Der letzte Tanz im Paradies. Jürgen Petschull

Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull


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      Erschrocken über diese dramatische Eröffnung des Gespräches atmet Sebastian Kleine tief ein. Theobald Kolber schlürft lautstark an seiner heißen Kaffeetasse.

      »So geheimniskrämerisch kenne ich dich gar nicht, Johan, nun sag schon, was ist denn los?«

      Godeffroy zieht einen kleinen Tabaksbeutel hervor, öffnet zwei Knoten der Verschnürung und schüttet den Inhalt auf die grüne Lederplatte. Dann pickt er mit einem Zeigefinger drei nagelkopfgroße, mattgläserne Steinchen aus einem Häufchen feinem Sand heraus und schiebt sie in die Tischmitte.

      »Was ist das?« Theobald Kolber reibt ein Steinchen prüfend zwischen den Kuppen von Daumen und Zeigefinger und schnuppert sogar daran.

      »Das sind Diamanten, echte Diamanten, ich habe sie von einem befreundeten Juwelier untersuchen lassen.«

      Theobald Kolber und Sebastian Kleine blicken hin und her, von Godeffroy zu den grauen Diamanten und wieder zurück. Kolber hält eines der Steinchen gegen das scharfe Licht, das durch ein Bullauge in die Kapitänskajüte fällt.

      »Bei dem Projekt das ich besprechen will, geht es um Steine wie diese hier – möglicherweise um Kilo oder Zentner solcher Rohdiamanten, vielleicht sogar um eine der größeren Diamantenminen der Welt ...«

      Godeffroy streicht ein gefaltetes, mit verschiedenen, farbigen Bleistiftstrichen bemaltes Blatt Papier glatt und fährt mit dem Fingernagel darauf herum. Dann rollt er eine Landkarte von Deutsch-Neuguinea auf dem Tisch aus und legt die Skizze daneben.

      »Das hier ist die Blanchebai mit der Gazelle-Halbinsel auf Neupommern, der größten Insel des Bismarckarchipels. Und hier liegt Herbertshöhe mit unserer Kolonialverwaltung, daneben die katholische Missionsstation Vunapope, und dort ist auch Gunantambu eingezeichnet, das Anwesen von Queen Emma.«

      Theobald Kolber kenne die Örtlichkeiten ja sehr genau, besonders Gunantambu, sagt Godeffroy mit einem kleinen Lächeln für Sebastian Kleine.

      Er deutet auf ein rotes Oval ziemlich in der Mitte des Skizzenblattes, in das ein Vulkan eingezeichnet ist. Darunter steht der Name »Varzin«.

      »Das hier ist ein Gebiet von zirka zehn Kilometern Durchmesser, das sich um den Vulkan herumzieht. Und diese drei kleinen Steinchen hier sollen irgendwo in dieser unwegsamen und urwaldreichen Gegend gefunden worden sein, in der noch immer einige Kannibalen leben.«

      Theobald Kolber klopft geräuschvoll seine erkaltete Pfeife in einem an der Tischplatte angeschraubten Kristallaschenbecher aus. »Der Varzin ist ein erkalteter Vulkan, den unsere Leute nach dem Sommerdomizil von Reichskanzler Bismarck in Pommern benannt haben. In der Gegend siedeln einige wilde Stämme der Tolai, die widersetzen sich ziemlich hartnäckig den Bekehrungsversuchen unserer christlichen Missionare.«

      Oben an Bord ertönen Kommandos und die Stimme des Kapitäns, der offenbar einen seiner Leute lautstark zusammenstaucht. Hinter einem der drei Bullaugen in der Kapitänssuite ist der Turm der Michaeliskirche zu sehen. Der Michel verschiebt sich Zentimeter für Zentimeter von links nach rechts und verschwindet allmählich aus dem Blickfeld der drei Männer. Die Emily Godeffroy hat abgelegt. Am Ufer spielt eine Kapelle »Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus ...« Die Signalhörner der umliegenden Dampfer, Barkassen und Großsegler veranstalten einen gewaltigen Lärm.

      »Ja und? Was bedeutet das alles für uns?«, schreit Kolber gegen den Krach an.

      Godeffroy wartet mit seiner Antwort, bis der Geräuschpegel wieder sinkt.

      »Das Fundgebiet dieser Diamanten und das umliegende Land sind mir über einen englischen Bankier für eine Million Pfund Sterling zum Kauf angeboten worden. Nach einem Gutachten sollen dort ähnliche mineralogische Bedingungen herrschen wie in den Diamantenminen von de Beers in Südafrika. Mit anderen Worten: Wenn dieses Stück Land hier in Neuguinea auch nur zu einem Bruchteil so ertragreich sein sollte wie die südafrikanischen Diamantenfelder, so wäre das ein Geschäft, das meine wirtschaftliche Vorstellungskraft übersteigen würde – und das, obwohl ich in meinem Geschäftsleben schon eine Menge Fantasie entwickelt habe.«

      Theobald Kolber klopft seine Pfeife aus.

      »Verstehe ich dich richtig, Johan Cesar, das Haus Godeffroy will in großem Stil in das Diamantengeschäft einsteigen – und dein Generalbevollmächtigter und Freund Theobald Kolber hört mal eben so nebenbei etwas davon, beim Auslaufen unseres Schiffes?«

      »Wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, ja.«

      »Warum erfahre ich davon erst jetzt, unter diesen ... diesen etwas merkwürdigen und gehetzten Umständen?« Kolber klopft noch heftiger gegen den Aschenbecher. Sebastian Kleine spürt, wie die Atmosphäre immer gereizter wird. Godeffroy vermeidet es, Theobald Kolber anzusehen.

      »Weil ich selber erst seit gestern Abend von diesem Diamanten-Projekt weiß, seit gerade mal zwölf Stunden. Ich habe eine schlaflose Nacht lang darüber nachgedacht – und über die gesamte wirtschaftliche Situation unseres Hauses ...«

      Kolber unterbricht ihn.

      »Aber von Diamanten verstehen wir doch nichts, wir handeln mit Stahl und mit Kupfer, mit Schiffen von unserer Werft und mit Kokosnüssen aus dem Pazifik. Diamanten? Davon haben wir doch keine Ahnung! Schon gar nicht von Diamantenminen und deren Ausbeutung! So ein Geschäft ist für uns ein unkalkulierbares Risiko – haben wir das wirklich nötig? Geht es uns so schlecht? Musst du deinen Ruf und die Existenz der Firma tatsächlich auf so ein Vabanquespiel setzen?«

      Kolber schiebt seine kalte Pfeife zwischen die Zähne und kaut mit verkniffenem Gesichtsausdruck auf dem Stiel herum. Dabei blickt er Godeffroy an, als zweifele er an dessen Verstand.

      Godeffroy zögert, bevor er sich an Sebastian Kleine wendet. »Darf ich Sie bitten, uns für eine Weile allein zu lassen, Herr Kleine, ich muss offenbar mit meinem alten Freund und Partner ein paar persönliche Dinge besprechen, bevor wir wieder sachlich auf diese Angelegenheit hier zurückkommen können, für die wir Sie dann dringend brauchen werden.« Godeffroy deutet dabei auf die drei Diamanten im Tabakshaufen. »Warten Sie in der Nähe der Brücke. Ich lasse Sie wieder rufen!«

      Sebastian Kleine geht an Deck. Nervös lehnt er sich an die Reling und beobachtet das geschäftige Treiben im Hafen und auf dem Elbstrom, während die Emily Godeffroy von der Strömung getrieben gerade in Höhe von St. Pauli am Elbufer entlanggleitet. Da oben liegt die Reeperbahn und dort ist die Außenstelle der Hamburger Criminalpolizei, in der er Tatverdächtige verhört, Ermittlungsakten bearbeitet und Berichte geschrieben hat. Wie oft hat er von da oben aus sehnsüchtig den auslaufenden großen Seglern hinterhergesehen? Unter seinen Füßen hört er hin und wieder gedämpft die Stimmen von Godeffroy und Kolber, aber er kann kaum ein Wort verstehen.

      Die beiden Männer sitzen sich an der Tischplatte gegenüber, vorgebeugt und angriffslustig wie zwei Kampfhähne, die gleich aufeinander einhacken werden. Der kurzsichtige Godeffroy blickt über seine Brille hinweg und hält den Plan des Diamantenfundortes wie einen Schutzschild in der Hand. Kolber stopft seine Pfeife, zündet den Tabak ein wenig zittrig mit einem langen Streichholz an und stößt dicken Qualm aus, der wie eine Gewitterwolke unter der Holzdecke des niedrigen Raumes hängen bleibt.

      »Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragt Godeffroy.

      »Lange genug. Vielleicht schon ein paar Jahre zu lange«, sagt Kolber wütend.

      Godeffroys Gesichtszüge versteinern. Empört sieht er Kolber an. Der versucht schnell eine versöhnliche Geste, seine entschuldigend vorgeschobene Hand bleibt auf halber Strecke auf der Tischplatte liegen. Minutenlang starren sich die beiden Männer wortlos an.

      Ihr besonderes Verhältnis hat früher ihre Mitschüler, später die Mitarbeiter von Godeffroy & Sohn und die Hamburger Gesellschaft beschäftigt. Der reiche Erbe Johan Cesar Godeffroy und Theobald Kolber, der Sohn einer aufstrebenden kleinen Kaufmannsfamilie, hatten dieselbe Schule besucht, wenn auch verschiedene Klassen. In dem Lübecker Gymnasium, in das Hamburger Kaufleute und Bildungsbürger ihre Söhne zu schicken pflegten, war der ältere Johan Cesar Godeffroy immer der nachdenklichere, körperlich schwächere von beiden. Nicht selten wurde der Abkömmling


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