Mütter der Neuen Zeit. Группа авторов
Prozess der Abnabelung, je nach Tempo des Kindes, liebevoll begleitet, begann. Bis dahin dauerte es aber bei jedem Kind individuell unterschiedlich lange.
Mein zweitgeborener Sohn Nico benötigte mich ganze zweieinhalb Jahre komplett und vollkommen ohne Pause. Er nährte sich mit meinen Lebenskräften, so dass er nach dieser intensiven Zeit selbstbewusst und klar kommunizierte, dass er jetzt bereit sei für den Kindergarten. »Mama, ich kann jetzt in den Kindergarten gehen, ohne dass du dabei bist«, sagte er damals völlig unbeirrt zu mir. Bis dahin musste er sich aber noch ein halbes Jahr gedulden. In diesen sechs Monaten verbrachten wir eine schöne Vorkindergartenzeit, die wir beide, gelöst voneinander, nochmal ganz anders als die Zeit zuvor erleben konnten. Für mich war es schön mit anzusehen, wie selbstbewusst und mutig er in der Krabbelgruppe auftaute oder sich auf dem Spielplatz, ohne zurückzuschauen, von mir entfernen konnte. Der Kindergarteneintritt war ein Leichtes für ihn. Schon beim Hinlaufen am Morgen war klar, dass ich mich an der Garderobe von ihm verabschieden sollte und ihn dann später mit seinem Bruder zusammen abholen durfte. Er konnte sich mit seinen drei Jahren schon sehr gut und gewählt ausdrücken. Seine Bedürfnisse und Empfindungen in Worte zu fassen, war damals schon eine faszinierende Begabung von ihm. Auch heute sagt er klar, was er denkt und fühlt, und oft schafft er es auch, die Empfindungen seines Bruders Luca zu formulieren, dem diese Kommunikation häufig sehr schwer fällt.
Luca, der große Bruder und gleichzeitig mein erstgeborener Sohn, war von Geburt an ein eher misstrauischer und ängstlicher Junge. Diese kindliche Leichtigkeit, die man sich für jedes Kind wünscht, besaß er nie. Er betrachtet die Welt bis heute mit all ihren Facetten sehr kritisch und wünscht sich Gerechtigkeit für alles und jeden. Überwältigt von dieser Last, versinkt er im nächsten Moment in einem großen Schmerz, den er offensichtlich in dieses Leben mitbrachte. So brauchte er immer wieder meine besondere Präsenz, um hier anzukommen. Kurz vor seinem dritten Geburtstag startete er in sein erstes Kindergartenjahr. Dieses verbrachte er jedoch mehr zuhause, bei mir und seinem Bruder Nico, als in der Einrichtung. Er war noch nicht sicher genug, um alleine ein paar Stunden von zu Hause weg sein zu können. Und es sollte noch einige Jahre dauern, bis unser Band sich lösen konnte.
Als die Zeit des Schuleintrittes kam, wurden Luca und ich von einem »Erdbeben« durchgerüttelt, das uns beide völlig aus der Bahn warf. Wir verloren uns für kurze Zeit aus den Augen, ich irrte orientierungslos durch ein Labyrinth, währenddessen mein Sohn am Ausgang auf mich wartete, verbunden mit einer Zukunft, für die ich mich erst noch entscheiden musste.
Die Geschichte war folgende: Als das letzte Kindergartenjahr meines ältesten Sohnes Luca begann und gleichzeitig mein jüngster Sohn Nico ein halbes Jahr Kindergarten hinter sich hatte, stieg ich wieder in meinen alten Beruf ein, obwohl ich bereits unsicher war, ob das noch stimmig für mich sein würde. Ich war im Management eines großen Einzelhandelsunternehmens siebzehn Stunden die Woche tätig. Meine Arbeitszeiten waren werktags von 9:00 bis 12:30, so dass unsere Kinder morgens ohne Druck zum Kindergarten gebracht werden und zum Mittagessen wieder zuhause sein konnten. Ich wusste die Jungs in unserem Kindergarten gut behütet und verspürte dort immer das Gefühl der wohligen Wärme, die auch ich zu meiner Kindergartenzeit erleben durfte. Kein Gefühl von Fremdbetreuung, sondern eine innige Beziehung zu meiner damaligen Erzieherin, prägten meine Zeit von drei bis sechs.
Der Arbeitsalltag war hart und durchgetaktet, aber machbar. Mehr jedoch auch nicht. Ich bekam gutes Geld und hatte durch meine langjährige Betriebszugehörigkeit und das vorangegangene Studium ein Wissen aufgebaut, das mir die Arbeit sehr leicht machte. Innerhalb von nur wenigen Wochen war ich nach über fünf Jahren Elternzeit wieder komplett eingearbeitet und hätte mit dem Sog mitschwimmen können, wenn da nicht… Ja, wenn da nicht das erste Aufbegehren meiner Seele gewesen wäre. Ein angeborener Gleitwirbel, der seit jungen Jahren das Sprachrohr meiner inneren Stimme geworden war, sorgte schon nach den ersten Monaten im Büro für gesundheitliche Probleme. Eigentlich wusste ich, welche Frage mein Inneres beschäftigte, wollte aber noch nicht so richtig hören, denn ich hatte keine Lösung. Ich rannte von Wand zu Wand und fand den Ausgang des Labyrinths nicht. »Wer nicht hören will, wird fühlen.« Kein schönes Sprichwort, das mich da einholte, aber offensichtlich war das der einzige Weg, das Innere endlich nach außen tragen zu dürfen.
Die Urlaubsplanung für das kommende Jahr sollte gemacht werden. Beim Gedanken daran, dass mein Sohn Luca in den Schulferien in eine Institution zur Aufbewahrung mit mehr als hundert anderen Kindern gehen sollte, wurde mir speiübel. Meine eigenen Erinnerungen an Ferien waren Ausschlafen, lange im Schlafanzug herumlümmeln, mich langweilen, von Mama versorgt werden, mit Oma »Mühle« spielen und vor allem ohne jeglichen Zeitdruck mich mit anderen Kindern treffen. Immer jemanden zu Hause wissen, ein beseeltes Haus spüren, nie einen Hausschlüssel mitnehmen müssen und viele andere herzliche Dinge, die in meiner Kindheit so wichtig und so selbstverständlich waren, wünschten sich auch meine Kinder. Die Kindheit meiner Generation lebte von beseelten Elternhäusern, hinter jeder Haustür ein Licht. Ein Klingeln, und die Tür öffnete sich. Heimkommen können, immer, zu jeder Zeit… Nach diesem sicheren Hafen sehnte sich vor allem mein großes Kind, und das würde ihm verwehrt bleiben, wenn wir mit dem Sog der Gesellschaft mitschwimmen würden.
Mit unseren Urlaubstagen konnten mein Mann und ich die Ferien nicht abdecken, und abgesehen davon, hätten wir nie als ganze Familie zusammen freie Zeit gehabt. Das Gedankenkarussell ging los und ließ mich Runde um Runde drehen, bis mir schlussendlich so schwindelig wurde, dass ich wochenlang ans Bett gebunden war. Rückengeplagt und von einer Angina heimgesucht, die mir das Sprechen fast unmöglich machte, musste ich mit mir selbst ins Gericht gehen. Momente der völligen Leere waren in den über sieben Wochen meiner Krankheit keine Ausnahme, aber notwendig, um wieder völlig klar sehen zu können. Immer wieder kam das Bild in mir auf, von zu Hause aus arbeiten zu wollen. Unabhängig sein, um selbst entscheiden zu können, wie wir Ferien und freie Zeit verbringen. Nach und nach war ich mir sicher, dass eine Arbeit in den eigenen vier Wänden der richtige Weg war.
Nachdem mein innerer Konflikt sich langsam glättete und die Wellen wieder kleiner wurden, ging der Konflikt mit meinem Mann erst los. Er hatte von meinem inneren Kampf bis dahin sehr wenig mitbekommen und sah mich in den letzten Wochen einfach nur krank und unfähig, etwas zu tun. Ihm saß die Existenzangst im Nacken, und nun lag es an mir, meine neu gewonnene Klarheit mit ihm zu teilen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es waren sachliche und respektvolle Gespräche. Nein, es flogen die Fetzen. Ich spürte seine Zukunftsangst und gleichzeitig auch seine Zerrissenheit gegenüber der Ferienbetreuung. Nach dem lauten Sturm kamen einige Tage Windstille, die er benötigte, um seine Gedanken und Unsicherheiten zu sortieren. Als wir uns beide wieder auf ruhiger See fanden, erzählte ich ihm von meinen konkreten Zukunftsplänen.
Nach dem Abitur wollte ich Sozialpädagogik studieren. Arbeiten im sozialen Feld war und blieb meine innere Berufung, aber das Schicksal ließ mich damals einen großen Umweg nehmen und schleuderte mich geradewegs in die Betriebswirtschaft. Die Elternzeit allerdings brachte mich zurück zu den Wurzeln. Unser erstes Kind war geboren, und ich spürte eine Veränderung. Von Monat zu Monat fühlte sich mein Leben erfüllter an als zuvor. Mutter sein zu dürfen, durch und durch, voll und ganz, war eine innere Fülle, die nichts anderes benötigte. Mein Mann, der in der ehemaligen DDR aufgewachsen war, stand, trotz finanziellen Drucks und Geredes der Gesellschaft, voll und ganz hinter mir. Auch er wünschte sich für unsere Kinder eine behütete und vor allem selbstbetreute Zeit. Man kann das nachvollziehen, wenn man seine Erinnerungen der frühen Fremdbetreuung in sozialistischen Zeiten anschaut. Es sind wenige Bilder, doch alle durchweg nicht schön. Ein Gefühl, das er mir genau benennen kann, ist das völlige Auf-sich-gestellt-Sein – er fühlte sich total alleine und – als wäre das nicht genug – wurde zusätzlich bei Versagen vor den anderen Kindern bloßgestellt; heute würde man sagen, er wurde gemobbt. Eine weitere, wohl typische Erinnerung hat er an das Trocken-Werden, was in der ehemaligen DDR ein sehr wichtiges gesellschaftliches Thema war. Alle Kinder wurden täglich zur gleichen Uhrzeit in einer Reihe auf ein Töpfchen gesetzt, und wer es schaffte, sein Töpfchen zu füllen, erntete Applaus. Die anderen waren schlichtweg die Versager…
Aus diesem Gefühl heraus war es ihm von Anfang an wichtig, den finanziellen Rahmen bieten zu können, um unsere Kinder die ersten drei Jahre zu Hause behalten zu können. Was uns oft als ein Kraftakt erschien, wurde manchmal wie durch