Mit Baťa im Dschungel. Markéta Pilátová

Mit Baťa im Dschungel - Markéta Pilátová


Скачать книгу
Jahre später, als in unser Haus eingebrochen wurde und die Diebe die Brosche und den Ring mitnahmen. Ich fand es aber nicht so schlimm, denn im Wohnzimmer hing immer noch das Bild, auf dem die Schmuckstücke zu sehen sind. Und Mama sieht immer noch so schön damit aus. Während der Porträtsitzungen fühlte ich mich in meinem rosa Kleid und mit den perlenfarben lackierten Nägeln wie das Dornröschen aus dem tschechischen Märchenbuch. Vielleicht war ich es auch, und der Ungar war in Wahrheit die gekränkte böse Fee, die mir eine Rose reichte, an deren Dorn ich mich stach, denn ich bin bis heute nicht aus der Sehnsucht nach dieser Zeit aufgewacht. Mama trug über dem Kleid ein schwarzes Samtcape und hatte ihr kastanienbraunes Haar aus der Stirn gekämmt, was ihr ein stolzes und majestätisches Aussehen gab. Ihre blauen Katzenaugen schauen mich noch immer unverwandt an.

      Allerdings sah es damals so aus, als sollte dieses Bild niemals uns gehören. Der ungarische Maler wurde und wurde nicht damit fertig. Zuerst ließ er nicht von sich hören, dann behauptete er, die Farben müssten erst noch richtig fest werden, dann meinte er, er sei nicht zufrieden und wolle das ganze Bild noch einmal neu malen. Und schließlich erklärte er, er werde uns das Bild nicht geben, weil es sein Meisterwerk sei. Mama hatte ihn allerdings auch schon meisterlich im Voraus bezahlt, weshalb das Bild ihr zustand. Er weigerte sich jedoch hartnäckig und erklärte, er könne nicht auf sein Meisterwerk verzichten, dieses Gemälde besitze für ihn einen unschätzbaren Wert, das Geld könne er freilich auch nicht zurückzahlen, weil er es nicht mehr habe. Mama hatte nicht das Herz, mit ihm zu streiten, weshalb sie lieber meinen Onkel Dragoslav zu ihm schickte, diesen hochgewachsenen, gebildeten Serben und ehemaligen Partisanen, der mit seiner tiefen Stimme sehr langsam, sehr widerwillig und sehr eindringlich sprach. Niemand würde sich wünschen, ihm ins Gehege zu kommen. Ich weiß nicht, was mein serbischer Onkel damals zu Stevan Kis sagte. Aber vielleicht waren seine wuchtige Gestalt und seine mächtigen Schaufelhände Argumente genug, um den armen Ungarn zu überreden, ihm das Bild herauszugeben. Als es dann schließlich in unserem großen Haus in São Paulo hing, sah es so aus, als hätte die Wand, an der es befestigt war, nur darauf gewartet. Obwohl der Bildhintergrund und der schwere, goldgesäumte Rahmen dunkel waren, begann der ganze Salon zu leuchten. Heute habe ich ein etwas schlechtes Gewissen wegen der Sache und denke, ich sollte die Geschichte des alten Ungarn kennen, dem wir womöglich mit Gewalt das Bild abgenommen hatten, das uns gehörte. Kann einem überhaupt ein Gemälde gehören, darf man sich ein Meisterwerk aneignen, von dem sich der Künstler nicht trennen will? Hätten wir ihm das Bild überlassen sollen? Sollte Mamas Liebenswürdigkeit Grenzen gehabt haben?

       DER UNGARISCHE MALER

      Dieses Bild war mein letztes, Schluss, aus, Feierabend. Deshalb wollte ich es nicht herausgeben. Es war meins, mochte die Dame noch so viel dafür bezahlt haben. Diese schöne Frau, die niemals mir gehören würde, aber wenigstens auf dem Bild mir gehören konnte. Ihre blauen Augen, die halb entblößten Schultern unter dem schwarzen Samt. Sie war mir schon auf dem Schiff aufgefallen. Die Île de France war ein riesiger Dampfer, und ich hatte für die Überfahrt meine ganzen Ersparnisse ausgegeben. Wie alle anderen Passagiere waren auch sie Flüchtlinge. Und noch eine andere schöne und traurige Dame hielt sich mit ihnen auf dem Schiff auf. Ich kannte ihren Namen, Hedvika Waldesová, genannt Ička. Ihr Mann besaß eine Gemäldegalerie, und sie hatte oft die Bilder dafür ausgesucht, hatte seinen Kunstgeschmack verfeinert. Man musste ihr gefallen, um in der Sammlung der Waldes zu landen, darüber kursierten ganze Legenden. Aber die Waldes kauften im Wesentlichen tschechische Künstler. Außerdem hatte ich, was meine Kunst betraf, im Grunde längst aufgegeben. War bequem geworden, hatte mich komfortabel an der Akademie eingerichtet, wo ich mich auf meinen Lorbeeren und den duckmäuserischen Komplimenten der tumben Studentlein ausruhen konnte. Aber als ich da auf dem Schiff Ička Waldesová sah, erwachte in mir ein längst erloschenes Feuer. Sie war so traurig, und ich wollte sie unbedingt malen. Nicht weil sie reich war, nicht weil ich in ihrer Prager Gemäldegalerie hängen wollte, in die jetzt ohnehin die Nazioffiziere pissten, sondern weil ihre Trauer festgehalten werden musste … Also machte ich jeden Tag wenigstens ein paar heimliche Skizzen von ihr. Sie bemerkte es nicht oder tat so, als würde sie es nicht bemerken. Als ich das Land verlassen hatte, hatte ich mich schon damit abgefunden, dass ich nichts Bedeutendes mehr erschaffen würde, etwas, was die Mühe wert war, ein Bild, das niemanden darüber in Zweifel ließ, dass ich da gewesen war, dass ich gemalt hatte. Und das war in Ordnung, verdammt noch mal, es machte mir nichts aus. Es machte mir nichts aus, Budapest zu verlassen, eine Stadt, an der mir nie besonders gelegen war. Eine Stadt wie jede andere – ob hier, ob dort, völlig einerlei … Nur Wien mochte ich. Diese modrige Pracht, diese Zurschaustellung des schlechten Geschmacks. Adolf Loos hatte dort etwas verändern wollen, und ich war ein großer Anhänger von ihm, aber nur die Juden verstanden seinen Feldzug gegen die Schlangenlinien und Ornamente und gaben ihm Aufträge, und nun ja, das war jetzt nicht mehr gültig. Nichts war mehr gültig auf diesem Schiff, auf dem wir alle noch die Europäer spielten, erhabene Parias, Unberührbare, die sich jenseits des Kastensystems unserer Zielländer befanden, immerhin liefen wir ja nicht davon, wir waren keine Ratten, die das sinkende Schiff verließen, waren keine Feiglinge, wir fuhren nur auf eine Art Urlaub, erholten uns nur ein Weilchen von den Unbilden und Heimtücken des Schicksals, anschließend würden wir ganz gewiss wieder zurückkehren, sobald jemand für uns zu Hause die Dinge in Ordnung gebracht und alle Schlachten geschlagen hätte.

      Also saßen wir um das Wasserbassin herum, tanzten unter dem Sternenhimmel Walzer und aßen auf Silbertellern zu Mittag. In unserem Gepäck außer Angst auch Wut – zumindest in meinem. Schließlich hätte ich bis in alle Ewigkeit talentierte Söhnchen und Töchterchen auf der Akademie unterrichten und am Wochenende hübsche Kurven malen können, die gut geheiratet hatten, Honoratiorensprösslinge, gelegentlich einen moppeligen Bankier, und ich hätte ausgesorgt. Doch dann wurde mein jüdischer Nachname störend, und dank der vornehmen Damen, deren Gatten an den richtigen Stellen saßen, erfuhr ich rechtzeitig, dass es mit der Gemütlichkeit aus und vorbei war, finito.

      Wenn ich geglaubt hatte, dass man sich in Brasilien um meine Bilder reißen würde, hatte ich mich getäuscht. Keiner verstand hier, warum er dafür zahlen sollte. Für die Menschen hier war Kunst ein so nichtssagender Begriff wie Weltraum oder Muckelsdorf. Die Europäer vom Schiff hatten sich in alle Winde zerstreut und versuchten sich eine eigene Existenz aufzubauen – Gemälde fürs Wohnzimmer waren da das letzte Problem, das sie beschäftigte. Oder sie hatten in Holzkisten schon ihre eigenen Bilder mitgebracht und keinen Bedarf an neuen. Ich ging mit den Preisen runter, erniedrigte mich, doch nichts davon half. Selbst einen anderen Namen legte ich mir zu. Ich dachte, mein Name, der in der Heimat berühmt war, würde mir hier nur Pech bringen, und stellte mir vor, wenn ich mich anders nenne, würden die Musen, die meinen alten Namen nicht mehr hören konnten, mich wieder aufsuchen. Ich erniedrigte mich sogar so weit, dass ich auf dem Platz vor der Kathedrale Karikaturen anfertigte … und dann gab ich’s auf. Verkroch mich in mein möbliertes Zimmer, legte mich ins Bett und wartete. Fragen Sie nicht, worauf. Ich hatte einfach aufgegeben, konnte nicht mehr. Und da klopfte es an der Tür, und dort stand sie. Ich erkannte sie sofort wieder. Sie hinkte auf einem Bein, was erst eine wahre Göttin aus ihr machte. Wer sich nicht mit Kunst beschäftigt oder sowieso keinen Geschmack besitzt, wird nicht verstehen können, was ich meine, aber diese kleine Unvollkommenheit, dieser Hinweis darauf, dass Schönheit niemals Perfektion bedeutet, machte sie zu einem echten Kunstwerk. Sie kam herein, stellte sich vor und fragte mich, ob ich sie und ihre Tochter malen könne; sie habe gehört, ich sei einer der besten Porträtmaler Europas und hätte derzeit nicht viele Aufträge. Sie wusste sehr wohl, wer ich war, benutzte aber dennoch meinen neuen Namen. Sie sprach mit Respekt, mit jener Grazie, die man in Wien pflegte, und so wienerisch war auch ihr Deutsch. Zugleich war sie eine gute Geschäftsfrau – natürlich, die Tochter ihres Vaters. Ich antwortete, ich würde sie und ihre Tochter malen, aber nur zu dem Preis, den man mir in Europa gezahlt hätte, denn wie sie schon richtig gesagt habe, sei ich ein ausgezeichneter europäischer Porträtmaler und nicht irgendein Pinselheinrich aus dem Urwald. Dass wir Deutsch miteinander sprachen, war eine Erleichterung für mich, denn ich weigerte mich, das hiesige Kauderwelsch zu benutzen, diese ganzen Nasale, die sich französisch gaben, dazu das halbkehlige R und eine Grammatik, die schon jeder Logik entbehrt hatte, als man in dieser Sprache das erste Mal »Mama« sagte. Ich redete also und redete, palaverte wie verrückt auf


Скачать книгу