Der letzte Tanz im Paradies. Jürgen Petschull

Der letzte Tanz im Paradies - Jürgen Petschull


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Theobald Kolber einmal so kräftig dazwischengehauen hat, dass gleich drei Jungen mit blutenden Nasen und geschwollenen Augen die Flucht ergriffen. Bei der anschließenden Strafverhandlung beim Rektor trat Godeffroy so eloquent für seinen neuen Freund ein, dass der Schüler Theobald Kolber mit einer Ermahnung davonkam.

      Seither sind die Jugendfreunde gemeinsam durchs Leben gegangen. Sie saßen auch tatsächlich in einem Boot: im Vierer mit Steuermann des feinen Hanseatischen Ruderclubs an der Alster. Der junge Godeffroy gab als Steuermann die Fahrtrichtung an, und Theobald Kolber bestimmte als Schlagmann das Tempo. So sind sie mit ihrem Boot Hamburger Juniorenmeister geworden. Und so ist es im Prinzip geblieben, auch nachdem sie mit dem Rudern aufgehört hatten: Nachdem Johan Cesar Godeffroy von seinem Vater das Kommando des Familienunternehmens übernommen hatte, stellte er den gelernten Kaufmann Theobald Kolber als Prokuristen ein. Und wie früher gab Godeffroy die Ziele vor, und Theobald Kolber bestimmte die Geschwindigkeit, mit der sie erreicht wurden.

      Er trieb vor allem das Südseegeschäft voran. Er lebte selber auf den Inseln des Pazifik, organisierte den gewinnträchtigen Handel mit Kopra, erst auf Samoa, dann auch auf den Inseln des Bismarckarchipels und in Neuguinea. Unter Kolbers Leitung wurde der Südseehandel zum ertragreichsten Geschäftszweig des Godeffroy-Konzerns. Mehr als dreißig Frachtsegler beförderten Jahr für Jahr viele tausend Tonnen von Waren zwischen der Elbe und dem Pazifik hin und her. Knapp fünfzig Handelsniederlassungen, für die Hunderte von einheimischen Arbeitern beschäftigt waren, hat Theobald Kolber für das Haus Godeffroy in der Südsee eingerichtet. Godeffroy ernannte seinen Freund zum Generalbevollmächtigten und machte ihn auch mit 15 Prozent Gewinnbeteiligung zum Partner einer neu gegründeten »Südseehandel AG«. So ist Theobald Kolber ein reicher Mann geworden, der sich von einem renommierten dänischen Architekten eine weiße Villa in bester Hamburger Stadtlage bauen lassen konnte: an der »Schönen Aussicht« an der Außenalster. Und er konnte sich auch eine zum Haus und zu seinem Lebensstil passende hanseatische Frau leisten, die verwöhnte Bankierstochter Helena.

      Helena Kolber hatte sich geweigert, ihren Ehemann auf die »von Malariamücken verseuchten und von Menschenfressern bevölkerten Inseln des Pazifik« zu folgen. Damit war die Ehe eigentlich beendet, wurde jedoch zum Schein noch jahrelang aufrechterhalten. Godeffroy hatte es als einer der Ersten erfahren, als Helena Kolber die Scheidung einreichte. Umgekehrt wusste Theobald Kolber von den Problemen, die Godeffroy mit seinen erwachsenen Kindern hatte, die er als Nachfolger und Erben für ungeeignet hielt. Die Freundschaft der beiden Männer hatte im Laufe der Jahrzehnte alle Stürme und Flauten überstanden. Und wenn es wirklich ernst wurde, hat der eine immer die Nähe des anderen gesucht.

      »Also noch einmal: Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragt Godeffroy, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.

      »Ich habe nachgerechnet: Seit 38 Jahren, sieben Monaten und ein paar Tagen – seit wir uns kurz nach meinem 15. Geburtstag zum ersten Mal auf dem Schulhof in Lübeck begegnet sind«, sagt Kolber in die Stille. Das Elbwasser gluckert hörbar gegen die äußere Bordwand.

      »Habe ich dich in dieser Zeit jemals hintergangen? Hast du einen Grund gehabt, an meiner Loyalität, an meinem Vertrauen, an meiner Freundschaft zu zweifeln?«

      Theobald Kolber schweigt die Tischplatte an.

      »Und jetzt, Theobald, jetzt brauche ich nach langer Zeit wieder einmal deinen Rat und deine Hilfe in einer Angelegenheit, in der es für mich, für unser Unternehmen und vielleicht auch für dich um Sein oder Nichtsein geht.«

      Kolber blickt auf.

      »So pathetisch?«

      Kolber kippt seinen inzwischen kalten Kaffee in einem Zug hinunter und stellt die Tasse hart auf den Tisch.

      »Eigentlich könnte ich jetzt einen doppelten Schnaps gebrauchen – also Schluss mit der Präambel: Was hat das zu bedeuten, Johan Cesar? Warum weihst du mich erst jetzt in dieses dubiose Diamantengeschäft ein? Warum hast du bei unserer Geschäftsbesprechung vor zwei Tagen noch kein Wort darüber verloren? Warum dieses überfallartige Gespräch?«

      »Aus zwei Gründen, um dir gegenüber wie immer ganz offen zu sein: Erstens, weil es um unser Haus heute dramatisch schlechter bestellt ist, als mir selber noch vor zwei Tagen bekannt war. Seither haben mir unsere Buchhalter und die Bankiers neue Bilanzen und Prognosen vorgelegt. Wir sind bis über die Wasserlinie verschuldet, und wenn wir nicht mit vereinten Kräften alle Lenzpumpen anwerfen, dann wird die ganze Firma Godeffroy & Sohn mitsamt ihrem Generalbevollmächtigen Theobald Kolber absaufen, wie unser leckgeschlagener Frachtsegler vor sieben Monaten auf den Klippen hinter dem Kap der guten Hoffnung.«

      Kolbers Wut wandelt sich in Bestürzung.

      »Ich hoffe, du machst keine Witze ... Ich dachte, die Barings Bank hat einen neuen Millionenkredit für die Modernisierung der Stahlwerke und Werften zugesagt und auch für die Übernahme der gesamten Kokosnussplantagen von Queen Emma auf der Gazelle-Halbinsel? Das hast du jedenfalls vorgestern noch gesagt!«

      »Davon war ich auch bis gestern noch überzeugt. Aber die Barings-Leute machen plötzlich große Probleme, sie fordern immer mehr Sicherheiten. Ich musste ihnen sogar schon das Museum als Sicherheit abtreten. Und trotzdem haben die Engländer gestern unsere Kreditlinien dramatisch gekürzt, angeblich weil einer ihrer Londoner Großkunden Insolvenz angemeldet hat. Sie befürchten weitere Pleiten, und wir sind einer der Kandidaten, die ihnen Sorgen machen. Wie du ja weißt, Theobald: Wir haben seit einem Jahr kein eigenes Kapital mehr für notwendige Neuinvestitionen – die Konkurrenz im In- und Ausland kann billiger produzieren und liefern als wir. Offen gesagt habe ich schon seit ein, zwei Jahren unsere Lage falsch eingeschätzt, um es vorsichtig auszudrücken. Wir haben die technische Entwicklung in der Stahlproduktion und in der Werftindustrie verschlafen ... Und leider fallen die Werte unserer amerikanischen Aktienbeteiligungen dramatisch, und dass die Preise für Kopra auf lange Sicht sinken werden, weißt du ja selber am besten.«

      In guten Zeiten, das weiß Kolber natürlich, hat eine Tonne Kopra 500 Mark gebracht, jetzt zahlen die Ölmühlen bereits ein Viertel weniger, weil inzwischen auch aus anderen Rohstoffen Öle und Fette vergleichbarer Qualität für die Produktion von Haushaltsfetten und Kosmetika gewonnen werden können.

      Trotzdem ist er verärgert. Seine Halsschlagader pocht, sein Gesicht läuft rot an, während er redet.

      »Als dein leitender Angestellter, dein Geschäftspartner und dein Freund erfahre ich also ganz beiläufig, dass wir möglicherweise kurz vor der Pleite stehen – und du willst für hunderttausend Pfund Sterling, also für immerhin zwei Millionen Goldmark, ein ominöses Stück Dschungel in Neuguinea kaufen, in dem angeblich solche Steinchen hier gefunden werden ... Mit welchem Geld denn bitte schön, Johan Cesar?«

      Kolber ballt seine Hand um die englische Kaffeetasse, als wolle er sie gegen die mahagonigetäfelte Wand der Kapitänssuite schleudern.

      »Nun halt aber mal die Luft an, Theobald.«

      »... und warum wollen die englischen Banker dieses angeblich so vielversprechende Diamantengeschäft nicht selber machen oder mit ihren britischen Landsleuten, sondern ausgerechnet mit Godeffroy & Sohn? Lässt du dich etwa unter Druck setzen – oder sogar erpressen?«

      »Ich verbitte mir solche Unterstellungen, Theobald!«

      »Würdest du meine Frage beantworten!«

      »Weil diese britischen Banker etwas von Geld verstehen, aber keine Erfahrung mit anderen Geschäften haben. Deshalb vermitteln sie uns dieses Diamanten-Geschäft. Barings ist bereit, sich als Geldgeber und stiller Minderheitsgesellschafter an einer von uns gegründete Diamanten-Gesellschaft zu beteiligen, das hat mir mein Gewährsmann glaubhaft versichert. Vorausgesetzt, die professionelle und industrielle Ausbeutung des Diamantenvorkommens an diesem Vulkanberg verspricht tatsächlich, ein großes Geschäft von internationaler Bedeutung zu werden – und genau das sollst du eben herausfinden, Theobald, zusammen mit dem jungen Herrn Kleine.«

      Vom Deck ist die barsche Stimme des Kapitäns zu hören, der offenbar einem seiner Männer die Anweisung gibt, das Tau am Bug der Emily Godeffroy richtig festzumachen.

      Theobald Kolber deutet auf die Zeichnung des Diamanten-Fundgebietes,


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