war ein anderer Mensch. Und jedes neugeborene Kind wurde zur Liebe meines Lebens. Nur fünfzehn Monate später kam mein erster Sohn zur Welt. Zwei Jahre darauf hatte ich ein großzügiges Promotionsstipendium und eine Vereinbarung mit dem Wissenschaftsverlag meiner Träume in der Tasche.

      Natürlich wollte ich meine Doktorarbeit auch bewältigen und mir damit eine berufliche Zukunft als Autorin und Kunstwissenschaftlerin aufbauen. Mich interessierte das Thema ausgesprochen. Ich war ehrgeizig, vor allem wollte ich aber nicht im Kleinklein von Brotjobs versumpfen, sondern meinem Leben eine klare Richtung geben: Das Schreiben und Sprechen über Malerei und die Bildbetrachtung machten mich glücklich, warum also nicht daraus einen tragfähigen Beruf für mich kreieren?

      Die beiden kleinen Kinder aber hielten natürlich nicht immer gleichzeitig und gleich lang ihre Siesta. Ihre nicht immer reibungslos planbaren Schlafenszeiten genügten mir nicht: Ich brauchte ein bisschen mehr Zeit für die konzentrierte Schreibarbeit. Meine zwei ersten Kinder gingen deshalb mit 2¼ Jahren beziehungsweise schon mit 13 Monaten zu ihrer Tagesmutter Bettina, damit ich an der TU Dresden meine Doktorarbeit über zeitgenössische Malerei verfassen konnte. Ich sah es schon damals nicht ein, weshalb meine ältere Tochter woanders fremdbetreut werden sollte, wenn ich mit dem zweiten Baby ohnehin zu Hause wäre. Deshalb ging sie für heutige Verhältnisse erst so spät in eine Tagesbetreuung.

      Von unseren Familien erhielten wir leider so gut wie keine Unterstützung. Die Großeltern wohnten in einer anderen Stadt, und die Schwiegermutter erklärte mir rundheraus, sie hätte mit ihren fünf Kindern schon genug geleistet, nun lägen ihre Interessen woanders (in der Arbeit und der Erholung). Da es auch finanziell sehr schwierig war, entschied ich mich schließlich für die Tagesmutter. Es musste sich einfach etwas ändern, denn ich hatte es satt, immer am Rande des Existenzminimums zu vegetieren. Das Gehalt meines damaligen Mannes als Theaterschauspieler reichte trotz Festanstellung, großformatigen Plakaten und üppigem Applaus leider gerade so für die Basics – zum Glück bezahlte meine Mutter uns die wöchentliche Kiste mit Biogemüse vom Bauern, aber das nur am Rande. Es war eine rein rationale und auch aus der Not getroffene Entscheidung, die beiden kleinen Kinder in fremde Hände zu geben. Mein Mann konnte sich nicht dazu durchringen, seine Arbeitszeiten zugunsten der Kinder und mir einzuschränken. Innerlich waren weder ich noch Selma und Timon soweit, einen wesentlichen Teil des Tages getrennt zu verbringen, nicht mehr morgens miteinander auf den Spielplatz zu gehen, durch den Auwald zu abenteuern, nicht mehr gemeinsam »Zmittag« zu kochen und zu essen und auf die ruhige Geborgenheit der Siesta zu Hause zu verzichten. Für mich war es eine seltsame Vorstellung, die Kinder woanders schlafen zu lassen.

      Sicher hat das auch viel mit meiner Schweizer Sozialisierung zu tun, wo es die längste Zeit einfach nicht üblich war, Kleinkinder überhaupt fremdbetreuen zu lassen und der Kindergarten auch heute nur drei bis vier Stunden am Vormittag dauert. Doch ganz unabhängig davon musste ich zusehen, wie meine Kinder bei fast jedem Abschied heulten. Zwar erklärte uns die liebevolle Tagesmutter geduldig, dass dies ganz normal sei und sie sich beruhigen würden, für mich aber fühlte es sich falsch an. Eigentlich hätte ich die beiden quirligen Zwerge lieber immer um mich gehabt oder aber sie in den Händen von Familienmitgliedern gewusst.

      Mir fehlten meine Großmütter, meine Tanten und Schwestern, meine Freundinnen. Für meinen Mann war ich (von Berlin) nach Leipzig gezogen, wo ich niemanden kannte. Im Grunde genommen fühlte ich mich einsam und auch teils überfordert von den andauernden existenziellen Bedürfnissen der Kinder. Mit der bisherigen Gleichberechtigung war


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