Maybelline. Taylor Brown

Maybelline - Taylor Brown


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noch mal!« Er trat gegen die Tür. »Ich will meine Ruhe.«

      »Rory

      Er blieb stehen, eine Hand an der Tür. Sie reckte ihm das Kinn entgegen. Er nahm einen tiefen Atemzug und stieß die Luft hörbar durch die Nase aus, beugte sich dann hinunter und küsste sie auf die Wange. »Hast du trotzdem eine gute Nacht verbracht?«

      »Ich hatte schon bessere.«

      »Mit Eustace?«

      »Mit einem Maiskolben.«

      Er schnellte herum, Mund und Augen weit aufgerissen.

      »Herrgott, Granny.«

      Granny zuckte mit den Achseln und hielt ihre gelbe Maiskolbenpfeife hoch – nur eine unschuldige alte Frau in einem Schaukelstuhl. »Was ist?«

      »Unfassbar«, sagte er und stieß die Tür auf. Von drinnen rief er noch lauter: »Einfach unfassbar!«

      Granny klopfte mit der Pfeife gegen ihren Handballen und gluckste vor sich hin.

      In der Abenddämmerung richtete er sich in seinem knarrenden Bett auf und rutschte an die Kante. Er zog die Hosen über seine nackten weißen Beine und schob sich nacheinander die Hosenträger auf die Schultern. Dann hob er das Holzbein vom Boden auf und legte es in seine Arme. Der kleine Colt Automatik passte perfekt in die Vertiefung wie ein Organ, das an seinen Platz zurückgelegt worden war. Er steckte seinen Stumpf in das hohle Ende, das sein Knie umschloss, zog die Lederriemen und Schnallen straff, die sein Fleisch einschnürten, und stand in dem dämmrigen Raum auf. Die Schlieren und Kratzer auf dem Fensterglas hoben sich vom verlöschenden Tageslicht ab. Die Bilder seiner Mutter wellten sich leicht an den Rändern, als wollten sich die Vögel von der Wand lösen und in die Dunkelheit eintauchen.

      Das ganze Haus schien unter ihm zu zittern, als er sich bewegte, so als hätte er in Übersee fünfzig Kilo zugenommen. Die Porzellanteller an den Wänden klapperten; die gerahmten Fotografien seiner Mutter und seines Großvaters auf dem Kaminsims wackelten. Er steckte seinen Kopf in die Küche und teilte Granny mit, dass er runter zu Eli fahren würde. Sein Stumpf war noch immer wund. Auf halbem Weg zum Wagen beschloss er, zu Fuß zu gehen. Aus Ärger vielleicht oder zur Strafe.

      Am Himmel, der einer violetten Kuppel glich, waren die ersten Fledermäuse unterwegs, die im verlöschenden Licht mit sichelartigen Flügeln ihre kleinen Einsätze flogen, und er ging über die sich rotblau verfärbende Wiese, während er ihnen dabei zusah, wie sie umherschossen und ihre krummen Flugbahnen flüchtig an den Himmel schrieben. Er nahm die Pfade seiner Jugend, während seiner Abwesenheit von grauen Wildrudeln genutzt, einer fast fließenden Kraft, die durch die Wälder sprang, und von herumstreifenden Schwarzbären und der einzig verbliebenen Raubkatze, die noch in den Bergen lebte, alle paar Jahre auf das Dach einer Hütte kletterte und wie eine zornige Frau jaulte. Er war umgeben von Bäumen, die sich ans letzte Tageslicht klammerten, während die welkenden Blätter in ihrer alten Sprache flüsterten.

      Als kleiner Junge, im Alter von sieben oder acht, war er so zu Eli gelangt, damit dieser ihn auf die Jagd mitnahm. Er hatte sich seine einschüssige Eichhörnchenbüchse, ein Geburtstagsgeschenk von Eustace, über die Schulter gehängt, aber Granny hatte ihm gesagt, dass er nicht allein jagen gehen dürfe. Er war oberhalb der Werkstatt von Elis Daddy aus dem Wald gekommen, deren Fensterscheiben in dem Moment blau und weiß leuchteten. Er stand da und sah durch das Glas dabei zu, wie Elis Vater seinem Sohn das Schweißen beibrachte. Der Mann zeigte mal hierhin, mal dorthin, eine Hand auf der Schulter des Jungen, und dann setzten die beiden wie Ritter vor einem Turnier gleichzeitig ihre Schweißmasken auf. Rory sah, wie die kleinen Sonnen im Staccato an der Spitze ihrer Schweißpistolen entstanden.

      Bald erkannte er seinen Fehler. Er sah auf einmal kleine Lichtschlangen, die vor Schmerz pulsierten, wenn er die Augen schloss. Bald brannten seine Augen, als hätte ihm irgendein Fiesling Sand hineingerieben, und er konnte vor Schmerz kaum blinzeln. »Verblitzung«, sagte der Arzt. Seine Hornhaut war verbrannt. Zwei Wochen lang musste er Augenklappen tragen und durfte sie nur ganz leicht anheben, um seine Füße zu sehen, wenn er durchs Haus tappte. Zwei Wochen, in denen er Angst hatte, er würde nie mehr richtig sehen und die Eichhörnchen somit vor ihm sicher sein. Seine Sehfähigkeit wäre verloren gewesen wie die Stimme seiner Mutter.

      Wie früher trat Rory oberhalb der Werkstatt aus dem Wald. Die Fenster glühten golden in der hereinbrechenden Dunkelheit. Es war im Grunde nur eine alte, verwitterte Scheune, aber Eli hatte eine Betonplatte gegossen, um den abfallenden Boden auszugleichen. Über den schweren Eichentüren auf Laufrollen aus Metall hing ein handgemaltes Schild: HOWL MOTORS. Eli lag auf seinem Rollbrett unter einem 51er Mercury, der goldgelb lackiert war. Nur seine Stiefel schauten heraus. Rory trat gegen den einen.

      »Wer ist da?«

      »Als hättest du mich nicht kommen hören.«

      Eli kam unter dem Wagen hervorgerollt, Hände und Gesicht geschwärzt wie bei einem Bergarbeiter. Mit einem Lappen, der noch schmutziger aussah als der Rest von ihm, wischte er sich das Gesicht ab.

      »Gib mir bitte mal die Zigaretten.«

      Rory reichte ihm das Päckchen Lucky Strike, das auf einem Stuhl neben ihnen lag, wobei er sich vorher selbst bediente.

      »Gern geschehen«, sagte Eli. Er zündete seine an, ohne von dem Rollwagen aufzustehen, legte den Kopf zurück und stieß den Rauch aus. »Hab gehört, du hattest Ärger gestern Abend.«

      »Du bist ’n noch größeres Klatschmaul als Granny.«

      Eli schnipste Asche aus seinem Bart. Der trockene, wirre Filz war reif für ein Buschfeuer.

      »Hier kommen ’ne Menge Autos vorbei, und in jedem sitzt einer mit ’nem losen Mundwerk. Du glaubst also, dass Muldoon dahintersteckt?«

      Rory zog den Stuhl heran, wobei die Rollen quietschend über den Boden holperten. Die Hände zwischen den Knien, schnipste er mit dem Daumen Asche von seiner Zigarette.

      »Ich glaube nicht, dass sie besonders scharf drauf sind, es zuzugeben.«

      »So, wie es gelaufen ist, nicht«, sagte Eli. »Vielleicht hat der Cooley-Junge sie dafür angeheuert.«

      »Der scheint ja was ganz Besonderes zu sein.«

      »Nicht gerade der Schlaueste«, sagte Eli. »Aber wie ich höre, gleicht der kleine Wichser das mit seiner Bösartigkeit aus. Es heißt, er sei mit acht von einer Mokassinschlange gebissen worden. Ist angeschwollen wie ’n Wetterballon. Seither tickt er nicht mehr ganz richtig. Hat letztes Jahr in Linville einen Jungen getötet, der ihm einen lahmen Coonhound verkauft hat, den er als Zuchthund haben wollte. Hat sich mit Notwehr rausgeredet, aber ich weiß nicht so recht. Es heißt, er hat den Hund von ’ner Brücke geworfen.« Eli nickte, noch immer flach auf dem Rücken liegend, und sah dabei zu, wie der Rauch zur Decke aufstieg. »Mit so jemandem stimmt etwas ganz und gar nicht, und zwar von Geburt an.«

      »Ich bin drüben ein paar von der Sorte begegnet.«

      Eli rollte auf einem Ellbogen näher heran und sah ihn an. »In Korea?«

      Rory nickte.

      »Wie war das?«, fragte Eli.

      Rory blickte auf die heruntergebrannte Zigarette zwischen seinen Fingern und kaute auf seiner Lippe.

      »Es war ein Ort, an dem man die wirklich finsteren Gesellen auf seiner Seite und hinter sich haben wollte. Dort drüben war schlecht gut.«

      »Verdammt«, sagte Eli. »Das ist heftig.«

      »Ja.«

      »Hattest du Angst?«

      »Die ganze Zeit.«

      Eli nickte.

      »Also dieser Cooley-Junge ist keiner, dem man den Rücken zudreht. Fährt den Hudson in der modifizierten Klasse unten auf der Rennstrecke. Macht auch zwei-, dreimal die Woche Fahrten damit. Diese Muldoons sind ganz dicke mit dem Sheriff, seit du weg bist.«

      »Was ist mit diesem neuen Steuereintreiber aus Washington?«

      Elis


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