Mit Baťa im Dschungel. Markéta Pilátová
und das gleiche Temperament hatte wie wir. Und am besten gefiel mir seine Idee mit der Besiedelung des Urwalds. Er wollte riesige Flächen Land weiterverkaufen, die er während des Krieges von zwei Deutschen erworben hatte, den Brüdern Sloman, die ihre brasilianischen Besitztümer loswerden und ins Reich zurückkehren wollten. Sie hatten ihm ihre Firmen Comercial Alto Paraná S.A. und Cia de Viação São Paolo – Mato Grosso verkauft. Und weil der Zahlungsverkehr über die deutsche Banco Transatlántico Alemão verlief, die in der Tschechoslowakei eine Filiale in Olomouc besaß, bescherte ihm das später einen Eintrag auf der schwarzen Liste der Alliierten. So als hätte er Geschäfte mit Nazideutschland gemacht. Dabei waren die Sloman-Brüder keine Nazis, sie waren Auswanderer, die schon zu Beginn dieses aberwitzigen Jahrhunderts über den großen Teich gekommen waren. Und nachdem ihnen der Weizen nicht recht gedeihen wollte und sie genug vom Dschungel hatten, beschlossen sie nach Deutschland zurückzukehren. Aber wie’s der Teufel will, kam dem Handel zwischen Bat’a und ihnen der Krieg dazwischen. Und die konkurrierenden Schuhfirmen in Nordamerika und England hatten nichts dagegen, diesen aufdringlichen Mähren loszuwerden. Der tschechoslowakische Präsident wiederum, dieser duckmäuserische Beneš, kochte sein eigenes Süppchen, denn Jan Antonín war ihm schon vor dem Krieg auf die Nerven gegangen. Er ließ sich zwar von ihm dicke Pfründe für seine jämmerliche Londoner Exilregierung zahlen, aber er machte keinen Finger dafür krumm, den größten tschechoslowakischen Industriellen von dieser schwarzen Liste runterzubekommen, die ihn von allem Welthandel ausschloss. Sogar nach dem Krieg noch hat Beneš sich nicht darum gekümmert.
Nun hatte der Chef sich vorgestellt, dass kleinere Siedler aus ganz Brasilien hierherströmen, von ihm Land kaufen und Rinder züchten würden. Von diesen Rindern würden die Batamanen dann qualitätvolles Leder beziehen, denn gutes Schuhleder, das nicht innerhalb einer Woche zerfiel und faulte, konnte man in Brasilien lange suchen. Dragoslav und ich sollten ihm dabei helfen. Ich war zunächst Leiter aller Bat’a-Verkaufsstellen in Brasilien, blieb also in der Schuhbranche. Und nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich es eines Tages mit einer eigenen Farm versuchen würde. Erst nach Jan Antoníns Tod, als Lidka die Ländereien in Mato Grosso do Sul erbte, sollte aus mir ein Cowboy werden. Und damit hatte ich mein Ding gefunden! Schon als ich seine schöne Tochter heiraten durfte, kam ich mir vor wie in einem alten Mittelaltermärchen. Und letztlich war es auch so: In der Gegend, in die wir kamen, gab es kein anderes Verkehrsmittel als Pferd oder Flusskahn. Jan Antonín hätte damals seinen ganzen Besitz verkaufen und bis an sein Lebensende von dem Geld leben können. Aber das war nicht seine Art. Und ich ließ mich auf seine verrückten Ideen ein und brach mit ihm in den Urwald auf, um Schuhe zu verkaufen und eine regelrechte Utopie zu verwirklichen.
Im Urwald aber wollte ich dann gar nicht mehr Schuhmacher sein. Der Dschungel wickelte mich mit seiner ganzen dunkelgrünen Energie und seinem würzigen Duft um den kleinen Finger. In diesem lebensprallen Gewirr konnte man in der einen Sekunde das Wesen aller Dinge erahnen und in der nächsten Sekunde alles verlieren, weil irgendwo im Halbdunkel die Schwanzspitze einer Schlange aufblitzte und man schon Gift in der Wade hatte. Ich wollte mich dieser Kraft stellen, wollte sie zugleich bändigen und in Frieden mit ihr leben. Ich wollte die Macht des Chaos in mir aufnehmen. Sie beherrschen und mich von ihr beherrschen lassen. Mir wurde bewusst, dass ich vom unendlichen Paradies und der Hölle zugleich ein eigenes Stück bekommen hatte, und ich war zufrieden. Mit allem versöhnt, rundum erfüllt. Ich brauchte nur morgens aufzuwachen und das Schreien und Krächzen der roten Aras mit den blauen Flügeln zu hören, und mich überkam eine verdammte Lebenslust. Ich schnappte mir die Machete und zog mit den Indios aus Paraguay los, die ich extra angeheuert hatte, und wir hackten uns durch den Dschungel. Stundenlang arbeiteten wir uns voran. Schipperten über den Fluss, beguckten Tukannester und schlugen unter dem freien Himmel unser Lager auf. Wenn die Stechmücken sich auf uns stürzten wie die Geier aufs Aas, zündete ich mir eine Virginia an und dachte daran, dass ich nie wieder in einer stinkigen Zelle dahinvegetieren würde und statt den Kakerlaken jetzt ein saftiges Rindersteak über dem Feuer hatte. Die zierliche Indiofrau eines jungen Maurers aus Paraguay, der hier mit mir sein Glück versuchte, hatte es für uns vorbereitet. Ich lauschte dem Klappern des Zinngeschirrs, kratzte das letzte Stückchen fettigen Fleischs aus dem Kessel und stellte mir Lidka vor, wie sie über das gerodete, grüne Weideland galoppierte, einen Cowboyhut tief in der Stirn, mit kariertem Hemd und den engen Reithosen, die ihr so gut standen. Die Königin des brasilianischen Dschungels, oh ja!
Als auf meinem Landstück der Urwald besiegt war, beließ ich zu Ehren des so zähen Gegners etwa dreißig Prozent der Wildnis in ihrem vorherigen Zustand. Das Getier sollte darin leben dürfen, wie es ihm beliebte. Zwar warnten mich alle Schlaumeier vor den Jaguaren, aber für Jaguare gab es die Flinte, außerdem wagten sie sich nicht zu den brandgerodeten Weiden vor. Ab und zu erwischte mal einer ein Rind, aber dann war es nicht schwer, ihn aufzuspüren, dafür hatte ich meine Indianer. Und auf dem restlichen Land säte ich Gras aus, das zähe, dicke Halme hatte und so wohlgenährt aussah wie meine weißen und schwarzen indischen Stiere mit ihren Hörnern, für die sich selbst Beelzebub nicht schämen müsste. Und ich baute ein kleines Haus, mit einem roten Ziegeldach wie bei uns in der Heimat, strich es eigenhändig gelb an und zeigte es Lidka. Und Lidka nickte. Ein Moment, der so glücklich war wie der, als ich aus meiner Zelle herauskam. Und dann machte ich weiter. Haute, schlug und hackte mit meiner gewetzten Machete, schoss auf Anakondas, machte duftende Holzkohle aus den tropischen Riesenbäumen, die auf meinem Grundstück keinen Platz hatten. Ich war ein Raubtier, voll der kraftvollen Säfte dieses unendlichen Landes, das mein Land war. Ich verspürte nicht die Trauer des Verbanntseins, nicht die Scham und die Gewissensbisse der widerrechtlichen Eroberer, es war mein Leben und nur meines, und ich hatte nicht die Absicht, es mir durch irgendwelche Eifersüchteleien, Erinnerungen oder andere Spezialitäten verweichlichter Städter mit zarten weißen Händchen verhunzen zu lassen. Ich war kein lächerlicher Lala, der zurückblickte!
Trotzdem musste ich dann eines Tages zurückblicken. Als ich nämlich mit Lidka in die Staaten reiste und mir aus Höflichkeit diesen Tastenhelden anhören musste. Er gab in New York ein Konzert und ich brachte es nicht über mich, Lidka den Konzertbesuch zu verbieten. Also gingen wir dorthin, die ganze Familie. Ich ließ mir nichts anmerken, tat so, als wäre alles vergessen und vorbei, aber insgeheim verspürte ich das tiefe Verlangen, dem Kerl mit dem Bullenkastriermesser die Eingeweide herauszuholen. Und dann wollte Lidka auch noch mit ihm sprechen! Ich wusste, wenn ich jetzt Nein sage, würde es alles nur schlimmer machen. Aber natürlich wurde ich gar nicht erst nach meiner Meinung gefragt, weshalb ich sie auch nicht äußern konnte. Dann verschwand Lidka für eine Ewigkeit mit ihm hinter der Bühne, so lange wie ein endloser Sommer, Herbst und Winter zusammen, und ich dachte, ich komme nie mehr über diese Sekunde völliger Ohnmacht hinweg. Es fühlte sich an wie bei meiner Verhaftung, wie als mir ein SS-Mann in den Magen trat, es war die Todesstrafe, die die ganze Zeit meiner Gefangenschaft über mir geschwebt hatte. Und dann war’s auf einmal vorüber. Als hätten sie mich freigelassen, als hätte ich mich selbst befreit.
LUDMILA
Augen und Briefe
Rudi hat mir gestern geschrieben. Einen Brief, der so resigniert wie gefasst klingt. Ich bin außer mir. Wie kann er nur so wenig kämpfen? Wie kann er solche Briefe schreiben!? So voller Liebe, hinter der ich Gleichgültigkeit spüre. Ich spüre sie auf wie ein Jagdhund den Fuchs, der zitternd im Dunkel des Holunderbuschs kauert und nicht weiß, in welche Richtung er fliehen soll. Auch Rudis Schrift sieht danach aus. Klein, zusammengedrängt, schwer leserlich, und auch der Schmerz lässt sich nur schwer herauslesen, über den er so ergeben und gefasst schreibt, dass er papieren wirkt. Ist das überhaupt wahr oder nur eine verfeinerte Art von Höflichkeit? Warum kann die Weltbegabung Rudolf Firkušný nicht der Räuber Nikola Šuhaj sein, der mich entführt, der sich durch Flüsse und Meere, Ozeane und Kontinente hindurchschlägt, um sich mit mir in einer kalten Höhle zu verstecken, wo wir über einem Feuer Fladen rösten und das noch rohe Fleisch des Wildes verzehren, das wir über Berg und Tal gehetzt und dann mit bloßer Hand erlegt haben?
Rudi ist ein Künstler. Ein berühmter, auch wenn sein Stern noch im Aufgehen ist. Er schreibt mir auf dem feinen Briefpapier teurer amerikanischer Hotels. Und ich bin die Tochter eines Großunternehmers im Exil, des Pioniers eines weltweiten Schuhimperiums,