Lågomby. Felix Maier-Lenz

Lågomby - Felix Maier-Lenz


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Laune vorschlaghammerartig zertrümmerte.

      „Leiche im Moor! Irgendwo hinterm Björksjö. Eben kam der Anruf“, verkündete sie mit demselben Anflug von Hysterie in der Stimme, mit dem sie Bengt auch von Verkehrssündern, Landstreichern oder verschwundenen Kühen berichtete.

      ‚Engagement‘, korrigierte sich Bengt in Gedanken. ‚Engagement, nicht Hysterie.‘

      Er wusste sehr wohl, was er an Liza hatte. Wann immer seine ihm innewohnende Gemütlichkeit drohte, wichtige Ermittlungen zu verschleppen, versetzte Liza ihm einen freundlichen, aber bestimmten Tritt in den Hintern – wofür er ihr sehr dankbar war.

      „Okay. Der Reihe nach. Wer hat angerufen?“

      „Lennart. Lennart Sandberg.“

      „Der vom Tourismusbüro?“

      Liza nickte. Sie lehnte sich halbsitzend gegen ihren Schreibtisch und blickte auf ihren Notizblock, auf dem sie gewissenhaft alle Informationen festzuhalten pflegte, glücklicherweise meistens auch die relevanten.

      „Er hat vor zehn Minuten angerufen. Du warst leider nicht an deinem Platz. Ich hab dich schon gesucht.“

      Bengt entging der leicht vorwurfsvolle Unterton in Lizas Stimme nicht. Er hob entschuldigend seine Kaffeetasse.

      „Frisch gebrüht. Ist noch was in der Kaffeeküche, wenn du willst.“

      Liza schüttelte den Kopf. Als Bengt sie abwartend ansah, fuhr sie fort.

      „Es handelt sich um eine Frauenleiche.“

      Bengt atmete tief ein. Er war nicht der Typ Polizist, der sich über Action besonders freute. Es war ja nicht so, dass er hierher strafversetzt worden wäre. Es war sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, eine Polizeidienststelle im Norden zu leiten. Hier kannte er den Menschenschlag und wusste, wie er mit ihnen umgehen musste. Er war ja selbst hier in der Gegend aufgewachsen und letztlich einer von ihnen. Dass er nun genau die Dienststelle leitete, in der er mit Anfang 20 seine Ausbildung begonnen hatte, empfand er als angenehme Fügung.

      Verbrechen gab es hier oben natürlich auch, aber das war kein Vergleich mit dem, was er in seiner Zeit als Streifenpolizist in Malmö gesehen hatte. Seit Bengt vor etwa zweieinhalb Jahren das Kommissariat in Lågomby übernommen hatte, hatte es genau einen Mord gegeben. Und da hatte die Täterin stoisch mit dem blutigen Messer in der Hand neben dem Opfer, ihrem Trunkenbold von Mann, gesessen, als Bengt und seine Kollegen eingetroffen waren.

      Er kannte das Moorgebiet hinterm See. Kein besonders gastlicher Ort. Nicht einmal gute Stellen zum Pilze sammeln gab es dort. Er wusste, dass dieses Feuchtgebiet nicht der schlechteste Ort war, um etwas verschwinden zu lassen. Vor vielen Jahren, lange vor seiner aktiven Zeit, hatte es mal einen Fall von Umweltverschmutzung im großen Stil gegeben. Eine Firma aus Lycksele hatte ihre Abfälle dort abgeladen, um sich die Kosten für die Entsorgung zu sparen. Das Moor hatte die Fässer alle brav geschluckt. Aufgeflogen waren sie nur, weil sich einer der Arbeiter für seine Entlassung hatte rächen wollen und alles ans Licht brachte.

      Aber Bengt wusste auch, dass ein Mord in diesem Fall eher unwahrscheinlich war. Säufer, die sich nachts in den Wäldern verirrten und an Gott–weiß-was verreckten, gab es dagegen leider häufiger, als Bengt lieb war. Vor allem um Mittsommer rum. Allerdings handelte es sich dabei fast immer um Männer.

      „Danke, Liza. Ich ruf Lennart gleich zurück.“

      Seine Assistentin riss den obersten Zettel ihres Blocks ab und legte ihn Bengt auf den Schreibtisch.

      „Da müssen wir uns reinhängen. Das könnte eine gute Gelegenheit für Lågomby sein, mal wieder positiv aufzufallen.“

      Bengt konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

      „Du meinst, eine Moorleiche sei Anlass für positive Schlagzeilen?“

      Aber Liza ließ sich nicht so schnell verunsichern.

      „Wenn wir den Fall schnell aufklären, klar.“

      Wie um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen, nickte sie noch einmal bekräftigend und verließ dann das Büro Richtung Kaffeeküche.

      Bengt sah ihr amüsiert hinterher. Lizas Zugang zu ihrer Umwelt und ihrem Arbeitsfeld war schon immer etwas eigen gewesen. Dabei wusste er natürlich, worauf sie hinauswollte. Die Staatsanwaltschaft in Umeå würde ein Auge auf diesen Fall haben und es galt zu beweisen, dass sie in Lågomby auch mit ernstzunehmenden Fällen zurechtkamen.

      Mit dem Kaffee in der Hand drehte er sich in seinem Sessel zum Fenster. Er nahm einen kräftigen Schluck und ließ die Tasse dann seufzend in seinen Schoß sinken. Der Kaffee war nur noch lauwarm.

      Wenig später war Bengt auf dem Weg zum beschriebenen Ort. Während der Fahrt warf er ab und zu einen Blick auf den Beifahrersitz, wo er seine Notizen ausgebreitet hatte.

      Lennart Sandberg war in seiner Berichterstattung am Telefon ruhig und sachlich gewesen. Wie Bengt nun wusste, hatte nicht er, sondern eine deutsche Frau die Leiche gefunden. Sie lebte erst seit wenigen Tagen in dem Waldhaus ganz am Ende des Björnvägs und war wohl buchstäblich über die Tote gestolpert.

      ‚Willkommen in Schweden‘, dachte Bengt und schauderte selbst ein bisschen bei dem Gedanken, wie die Frau, Marie, sich dabei gefühlt haben musste.

      Zur gleichen Zeit war Marie zusammen mit Lennart wieder auf dem Weg in den Wald. Je weiter sie vorankamen, desto besorgter wurde Lennarts Gesichtsausdruck.

      „Hier warst du joggen? Alleine? Der Untergrund ist echt gefährlich, Marie. Vor allem, wenn du dich nicht auskennst.“

      Marie nickte nur und wurde langsamer, als sie sich dem tief im Moor versunkenen Frauenkörper näherten. Er musste sich mit irgendeinem Kleidungsstück an dem Strauch daneben verhakt haben, wodurch der Kopf der Leiche in einer unnatürlichen Überstreckung der Nackenwirbelsäule an der Oberfläche gehalten wurde – wie ein letzter Versuch, in dieser Welt zu bleiben.

      Lennart blieb abrupt stehen. Jetzt hatte auch er den Leichnam entdeckt. Er beäugte die Szene erst aus sicherer Entfernung, bevor er vorsichtig ein paar Schritte näher ging.

      Marie sagte nichts. Im Gegensatz zu Lennart war der Anblick der Leiche für sie schon nichts ganz Neues mehr und hatte damit auch ein bisschen von seinem anfänglichen Schrecken verloren.

      Sie dachte darüber nach, wie erstaunlich es war, dass man sich sogar an die schrecklichsten Situationen so schnell gewöhnen konnte. Und wie erstaunlich es war, dass sie in diesem Moment überhaupt solche Gedanken, die sich nicht direkt auf den leblosen Körper vor ihr bezogen, denken konnte.

      Erst jetzt fiel ihr der dunkle Fleck am Hinterkopf der Leiche auf. Ohne den Blick von der Frau abzuwenden, ging Marie an Lennart vorbei und lehnte sich vor, um einen besseren Blick darauf zu bekommen. Ein heftiges Zucken schoss ihr in den Bauch, als sie erkannte, dass es sich dabei um das verkrustete Blut einer offenen Wunde handelte.

      Sie sah sich zu Lennart um, der unverändert hinter ihr stand. Er wirkte weder sonderlich schockiert noch ängstlich. Eher enttäuscht. Als könnte er diesen Anblick in seinem Kopf nicht mit all den anderen Bildern und Erfahrungen von Lågomby in Einklang bringen.

      Ein schrilles Geräusch ließ die beiden zusammenfahren. Orientierungslos und wie aus einer Trance erwacht, sah Lennart sich schnell zu allen Seiten um. Erst dann begriff er, dass das Klingeln aus der tiefen Tasche seines Cardigans kam. Hastig zog er sein Telefon hervor.

      Marie beobachtete Lennarts Gespräch mit einer Intensität, als könnte es ihr irgendeinen Aufschluss über den toten Körper vor ihnen geben. Lennart ließ sich dadurch nicht irritieren. Das Telefonat schien ihn in seine gewohnte Unbeschwertheit zurück zu katapultieren.

      „An der umgeknickten Fichte seid ihr schon zu weit, Bengt. Geht zurück zur doppelstämmigen Birke. Von dort aus scharf rechts halten. Dann seht ihr uns bald.“

      Marie fragte sich, ob mit diesen Anweisungen tatsächlich irgendjemand


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