RESET. Clemens Weis

RESET - Clemens Weis


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mich nicht in meinem Ehrgeiz einschränken lassen, vor allem wollte ich mir nicht vorschreiben lassen, wie mein Weg und meine Idee auszusehen hatten. Vielmehr ging ich meinerseits in die Offensive und suchte die Konfrontation. Mein Rechtsbewusstsein und mein Wille erlaubten es mir nicht, nachzugeben. Aus Wochen wurden Monate, aus Monaten Jahre.

      Dennoch kam für mich ein Berufs- oder Standortwechsel nicht infrage. Ich lebte nun bereits mit Roswitha und Lukas im Anbau ihres Elternhauses, Tür an Tür mit ihren Eltern. Das Haus in einem der besten Stadtteile Salzburgs war unser Eigentum, mein gesamtes soziales Umfeld bedeutete mir sehr viel, ich liebte die Natur in der unmittelbaren Umgebung und konnte mir keinen besseren Lebensmittelpunkt vorstellen. Auch fühlte ich mich an Lukas gebunden, wir verbrachten viel Zeit miteinander, und ich spürte seine kindliche Zuneigung auch als Verantwortung, ich dachte nie daran, das alles wieder zurückzulassen oder nur zu vernachlässigen. Am meisten jedoch trieb mich meine Sturheit an, weiterzustreiten.

      Ich wollte nicht verlieren.

      Um keinen Preis.

      Die unterschiedliche Auffassung in Bezug auf den Schwimmsport und die menschliche Rivalität stachelten meinen Ehrgeiz an und triggerten ein lang unterdrücktes Bedürfnis, mein Leben selbst zu gestalten – vermutlich begründet im Widerstand meiner Herkunftsfamilie gegen den Leistungssport. So wollte ich nun als junger Mann meine Wünsche und Träume endlich umsetzen. Ich wollte mir, meinen Eltern und allen Zweiflern beweisen, dass mit Leidenschaft und Einsatz, mit Konsequenz und Ehrlichkeit Erfolg möglich sei, auch in einer Randsportart wie Schwimmen. Erfolg auf sportlicher Ebene, aber viel mehr auf beruflicher und persönlicher Ebene.

      Auch als Schwimmtrainer ist es möglich, sich eine Existenz aufzubauen, eine Familie zu ernähren und berufliche Anerkennung zu erlangen.

      Das war meine Motivation.

      Auf keinen Fall wollte ich mich von Verbandsfunktionären bremsen lassen, zu intensiv war mein Drang nach Aufmerksamkeit. Ich wollte mich durchsetzen, ich musste mich durchsetzen. Meine Suche nach Bestätigung, mein Hunger nach Erfolg und meine Beharrlichkeit, meinen Weg – auch gegen den Widerstand der Verbandsinteressen – durchzusetzen, trieben mich an, ließen mich nicht zurückstecken. Nach den schwierigen, aber lehrreichen ersten Jahren lief es sportlich zufriedenstellend, es waren meine erfolgreichsten Jahre, ich nahm sie jedoch als frustrierend wahr. Meinen Erwartungen, auf internationaler Ebene erfolgreich zu agieren, konnte ich nicht entsprechen. Ein internationales sportliches Niveau zu erreichen, erfordert nicht nur sehr viel Arbeit, sondern auch Zeit, Geduld und Erfahrung, die ich mir nicht gab, die ich noch nicht hatte. Ein internationales Level jedoch zu halten oder zu verbessern, verlangt darüber hinaus Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz und auch viel Glück. Das wollte ich erzwingen.

      Ich war davon überzeugt, Erfolg im Sport sei sehr leicht zu definieren: Wer gewinnt, hat recht.

      Im Jahr 2002 bot mir die Universität Salzburg die Möglichkeit, mein Wissen als Lehrbeauftragter im Bereich des Schwimmsports an Studierende weiterzugeben. Eine tolle Chance, die ich unbedingt wahrnehmen wollte und die mir ein zweites berufliches Standbein ermöglichte. Ich etablierte mich in den kommenden Jahren als Fachmann in meinem Bereich. Ich hielt Vorträge über Bewegungslehre und Trainingslehre des Schwimmsports an den Bundessportakademien in Innsbruck und Linz, half zukünftigen Schwimmtrainern, sich auf staatlich geprüftem Niveau auszubilden. Der einzige Wermutstropfen, den ich damals empfand: Ich stand noch mehr Stunden in der Schwimmhalle und sah nur eine Möglichkeit, meinen Studenten mein Wissen zu vermitteln: Druckvolles, lautes, permanentes Sprechen – meist Brüllen, anders verstand man meine Worte in der Schwimmhalle nicht. Es ermüdete mich zusehends. Dringend benötigte Pausen übertauchte ich, stattdessen nutzte ich jede weitere Möglichkeit, um meine berufliche Weiterentwicklung voranzutreiben.

      Die Rahmenbedingungen für eine dauerhafte Überlastung entwickelten sich: Aus acht Stunden Arbeit wurden zwölf Stunden. An Wettkampfwochenenden arbeitete ich pausenlos. Nach einem viertägigen Wettkampf war der darauffolgende Montag ein normaler Arbeitstag, der sich noch dazu intensiver und umfangreicher als ein normaler Montag gestaltete, da das Wochenende aufgearbeitet, analysiert und besprochen werden musste. Ich stand zu viele Stunden in der Schwimmhalle, sah jedoch keine Alternative zu meinem eingeschlagenen Weg im Hochleistungssport.

      Diese Ambivalenz – auf der einen Seite die Belastung, der Druck, die negativen äußeren Einflüsse, auf der anderen Seite die Motivation, die ich aus diesen Umständen zog und die mich antrieb – stellte den Grundstein für meine Entwicklung als Schwimmtrainer und die Entwicklung meines Vereins zum größten und erfolgreichsten Verein des Salzburger Schwimmsports dar.

      Ich war stolz und getrieben gleichzeitig,

      wollte immer mehr.

      Genug war mir zu wenig.

      Hannah

      Du machst’s mir leicht.

      Ich lieb dich so, so, so, so wie du bist.

      Lemo, So wie du bist

      Am 3. September 2002 erlebte ich den Höhepunkt meiner emotionalen Achterbahn. Ich saß im Kreißsaal unseres Krankenhauses, es war 5 Uhr morgens, Roswitha lag in der Badewanne und vollbrachte eine Leistung, die ich so nie davor und auch nie mehr danach miterlebt habe. Jeder Muskel in ihrem Körper gebar unser gemeinsames Kind, die Intensität einer Geburt war das eigentliche Wunder in meinem Leben, es mitzuerleben, veränderte mein Denken von Grund auf. Als ich meine Tochter Hannah zum ersten Mal im Arm hielt, war meine Zuneigung nicht in Worte zu fassen.

      Ich spürte bedingungsloses Urvertrauen, das Urvertrauen eines neugeborenen Kindes. Was immer noch kommen würde, ich wusste, wofür ich gut war, was meine Aufgabe sein würde und wem ich als Vater immer eine Unterstützung sein würde. Ich war überwältigt und feierte mit Herwig, Philipp und meinen engsten Freunden ein ausgelassenes Fest. Philipp wurde Taufpate, ich spürte, es bedeutete ihm viel, ich sah seinen Stolz, der Taufpate des ersten Nachwuchses in unserer Familie sein zu dürfen. Hannah entzündete eine Kraft in mir, die ich davor noch niemals wahrgenommen hatte.

      Diese Kraft wuchs beständig.

      Ich musste nichts dazu beitragen, es geschah einfach.

      Wenn ich nach dem Training abends nach Hause kam, liebte ich die wenigen Stunden Gemeinsamkeit mit Hannah. Ich freute mich auf die wettkampffreien Wochenenden mit meiner Familie. Diese Zeit gab mir Energie und war eine Oase der Erholung. Jeden Abend brachte ich Hannah ins Bett. Als sie noch im Gitterbett lag, hielt ich oft eine Stunde lang, gebeugt über ihrem Bett stehend, ihre Hand. Die Rückenschmerzen ignorierte ich. Eine oft sehr lange Prozedur, da Hannah nie müde war und das Einschlafen hinauszuzögern versuchte. Ich liebte ihre Überredungsversuche, länger aufbleiben zu dürfen, obwohl man ihr anmerkte, dass sie sich kaum noch wachhalten konnte. Wenn ich die Kinderzimmertür hinter uns schloss, stahlen wir beide uns in eine Phantasiewelt, die auch für mich eine Reise in meine Kindheit war.

      Als sie alt genug war, um in ein großes Bett zu wechseln, legte ich mich immer zu ihr und erzählte ihr erfundene Geschichten über Sepp und Schorsch, zwei Freunde, die alle Krisen des Alltags gegen einen Bösewicht zu überstehen hatten und am Ende immer siegten. Der Bösewicht hatte die Gestalt eines Affen, der sich alles Erdenkliche einfallen ließ, um die beiden Freunde auseinanderzubringen, ihnen zu schaden. Der Retter in der Not war dann immer ihr weiser Freund Peter. Hannah fürchtete sich vor dem Affen, lachte mit Sepp und Schorsch und verehrte Peter. Diese 20 Minuten im Bett meiner Tochter waren der Brunnen meines Glücks. Ich erzählte ihr meine Abenteuergeschichten viele Jahre lang, bis in ihre frühe Pubertät. Sie repräsentierten ein immer gleiches Ritual und bedeuteten mir alles, ein Eintauchen in Entspannung und Erholung. Oft war ich derjenige, der nach Beendigung der Geschichte zuerst einschlief, und Hannah blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls einzunicken.

      In den Jahren nach der Geburt meiner Tochter begann ich, vermehrt zu arbeiten. Diese Zeit erlebte ich als die intensivste meines Lebens: auf der einen Seite Hannah aufwachsen zu sehen, ihre wachsende Neugier zu beobachten, und auf der anderen Seite die steigenden Anforderungen meines beruflichen Disputs gegen das und


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