Mütter der Neuen Zeit. Группа авторов

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seinen Schauspielkünsten zu bespaßen und zu bezirzen – für den nicht immer zuckersüßen Rest war im Wesentlichen ich zuständig. Er nahm damals noch nicht einmal die sonst üblichen zwei Monate Elternzeit. Sie tagsüber für ein paar Stunden betreuen zu lassen, war damals die einzige Lösung. Weder konnte ich mir mein Netzwerk in die fremde Stadt zaubern noch meinen Mann dazu bewegen, mehr da zu sein.

      Mit Bettina hatten wir großes Glück: Neben meinen beiden Kindern betreute sie nur noch eine Spielkameradin meiner Kinder, die wir ohnehin regelmäßig trafen. Wir brachten sie um 9 Uhr morgens und holten sie nach der Siesta so früh wie möglich ab, oft ließ ich sie auch ein oder zwei Tage zu Hause, fuhr mit ihnen zu meiner Verwandtschaft und den Freunden in Basel. Das war mein Kompromiss. Unsere Tagesmutter war der pure Luxus im Vergleich zum regulären Betreuungsschlüssel: Ehrlich gesagt kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich sechs Kindern unter drei Jahren so viel Kraft und Aufmerksamkeit entgegenbringen könnte, wie sie es zu Hause einfordern.

      Heute bin ich 39 Jahre alt, geschieden und lebe in einer neuen Partnerschaft. Inzwischen bin ich mit Auszeichnung promovierte Kunsthistorikerin, mehrfache Buchautorin und stolze Mutter von drei Kindern. Unser Nesthäkchen kam vor zwei Jahren zur Welt, und die beiden großen Kinder sind jetzt zehn und zwölf Jahre alt. Der Kleine geht erst in den Kindergarten, wenn er wirklich reif dafür ist, von der Umgebung profitiert – und nicht in erster Linie, damit ich noch mehr meinem Beruf nachgehen kann. Meine beiden Fast-Zwillingskinder begannen, rückblickend betrachtet, erst im Alter von etwa dreieinhalb, vier Jahren, wirklich intensiv mit anderen Kindern zu spielen. Erst ab diesem Alter gingen sie auch gerne und von sich aus in den Kindergarten.

      Vor kurzem brachen wir nach nur vier Wochen Valentins Eingewöhnung ab, weil er deutlich zeigte, dass er noch nicht so weit war. Unter anderem wurde er sehr krank, was mich zutiefst beunruhigte: Für mich war es ein deutliches Warnsignal, dass sein ganzer Körper auf diesen Löseprozess noch mit Stress und Überforderung reagierte. Die beiden Erzieherinnen unterstützten mich auf diesem Weg, und ich bin ihnen dankbar. Er ist wieder gesund, seitdem wir die Eingewöhnung beendet haben. Dies bestätigt mich in meiner Entscheidung, ihn weiterhin selbst zu betreuen.

      Mit endlosen Spielnachmittagen, Verkleiden und Rollenspielen, gemeinsamem Backen, Malen, Erzählen und langen Spaziergängen habe ich meine eigene Kindheit sehr behütet und fröhlich in Erinnerung. Ich bin meiner Mutter dankbar für diese gemütliche und heile Kinderwelt. Meinen Vater dagegen empfand ich als streng, wenig kindgerecht in der Kommunikation und unberechenbar. Er hielt uns endlose Vorträge, egal, ob es uns interessierte oder nicht. Im Alter von sechs Jahren teilte ich ihm bei einem Besuch auf dem Flughafen mit, er bräuchte mir nicht immer alles zu erklären (es ging um die technische Funktion von Turbinen). Er nahm mich beim Wort, und heute führen wir die anregendsten und spannendsten Gespräche, die man sich nur wünschen kann. Bis heute bin ich der Meinung, dass Kindern oft viel zu viel und alles bis ins kleinste Detail erklärt wird; dabei ist es viel besser, sie die Welt selbst entdecken und erfahren zu lassen. Wenn sie fragen, genügen kleine, behutsame Hilfestellungen oder eine Antwort, die zu mehr Fragen einlädt, sodass zwischen Kind und Erwachsenem ein angeregtes Gespräch entstehen kann.

      Ich wurde 1980 in Basel geboren und meine Mutter musste bald wieder in die Uni, wenn auch nur ab und zu, um ihr Studium abzuschließen. Bei meiner Geburt war sie 21 Jahre alt. Im Gegensatz zu unserer Betreuungssituation lebten meine beiden Großmütter vor Ort. Vor allem meine Großeltern mütterlicherseits leisteten damals einen gewaltigen Anteil an meiner Betreuung. Oft verbrachte ich das ganze Wochenende bei ihnen, und auch in der Woche passte meine Mima, wie ich sie taufte, zuhause auf mich auf. Krippen gab es so gut wie nicht.

      Meine Großmütter waren sehr unterschiedlich. Sie gaben mir aber beide ein wohliges Gefühl von Geborgenheit und ein unerschütterliches Vertrauen in das Gute mit auf den Weg. Bis heute schöpfe ich Energie aus diesem Kraftquell. Hélène, die Mutter meines Vaters, hatte ein offenes, lebendiges Haus, in dem junge Musiker ein- und ausgingen. Hausmusik gehörte zum Alltag. Sie spielte hervorragend Klavier, obwohl sie nie Musik studiert hatte, sondern ausgebildete Krankenschwester war. Von ihr habe ich die Liebe zur Musik und zu Fremdsprachen, denn mit ihrer italienischen Putzfrau unterhielt sie sich auf Italienisch, mit ihren Kindern abwechselnd auf Schweizerdeutsch und Französisch. Bei ihr herrschte immer ein herrliches Sprachengewirr.

      Ich erinnere mich daran, wie ich durch das sonnendurchflutete Wohnzimmer in ihrem Haus schlendere und eine junge Basler Musikerin mir antwortet, sie spiele schon seit zwanzig Jahren Geige – für mich damals ein unfassbar langer Zeitraum. Der erste Satz von Beethovens Frühlingssonate erklingt, zwischendurch wird immer wieder kurz für Fragen zur Phrasierung unterbrochen. Wir Kinder laufen drum herum oder setzen uns unter das Klavier, drücken die Pedale und kitzeln die Musiker an den Beinen, bis es uns oder ihnen reicht und wir uns ein anderes gemütlicheres Versteck suchen, zum Beispiel unter dem ovalen Esstisch. Nach dem Zusammenspiel trinken wir gemeinsam Schwarztee mit Milch oder Zitrone, und die Erwachsenen debattieren über alles mögliche. Bis heute spielt die Offenheit für andere Kulturen und damit einhergehend das fortwährende Lernen von Fremdsprachen in unserem Alltag eine wichtige Rolle. Es bereichert unser Leben.

      Linda, meine Mima, meine Großmutter mütterlicherseits, ist eine resolute, starke, sehr warmherzige und vor Energie nur so sprühende Frau. Jahrelang führte sie erfolgreich einen Irish-Shop mit Kleidung und vielem mehr von der Grünen Insel. Nichtsdestotrotz vermittelte sie mir, dass Kindererziehung und Haushaltsführung ein wichtiger Beruf sei, welcher ebenso gewissenhaft verfolgt werden könne, wie jeder andere Beruf auch. Als Jugendliche tippte ich mir an den Kopf, denn ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, was daran nützlich oder gar interessant sein sollte. Aber wenn wir zu ihr kamen, und das war oft, dann stand ein duftendes Essen auf dem Tisch, gebügelte Stoffservietten und eine Tischdecke gehörten obligat dazu. Und wir fühlten uns herrlich, gewürdigt und ernstgenommen. Für uns war es eine gediegene, edle Atmosphäre wie im Sternerestaurant, nur gemütlicher und herzlicher. Zudem: Tischmanieren ergeben in so einem Ambiente auf einmal Sinn! Wir sollten doch schon anfangen, rief sie uns aus der offenen Küche zu, damit das Essen nicht kalt werde. Alles war schön angerichtet, denn: Das Auge isst mit! – so ihr Credo. Sie übte mit uns für die Schule, drillte uns in Mathe, während unser Großvater für Deutsch zuständig war, und abends erzählte sie uns Geschichten, während am Esstisch und zwischendurch heftig über Politik debattiert wurde. Es war nie so, dass sie sich gelangweilt hätte, sie war immer in Bewegung, gerne auf Reisen oder draußen im Garten. Meine selbstbewussten Großmütter waren moderne Frauen und ganz bestimmt keine »Hausmütterchen«. Sie vermittelten mir, dass es eine wichtige Aufgabe ist, einen Haushalt in Form eines lebendigen Hauses zu führen, und dass hier auch anspruchsvolle Kultur möglich ist, sei es nun in Form von Tischkultur, der Kultur des Dialoges, der klassischen Musik, Literatur oder Kunst.

      Meine beiden großen Kinder spielen inzwischen selbst Violine und Klavier. Oft »jammen« wir abends, improvisieren frei oder spielen klassische Stücke zusammen. In der Weihnachtszeit erklingen die Lieder mit zwei Geigen und Klavier, während der Kleine dazu trommelt, singt und rasselt. Er ahmt die Tätigkeiten der Großen nach. Gerne fordert er seinen Platz auf dem Klavierschemel ein und verlangt vehement nach Noten, wenn dort einmal keine stehen. Für uns ist es Spaß und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkende lebendige Kultur.

      Fernsehen und Computerspiele dagegen betrachte ich als lästige Zeitverschwendung. Nirgends ist das Gehirn passiver als beim Fernsehen, selbst im Schlaf ist es aktiver (vgl. S. Aamodt/S. Wang, Welcome to Your Child’s Brain, München 2012). Nichtsdestotrotz halte ich die Kinder nicht komplett davon fern, aber als digitalen Babysitter würde ich diese Medien nie einsetzen. Gelegentlich, vielleicht einmal pro Woche, eine genaue Regel haben wir dafür nicht, schauen wir gemeinsam über Onlinedienste gezielt Dokumentarfilme oder auch einmal eine Unterhaltungssendung an. Mir ist es wichtig, dabeizusitzen, sodass wir direkt über aufkommende Fragen reden können.

      Kinder alleine vor so einem Gerät »abzustellen«, empfinde ich als Vernachlässigung. Immer wieder sehe ich leider »vollverkabelte« Kinder mit Kopfhörern vor einem Tablet oder Smartphone, sei es nun zu Hause, im Auto, Zug, Restaurant oder in anderen vermeintlich »langweiligen« Situationen. Es gruselt mich regelrecht, wenn ich sehe, wie reglos die Kinder vor diesen Geräten ausharren. Es gibt keine andere Situation im Leben


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