Mütter der Neuen Zeit. Группа авторов
warmen Worten à la »die Kinder sind unsere Zukunft« kann man sich nichts im Supermarkt kaufen. Deshalb rufe ich es heraus: Keiner soll mehr über zu niedrige Geburtenraten sprechen und gleichzeitig Familien mit Kindern im Regen stehen lassen!
Die häufig zu beobachtende Verwahrung von Kleinkindern in der Kita aufgrund von Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen ist ein ebensolcher Skandal. Sie wird klaglos hingenommen und sogar noch beschönigend als frühe Bildung verkauft. Traurig genug, dass viele Familien aus existenziellen Gründen auf Fremdbetreuung angewiesen sind und damit gar keine echte Wahlfreiheit haben. Wenn ich aber mit eigenen Augen sehe, wie viel Aufmerksamkeit mein kleiner Sohn verlangt, wie lernbegierig und aufnahmefähig er ist, wie er gerade in diesem jungen Alter mit knapp zwei Jahren alles nachahmt, Wörter nachspricht, Handlungen und den Tonfall imitiert, alles selber machen möchte, dann möchte ich mir nicht vorstellen, wie sich Gleichaltrige in Einrichtungen fühlen. Ständig haben sie ihre Bedürfnisse zurückzustellen, sich anzupassen und einzufügen. Wahrscheinlich ahmen sie auch noch den Stress und die Erschöpfung der Erzieherinnen nach, da sie alles ungefiltert imitieren. Oft wirken ganztags betreute Kleinkinder auf mich matt, gedämpft, das Leuchten in den Augen ist weg. Verschwunden. Um mich nicht falsch zu verstehen: Ich lehne Betreuung durch andere Personen nicht prinzipiell ab. Meine Frage ist vielmehr, warum sich die reguläre Betreuung durch Krippenpersonal und Tagesmütter im wesentlichen nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und nicht nach denen der Kinder richtet?
Ich backe kein Brot, das Bügeleisen bleibt kalt und die Stoffservietten lagern im Schrank. Dennoch habe ich eine zentrale Lektion von meinen Großmüttern und meiner Mutter gelernt: Wie wichtig es für die Kinder ist, einfach da zu sein, ihnen Raum zu geben, Zeit zu haben, so dass sie sich wohlfühlen und sich in ihrer eigenen Geschwindigkeit entfalten können. Ihnen zu zeigen, dass sie gesehen werden, erweckt und verstärkt ihre Freude am Leben! Die Kinder brauchen liebende Erwachsene, die ihnen ermöglichen, sich und die Welt zu entdecken. Als liebende Mutter begleite und beobachte ich immer wieder staunend, wie sich vor meinen Augen das Wunder wie von selbst entfaltet. Ich gebe ihm Sicherheit, Aufmerksamkeit und Nahrung, seelisch, geistig und körperlich. Das aber erfordert Kraft, Zeit und Ressourcen. Und endlose Geduld. Unter den aktuellen Bedingungen können professionelle Erzieher dies kaum leisten.
Meines Erachtens wird im Moment in großem Stil und in fahrlässiger Weise das unschätzbar wertvolle Potenzial, welches jedes Kind mit sich bringt, verschwendet: Kinder sollen zu allererst einmal nicht stören! Anstatt sich wirklich auf sie einzulassen und ihnen Raum zur Entfaltung zu geben, werden sie im so prägenden Alter zwischen eins bis sechs Jahren weggesteckt, oft nur verwahrt. Im Alltag und im öffentlichen Raum werden sie marginalisiert, nur damit die Erwachsenen von einem Ort zum anderen hetzen, total »busy« sind, was ja soviel heißt, wie »wichtig«, und sich dabei keinen Raum mehr nehmen zum Innehalten und Nachdenken.
Wir verschwenden damit aber nicht nur das Potenzial unserer Kinder und damit der Zukunft unserer Gesellschaft, sondern wir entziehen uns als Eltern gleichzeitig der positiven Kraft der Kinder: Keiner ist derart kompetent, uns einen neuen, achtsamen, freudvollen und zutiefst neugierigen Blick auf die Welt zu schenken, wie ein kleines Kind. Kinder sind im Hier und Jetzt. Ihre Art, diese Welt zu entdecken, ist von Natur aus zutiefst meditativ und ganz auf das konzentriert, was sie gerade tun. Ja, Kinder machen alles langsamer und ganz und gar anders, als wir ach so erfahrenen Erwachsenen! Doch im Beobachten und Uns-selbst-Zurücknehmen können auch wir wieder mehr in die Gegenwart kommen und die Freude an den Wundern der Welt entdecken. Das Wunder steckt im kleinsten Krokus, in der den Weg kreuzenden einsamen Ameise und auch im erstmals selbst zugeknöpften Knopf des Schlafanzuges. »Lass mir Zeit, es selbst zu tun«, ist nicht nur für unsere Kinder, sondern auch für uns Erwachsene die unbedingte Chance, das Glück des Augenblickes zu erfahren und wieder zu lernen, glücklich zu sein und zwar nur aus dem Grund, weil wir leben und die Welt mit all unseren Sinnen erfassen können. Wer wollte dieses Glück delegieren?!
Dabeisein ist alles
Als Entwicklungsbegleiterin mit langjähriger Erfahrung aber auch als Mutter im Austausch mit anderen Müttern beobachte ich seit Jahren, dass frühe Fremdbetreuung immer mehr zur Norm wird und der Druck auf Mütter zunimmt. Wobei gerade Müttern gerne suggeriert wird, dass sie doch weder auf ihre Karrierechancen verzichten noch ihrem Kind Bildungschancen verwehren wollen. Aber wie viel bleibt von der Frühförderung im Kindergarten, wenn die Gesamtsituation für den kleinen Menschen schnell zur Überforderung wird?
Klein und überschaubar und doch so effektiv und wertvoll ist der Alltag für das Kind, das seine Tage im gewohnten Familienumfeld und dem damit einhergehenden lebendigen Familienalltag verbringen darf. Die Abläufe sind vertraut und bilden mit dem Dasein von Mutter oder Vater eine sichere und zuverlässige Konstante in seinem Leben. Sein Spiel-Raum ist das Leben selbst mit der Vielfalt an Möglichkeiten zum Er-leben, Erfahren und Be-greifen.
Entwicklung braucht eine lebendige, anregende, aber auch vertrauensvolle Umgebung, die dem kleinen Menschen ausreichend Möglichkeiten zum Beobachten und Nachahmen bietet – eine Umgebung, in der er sich geliebt fühlt und gleichzeitig seinem Streben nach Selbständigkeit nachgehen und sich Fähigkeiten im eigenen Tempo und zusammen mit älteren(!) Vorbildern aneignen kann. Wichtig für einen kleinen Menschen ist dabei das Eingebundensein in alltägliche Tätigkeiten. Das Dabeisein in der Gemeinschaft, in die er hineingeboren wurde, mittun und mithelfen dürfen, wann immer, mit wem auch immer und wo überall das möglich ist, nährt seine Zugehörigkeit zum lebendigen Leben – nicht die Isolierung in einer Gruppe Gleichaltriger.
In der Praxis heißt das für Eltern, ihren Alltag so auszurichten, dass das kleine Kind mit seinen Interessen und seinem Beobachtungsbedürfnis darin Platz wie auch Ruhe und Zeit findet, um ins Tun kommen zu können.
Denn die Entwicklung hin zu einem eigenständigen und verantwortungsvollen Erwachsenen ist keine forcierte, sondern eine, die auf Rückhalt und Orientierung basiert und sich in kleinen Schritten und im selbstbestimmten Streben des kleinen Menschen offenbart.
Lini Lindmayer, * 1984, siebenfache Mama, Autorin, Entwicklungs- und Familienbegleiterin, Doula und Stillberaterin war u.a. Vorreiterin für »Windelfrei« und »authentisches Elternsein« in Österreich.
Literatur und weitere Weblinks
Bronsky, Alina/Wilk, Denise. Die Abschaffung der Mutter. DVA, 2016
Juul, Jesper. Wem gehören unsere Kinder? Beltz Verlag, 2017
Lindmayer, Lini. Geht‘s auch ohne Schule? Edition Riedenburg, 2016
Neufeld, Gordon/Maté, Gabor. Unsere Kinder brauchen uns. Genius Verlag, 2015
Wild, Rebeca, Mit Kindern leben lernen. Beltz Verlag, 2016
Isabell Melzer
Fremdbetreuung darf sich nicht fremd anfühlen
Isabell ist Mutter mit Leib und Seele und von Anfang an. Trotzdem muss sie erst eine Lebenskrise bewältigen, um den gutbezahlten Job mit einer Tätigkeit zu tauschen, die sie wirklich inspiriert. Sie wird Tagesmutter – bedingungslos. Denn sie möchte Kindern ein Zuhause geben.
Die ersten Jahre des Lebens meines Kindes sind kostbar, das war für mich kristallklar. Es gab für mich keine andere Option, als immer präsent und haltgebend für meine Kinder da zu sein. Gesegnet mit einer inneren Weisheit, dass das Band zwischen Mutter und Kind nicht künstlich und gewaltvoll getrennt werden darf, plante ich mein Leben wie selbstverständlich zum