Getriebene. Armin Wühle

Getriebene - Armin Wühle


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in einen Ledersessel gesetzt. Vincent positionierte das Mikrofon auf dem Schreibtisch. Bevor er zu seiner ersten Frage kommen konnte, unterbrach ihn Perry mit einem erhobenen Zeigefinger.

      »Entschuldigen Sie – bevor wir Ihre Fragen beantworten, würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, unser Unternehmen kurz vorzustellen. Dabei werden sich bestimmt viele Fragen klären.«

      Vincent zog unwillkürlich einen Mundwinkel nach unten, nickte aber. Perry griff sich eine Fernbedienung und richtete sie an die Decke. Ein Projektor sprang an und warf das Varga-Logo an die Wand.

      »Wie ich eingangs erwähnte, liegt uns die Entwicklung von Thikro sehr am Herzen. Mister Varga hat seine Kindheit und Jugend hier verbracht und hat auch während seiner Zeit im Ausland nie den Kontakt zu seiner Heimatstadt verloren. Sein Bemühen um das Allgemeinwohl zeigt sich in zahlreichen Infrastrukturmaßnahmen, die er privat finanziert hat. Mehrere Straßen, die nach der Belagerung unbefahrbar waren, wurden instand gesetzt. Damit ist Thikro wieder an den Nah- und Fernverkehr angebunden, eine Grundbedingung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Stadt. Auch ein städtisches Notstrom-Aggregat geht auf unsere Kosten. Thikro ist vierundzwanzig Stunden am Tag an Strom angeschlossen, solche Bedingungen suchen Sie im weiteren Umkreis vergeblich. Ich habe Ihnen entsprechende Berichterstattung in die Pressemappe gelegt.«

      Perry holte einen Hefter aus der Schreibtischschublade und reichte ihn Vincent, der ihn ungesehen in seiner Tasche verstaute. Die erfolgreichsten Despoten, so dachte Vincent, gaben ihrem Volk asphaltierte Straßen.

      »Thikro ist ein wirklich außergewöhnlicher Ort. Hunderte tapfere Männer haben diesen Ort vor der Barbarei verteidigt, viele haben diesen Kampf mit ihrem Leben bezahlt. Es ist dem Widerstandswillen der hiesigen Bevölkerung zu verdanken, dass Thikro heute fest an der Seite der Union steht. Von diesem Erbe können sich Besucher hautnah überzeugen, etwa bei geführten Touren durch die historischen Kriegsschauplätze oder durch das neu errichtete Museum. Aber auch die Möglichkeit, das Leben in vollen Zügen und mit allen Freiheiten zu genießen, ist Teil dieser Erfahrung. Unsere Gäste feiern hier ein Fest der Demokratie. Sie feiern den Sieg der Menschenrechte.«

      Perry wandte sich der Projektion zu und nahm die Fernbedienung zur Hand. Das Varga-Logo wich einer in Zeitlupe ablaufenden Drohnenaufnahme, die Thikro im Sonnenaufgang zeigte.

      »Bei einer durchschnittlichen Tagestemperatur von 28 Grad Celsius und einer Sonnenscheingarantie von April bis Oktober kommen unsere Besucher voll auf ihre Kosten. Wir betreiben mittlerweile drei Hotels, in denen wir weitestgehend Vollbelegung verzeichnen können. Unser Angebot reicht von der einfachen Unterkunft bis ins Luxussegment. Als lukratives Geschäftsmodell hat sich unsere Kooperation mit SmartFly erwiesen: Unser Wochenend-Paket beinhaltet Hin- und Rückflug von verschiedenen europäischen Flughäfen, drei Nächte im Mittelklassehotel mit All-Inclusive-Verpflegung, pro Person für unter 200 Euro.«

      Perry schob ihm einige Prospekte hin, ohne weiter darauf einzugehen.

      »Der Schwerpunkt des Varga-Unternehmens liegt jedoch im Eventbereich. Die wöchentlichen Schaumpartys im Sunrise@ Eden sind legendär und haben in diversen Reiseforen hervorragende Bewertungen erhalten. Das Cactüs ist etwas kleiner und kann sich mit den Clubs der großen Metropolen messen. Hier wird Goa, Industrial und House aufgelegt. Die Größen der Szene sind bereits unserer Einladung gefolgt, wir legen Wert auf ein internationales DJ-Set. Im Übrigen sind Sie herzlich eingeladen, alle unsere Locations selbst zu besuchen. Ich habe der Pressemappe Eintrittskarten beigelegt, zusammen mit einer Auswahl an Getränke- und Essensgutscheinen.«

      Varga hatte mittlerweile sein leeres Whiskeyglas auf dem Boden abgestellt. Er saß etwas verdreht in seinem Ledersessel, das Gesicht formal der Projektion zugewandt. Er blickte ausdruckslos in die Leere. Perry wechselte indes die Aufnahme. Sie zeigte schwerbewaffnete Männer in Uniform, deren Blicke an der Kamera vorbei in die Ferne gerichtet waren.

      »Sicherheit wird bei uns groß geschrieben. Wir unterstützen den Einsatz der Solidarischen Union ausdrücklich. Dank ihrer Arbeit können wir unseren Gästen einen sorgenfreien Aufenthalt garantieren. Die Reisewarnungen, die manche Botschaften aufrechterhalten, haben mit der Gegenwart nichts mehr zu tun. Das ist ein großes Ärgernis. Viele Menschen haben Angst, nach Thikro zu kommen, aber das brauchen sie nicht. Wir haben in den vergangenen Jahren weder illegale Grenzübertritte noch schwere Kriminalität oder Angriffe erlebt.«

      Perry wechselte erneut die Aufnahme.

      »Unsere neueste Eventlocation ist das Grip. Dort werden wir unserer stetig wachsenden homosexuellen Kundschaft gerecht, mit einem eigens auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Programm. Wir sind stolz darauf, den einzigen Gay-Club im Umkreis von vierhundertfünfzig Kilometern zu betreiben. In einer Region wie dieser ist das keine Selbstverständlichkeit.«

      Vincent blickte zu Varga hinüber. Oberhalb seines geöffneten Hemdsknopfs quoll Brusthaar hervor, die goldberingten Hände hatte er im Schoß verschränkt. Er wirkte wie jemand, der seinem Sohn die Zähne einschlagen würde, sollte dieser mit einem Mann nach Hause kommen. Perry zog indes einen Stapel Magazine aus der Schreibtischschublade und breitete sie vor Vincent aus. Auf den Hochglanzcovern räkelten sich halbnackte Männer mit glänzenden Oberkörpern.

      »Es haben bereits verschiedene Medien über das Grip berichtet, sehr wohlwollend allesamt. Von einer dänischen Zeitschrift wurden wir als Location des Jahres ausgezeichnet. Ich habe Ihnen Kopien davon in die Pressemappe gelegt.«

      Vincent blätterte aus Höflichkeit eines der Magazine durch, bevor er es zurücklegte. Perry verstaute sie wieder in der Schublade.

      »Haben Sie jetzt noch Fragen? Ich beantworte sie Ihnen gerne.«

      Vincent verließ das Gebäude und zündete sich im Gehen eine Zigarette an. Ohne klares Ziel lief er die Straße hinab. Keine Minute länger wollte er auf Vargas Grundstück verbringen. Die Antwort auf jede kritische Frage war in Perrys Übersetzung weichgelutscht und auf Unternehmenslinie getrimmt worden. Er ärgerte sich, nicht auf Milo als seinen Dolmetscher bestanden zu haben, und ahnte gleichwohl, dass das Gespräch dann gar nicht zustande gekommen wäre. Vincent blickte über die flimmernden Dächer der Stadt und zog sein Telefon aus der Tasche. Milo hob nach dem ersten Klingeln ab.

      »Milo? Ich komme gerade aus dem Gespräch mit Varga. Die haben mir nur Scheiße erzählt. Können wir uns treffen?«

      Vincent wartete mit verschränkten Armen vor dem Restaurant, in das Milo ihn delegiert hatte. Das Viertel, in dem es sich befand, schien weitgehend verlassen. Ein kleiner Junge rannte über die Felder zwischen den Häusergerippen. Er zog einen Drachen hinter sich her, der sich nur sporadisch und müde in die Luft erhob. Vincent fing das hoffnungslose Spiel mit seiner Kamera ein, als Milo in seinem Wagen vorfuhr.

      Der Wirt spielte auf seinem Handy, als sie eintraten. Sie waren die einzigen Gäste im Restaurant. Vincent belächelte die dorischen Plastiksäulen, die dem Garten ein spätantikes Flair verschaffen sollten. Nur auf einem Drittel der Tische war Besteck aufgetragen.

      »Hier wurden früher Hochzeiten gefeiert«, sagte Milo, nachdem sie sich gesetzt hatten. Vincent legte seine Tasche ab und streckte den Rücken durch.

      »Jetzt nicht mehr?«

      »Die Leute haben kein Geld für große Feiern.«

      Vincent schob den Aschenbecher heran und zündete sich eine Zigarette an.

      »Das Interview war beschissen.«

      »Sagtest du bereits.«

      »Ich kann nichts davon gebrauchen. Außer die Eintrittsgutscheine, die sparen mir einiges an Geld.«

      »Was hast du denn von Varga erwartet?«

      »Zumindest einen Kratzer in der Oberfläche. Aber keine Chance. Mit der Show seines Pressesprechers Perry – «, er zog dabei Anführungszeichen in die Luft, »kann ich ein paar Sätze füllen, aber keinen Artikel.«

      Der Wirt kam an ihren Tisch, und Vincent bestellte ein Bier.

      »Wir haben kein Bier«, sagte der Wirt in gebrochenem Englisch und deutete auf die dorischen Säulen, als würde dies alles erklären.


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