Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020. Jürgen Thaler

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Sakraler Beamter, Priester.

      — Napoleon: Napoleon Bonaparte (1769 – 1820). Französischer General und Kaiser der Franzosen.

      — Planken: Regale.

      — Ulstermantel: Schwerer Stadt- oder Sportmantel für Herren. Stoffgewicht über 650 Gramm.

      — Styx: In der griechischen Mythologie ein Fluss der Unterwelt sowie eine Flussgöttin. Sie trennte die irdische Welt von dem Totenreich des Hades. An seinen Ufern sollen die Götter gesessen haben.

      — Elyseischen Feldern: Auch: Elysische Felder. Die von Goll gewählte Frage ist nicht eindeutig zu klären. Die 1789 so benannte Strasse Champs Elysées in Paris bedeutet: Allée der elysischen Felder.

      Nachwort

      Es gibt keine Autobiographie von Yvan Goll. Sein Werk ist seine Autobiographie. Seine früheste autobiographische Äußerung stammt aus der 1919 von Kurt Pinthus edierten Lyrik-Anthologie Menschheitsdämmerung: „Iwan Goll hat keine Heimat: durch Schicksal Jude, durch Zufall in Frankreich geboren, durch ein Stempelpapier als Deutscher bezeichnet. Iwan Goll hat kein Alter: seine Kindheit wurde von entbluteten Greisen aufgesogen. Den Jüngling meuchelte der Kriegsgott. Aber um ein Mensch zu werden, wie vieler Leben bedarf es. Einsam und gut nach der Weise der schweigenden Bäume und des stummen Gesteins: da wäre er dem Irdischen am fernsten und der Kunst am nächsten.“

      Den Namen Iwan Goll hatte sich der 1891 als Isaac Lang in Saint-Dié-des-Vosges Geborene schon 1915 zugelegt. Bereits im Oktober 1911 zeichnete er einen Brief an Max Brod mit Iwan Lazang. Drei Vornamen-Pseudonyme, 15 Nachnamen-Pseudonyme: Das lebenslange Unbehaustsein des Isaac Lang lässt sich deutlicher nicht zeigen. Während er sich mit Pseudonymen maskierte, erhob er in seiner Dichtung jedoch den Anspruch auf Klarheit: „Ein Dichter soll ein Kind seiner Zeit sein.“ Doch schon wenige Monate später schrieb Goll selbstbewusst an Kurt Wolff, den jungen Verleger des ebenso jungen Kurt Wolff Verlags: „Sehr geehrter Herr! Bezüglich meiner Sendungen vom 27. Okt. u. 21. Nov. frage ich Sie ergebenst, was Sie beschlossen haben: ob die Ihnen übersandten Gedichte die Hoffnung haben, mit dem Wasserzeichen versehen Ihre handgreiflichen Objekte werden zu können. Ich würde sicher nicht so drängen, wenn ich nicht verpflichtet wäre, auf anderweitige Anfragen (Bachmair) eine bestimmte Antwort zu geben. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Iwan Lang, cand. jur. (PS: Iwan Lassang).“

      Die Literaturgeschichte zählt Yvan Goll zu den Expressionisten, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg bekannt wurden und die die literarische und kulturelle Entwicklung der nachfolgenden Jahrzehnte stark beeinflussten. Als er 1919 aus der Schweiz nach Paris übersiedelte, fand Goll schnell Anschluss an die französische Avantgarde: Paul Eluard, André Malraux, Louis Aragon, André Breton und Wladimir Majakowski suchten in Paris seine Freundschaft. Seine Zweisprachigkeit war dabei Erleichterung und Hindernis zugleich, wie seine Werke der 1920er Jahre zeigen.

      Am 29. März 1891 in Saint-Dié-des-Vosges als Sohn eines Elsässers und einer Lothringerin geboren, hatte Goll schon früh die Probleme dieses Grenzlandes erfahren. Obwohl Franzose, erhielt er 1909 auf Antrag seiner Mutter die deutsche Staatsbürgerschaft. Er wuchs zweisprachig auf, studierte in Straßburg und Paris. Als ihm nach Kriegsausbruch 1914 die Einberufung in das reichsdeutsche Heer und damit der Kampf gegen seine eigenen Landsleute drohten, flüchtete er in die Schweiz. Sein Leben hielt sich zwischen den Welten oder „zwischen zwei Stühlen“, wie es ein Kritiker 1929 ausdrückte. Heimatlosigkeit im Leben – Heimat im Gedicht, vor allem im frühen Gedicht – vertraute Kindheit im Elsass – Welthunger von bezwingender Vitalität. Der Dichter als immer wieder neues, gewandeltes Ego: Schon mit der zwischen 1912 und 1924 entstandenen Dichtung Der Panamakanal hatte Goll Anschluss an die Literatur des 20. Jahrhunderts gefunden. Es war „eine Lyrik von realistischer Bildhaftigkeit und hymnischer Lebensbejahung“. 1914 erschien sein Requiem. Für die Gefallenen von Europa, die gewaltige Anklage an die kriegführende Menschheit.

      Claire Studer, geboren am 29. Oktober 1890 in Nürnberg, hatte im Jahr 1911 den Schweizer Verleger Dr. Heinrich Studer geheiratet und lebte zunächst mit ihrer 1912 geborenen Tochter Doralies Studer in Leipzig. 1917 wurde sie von Heinrich Studer geschieden und übersiedelte in die Schweiz, um dort Medizin zu studieren. In Genf lernte sie im Frühjahr Yvan Goll kennen. In Zürich lebten beide im Kreis zahlreicher ebenfalls exilierter Schriftsteller und anderer Künstler, in der Hauptsache Dadaisten. Wegen der politischen Turbulenzen verließen sie die Schweiz wieder. Als sie am 1. November 1919 in Paris eintrafen, hatte Goll sich ganz bewusst für Frankreich entschieden.

      Immer schon stand in Golls Dichtung der Mensch im Mittelpunkt: Seine Zeit wird zur Ewigkeit, sein Wort definiert die Welt, Bilder zeichnend von antiker Symbolik und mystischer Klarheit. Drei Themen kristallisieren sich heraus: Liebe, Tod und Unvergänglichkeit. Sie erscheinen in den Gedichten an Claire Studer-Goll, seine ebenfalls dichtende Ehefrau, verwirklicht in den Hymnen an Liane, später den Zehntausend Morgenröten, den Visionen des Todes aus dem Straßburger Münster und dem Pariser Spital, zuletzt in Traumkraut und in Neila. Nach den Turbulenzen des Ersten Weltkriegs folgte für Yvan Goll und für seine Frau Claire (1890 – 1977) ein Jahrzehnt intensiver literarischer Produktivität. Er schrieb mehr und mehr Gedichte in französischer Sprache, die jedoch erst ab 1925 mit den zusammen mit Claire Goll verfassten Poèmes d’amour gedruckt wurden. Mit dem Gedichtband in französischer Sprache, Le Coeur de l’ennemi. Poèmes actuels traduits de l’allemand. Illustrés de 16 bois gravés par Louis Moreau (Paris: Edition de la Revue Littéraire des Primaires LES HUMBLES 1919) und dem zusammen mit Claire Studer-Goll in deutscher Sprache veröffentlichten Band Das Herz Frankreichs. Eine Anthologie französischer Freiheitslyrik (München: Georg Müller Verlag 1920) bewies Goll die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen um die Freundschaft zwischen den beiden immer noch verfeindeten Ländern. Zu den Beiträgern dieser Lyriksammlungen gehörten Johannes R. Becher, Alfred Wolfenstein, Georg Trakl, Franz Werfel und Stefan Zweig auf deutscher Seite und Georges Duhamel, Henri Guilbeaux, Marcel Martinet, Jules Romains und Charles Vildrac auf französischer Seite. An seinen Berliner Schriftstellerfreund Walter Rheiner hatte Goll bereits am 31. Oktober 1919 aus dem Zug Zürich – Paris geschrieben: „Ich teile Ihre unermessliche Sehnsucht nach Paris – und doch ein Schrecken fasst mich, denke ich an alles, was man mir darüber berichtet hat. Zudem bin ich von heute an Franzose – o nur so, meine Seele ist so deutsch, dass kein Paris sie wird ändern können.“

      Seine Vermittlertätigkeit zwischen Deutschland und Frankreich dokumentierte Goll auf einer Ende der 1920er Jahre gedruckten Visitenkarte: „IVAN GOLL. CORRESPONDANT LITTÉRAIRE ET THÉATRAL DU BERLINER BOERSEN-COURIER (BERLIN) – NEUES WIENER JOURNAL (VIENNE) – HAMBURGER ANZEIGER (HAMBURG) – PRAGER TAGBLATT (PRAGUE) – FRANKFURTER GENERALANZEIGER (FRANCFORT) – MUNCHNER NEUESTE NACHRICHTEN (LEIPZIG [sic!]). PARIS XVI – 19, rue RAFFET“. An Ephraim Frisch schrieb er am 20. Juli 1923 aus Paris: „Auf Ihre freundliche Einladung will ich Ihnen gern eine dauernde, regelmäßige Mitarbeit versprechen, und zwar etwa so: alle drei Monate eine allgemeine, kulturelle und künstlerische Übersicht über das Leben in Paris. Ich kann Ihnen z. B. für Ihr nächstes Septemberheft einen ‚Pariser Sommer‘ senden – im Dezember einen ‚Pariser Herbst‘, im März einen ‚Pariser Winter‘, dann den wunderlichen Pariser Frühling: und Sie wissen, keineswegs feuilletonistisch, sondern tiefschürfende Essays, wo irgend möglich.“

      Aus dem „deutschen Franzosen“ wurde in Paris ein „französischer Europäer“. Sozialkritische Romane in deutscher und in französischer Sprache wie Germaine Berton, Le Microbe de l’Or, Die Eurokokke und Der Mitropäer entstanden in dieser Zeit neben drei Bänden Liebesgedichte: Claire et Ivan Goll, Poèmes d’amour. Avec 4 dessins de Marc Chagall. (Paris: Jean Budry et Cie 1925), Claire et Ivan Goll, Poèmes de jalousie. Avec une eau-forte originale de Foujita. (Paris: Jean Budry et Cie 1926), Claire et Ivan Goll, Poèmes de la vie et de la mort. Avec deux radiographies des crânes des poètes. (Paris: Jean Budry et Cie 1927). Eine weitere, bereits gemeinsam mit seiner Ehefrau begonnene Sammlung von Liebesgedichten blieb zunächst ungedruckt wegen seiner seit 1931 bestehenden engen Beziehung zu der österreichischen Lyrikerin Paula Ludwig. Zeugnisse dieser Liebe wurden Golls Chansons


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