Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020. Jürgen Thaler

Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020 - Jürgen Thaler


Скачать книгу
Terre. Poème en 9 chants. (Editions Poésie et Cie, Quai d’Anjou, Paris IV, 1936), Deuxième Livre de Jean sans Terre (Paris: Editions Poésie et Cie, 1938) und Troisième Livre de Jean sans Terre (Paris: Editions Poésie et Cie 1939) noch in Paris in seinem Selbstverlag, den Editions Poésie et Cie, veröffentlicht werden. Ein halbes Jahrhundert nach dieser lyrischen Schaffensperiode von Goll dokumentiert eine vierbändige Sammlung Golls gesamte Lyrik: Yvan Goll, Die Lyrik in vier Bänden. Band I: Frühe Gedichte. 1906 – 1930. Band II: Liebesgedichte. 1917 – 1950. Band III: Jean sans Terre/Johann Ohneland. Band IV: Späte Gedichte. 1930 – 1950. Alle Bände herausgegeben und kommentiert von Barbara Glauert-Hesse im Auftrag der Fondation Yvan et Claire Goll, Saint-Dié-des-Vosges. Berlin: Argon 1996. Die Dramatik der Beziehungen Yvan Golls zu seiner Ehefrau und gleichzeitig zu Paula Ludwig dokumentiert der postum erschienene Briefwechsel zwischen den drei Partnern: Claire Goll, Yvan Goll, Paula Ludwig, „Nur einmal noch werd ich dir untreu sein.“ Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917 – 1966. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Barbara Glauert-Hesse. Göttingen: Wallstein 2013.

      Paula Ludwig wurde im Januar 1900 in Altenstadt (Vorarlberg) geboren. In der 1929 erschienenen Anthologie jüngster Lyrik erklärte sie: „Geboren bin ich im Jahre 1900 in Vorarlberg, mitten im Wald.“ Sie lebte zunächst mit ihrer Mutter in Linz und zog nach deren Tod, 1914, nach Breslau zu ihrem Vater. 1917 lernte sie den Druckereibesitzer und Schriftsteller Walter Rose kennen. Im gleichen Jahr wurde der gemeinsame Sohn Friedel geboren. Nach einer Zeit in München übersiedelte sie mit ihrem Sohn nach Berlin. Als Malerin und mit kunstgewerblichen Tätigkeiten hielt sie sich über Wasser. Erste Gedichte entstanden. Auf einer Abendgesellschaft im Berliner Haus des Schriftstellers Fritz Schwiefert lernten sich Yvan Goll und Paula Ludwig 1931 kennen. Eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit großen Komplikationen war die Folge, denn Goll war bereits verheiratet und lebte in Paris. Nur ein einziges Mal besuchte Paula Ludwig ihn dort. 1934, kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, siedelte sie nach Ehrwald in Tirol über, flüchtete jedoch im März 1938 über Zürich nach Paris. Die folgenden beiden Jahre waren überschattet „von Krankheit, von der Sorge um den Sohn, vom Scheitern gemeinsamer Emigrationspläne mit Iwan Goll“. (Heide Hellwig, „Ob niemand mich ruft“. Das Leben der Paula Ludwig. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt 2002, S. 186).

      Der Krieg zwang Goll und seine Frau im August 1939 zur Flucht in die USA. Am 12. Oktober 1939 berichtete er seinem Freund, dem Schriftsteller Wolfgang Cordan, nach Amsterdam: „Die Grenzen, die Herzen, die Meere haben sich geschlossen. Die Schalmeientöne fegte der Trompetenwind weg … Der polnische Herbst hatte seine blutenden Wälder. Aber im Westen die Buchen sind noch die einzigen, die auf den Schlachtfeldern bluten … Ich bin in Amerika und befrage in Long Island den Schatten Walt Whitmans. Seine weise Stimme streichelt Europas nackte Schulter …“. Goll hatte die sich anbahnende Katastrophe für Europa erkannt und suchte nach Fluchtmöglichkeiten aus Frankreich. Am 13. September 1938 informierte er Claire Goll während einer Reise aus Brüssel: „Hitler hat gesprochen! Die Bombe saust – und fällt nicht ein! Unerträgliches Gefühl. Die Menschen wandern weiter lustig ins Geschäft. In Brüssel ist es, als ginge nichts vor. […] Indes habe ich einen Plan jetzt: wenn es schlimm wird, geht von Anvers aus alle Freitage ein Schiff nach Goutenbourg (Göteborg: Centerwall) und Oslo: das schon am Sonntag dort ankommt, direkte Fahrt noch ohne Hafenanlage, verhältnismäßig nicht teuer, und vorläufig ohne Visa. Von dort aus gibt es direkte Schiffe nach New York. – Da also ist ein Weg, für’s Schnellste.“ Am 26. August 1939 fuhren Yvan und Claire Goll von Paris aus nach Boulogne/s. Mer und bestiegen am gleichen Tag die t. S. S. VEENDAM. Am 1. September 1939 begann Hitlers Angriff auf Polen und damit der Zweite Weltkrieg. Am 3. September 1939 erklärten Frankreich und England Deutschland den Krieg. Auf hoher See hatten Yvan und Claire Goll vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erfahren. Am 6. September 1939 landeten sie auf amerikanischem Boden, in New York, und wurden zunächst als Staatenlose bis zum 18. September in dem Einwandererzentrum Ellis Island interniert. Nach einer Anhörung durch amerikanische Einwanderungsbeamte durften sie nach Hinterlegung einer Kaution von je 500 Dollar in die Stadt New York einreisen. Ihr Aufenthalt im amerikanischen Exil – vorwiegend in New York – dauerte von 1939 bis 1947. Vermutlich erst im Dezember 1940 floh Paula Ludwig nach einem Spanienaufenthalt von Lissabon aus nach Brasilien. Yvan Goll und Paula Ludwig sahen sich nicht wieder. Als sie 1953 nach Deutschland zurückkehrte, erfuhr sie von Golls Tod 1950 in Paris.

      Während des Exils schrieb Yvan Goll eine große Anzahl von Widerstandsgedichten, die in amerikanischen Zeitschriften sowie in französischen und deutschen Exilzeitungen veröffentlicht wurden. Er wurde zwangsverpflichtet und arbeitete drei Jahre lang im Archiv des Office of War Information, New York, Seite an Seite mit André Breton. Dort bereitete er Rundfunksendungen vor, die täglich – und vor allem nächtlich – in das besetzte Frankreich ausgestrahlt wurden.

      Ein besonderes Zeugnis von Golls Zugehörigkeit zu Frankreich stellt das in dieser Sammlung 80 Jahre später abgedruckte Widerstandsgedicht Croix de Lorraine dar („Poème. Caligraphié par Thomas Naegele. Edité par Lucien Vogel. Publié par FRANCE FOREVER. New York. 24. Dezember 1940“). Der kalligraphisch eindrucksvoll gestaltete Text wurde als Weihnachtskarte für 1943 mit dem Wunsch von Claire und Yvan Goll versandt: „Bon Noël. Victoire et Libération pour la Nouvelle Année 1944.“

      Zum wichtigsten Sprachrohr der New Yorker französischsprachigen Emigranten wurde Golls Zeitschrift Hémisphères, betitelt: „Revue Franco-Américaine de Poésie. French-American Quarterly of Poetry“. Am 5. August 1940 erklärte er gegenüber Thomas Mann seine Absichten, die neue Zeitschrift betreffend: „Ich muss Ihnen über die geplante Zeitschrift Neues berichten … Meine Grundidee ist, eine Zeitschrift ins Leben zu rufen, die den aus Frankreich ausgestoßenen Schriftstellern und Dichtern die Gelegenheit geben wird, ihre Werke gedruckt und verbreitet zu sehen, denn: das Schaffen allein ist heute ein freiheitlicher Akt. ‚Esprit en liberté‘ ist gemeint. War das nicht auch die Grundidee von ‚Maß und Wert‘? ‚Esprit en liberté‘ gruppiert alle guten Geister Europas … und auch Amerikas, en théorie. Hoffentlich auch in der Verwirklichung.“ Hémisphères erschien zunächst in Golls Selbstverlag, den Editions Hémisphères, New York, danach im Verlag Editions da la Maison Française, ebenfalls in New York. Das Hauptwerk in Golls New Yorker Exilzeit, Jean sans Terre. Landless John, entstand in den frühen 1940er Jahren und wurde 1944 in San Francisco in einer Luxusausgabe gedruckt (The Grabhorn Press). Sein neues literarisches Alter Ego findet Goll in der Figur des Jean sans Terre, des Johann Ohneland, des Heimatlosen: Er wird zum Ahasver der neuen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die erfolgreiche Aneignung der englischen Sprache gehörte zu den Glücksmomenten in Golls Exilleben. Zeugnis davon gibt die 1946 noch in New York entstandene Sammlung Fruit from Saturn (New York, Hemispheres Editions), die nur original englisch verfasste Gedichte enthält, geschrieben unter dem Eindruck des Abwurfs der ersten Atombombe am 6. August 1945.

      Mitte Juni 1945 entdeckten New Yorker Ärzte Yvan Golls tödliche Krankheit. Seinem Dichterfreund Johannes Urzidil teilte er mit: „Ich bin nicht gesund: mein Arzt hat einen starken Überschuß weißer Blutkörperchen festgestellt und will mich ins Spital schicken, weil ich mich sehr schwach fühle.“ Yvan und Claire Goll entschlossen sich zur Rückkehr nach Frankreich. Am 22. Mai 1947 verließen sie New York an Bord der MAURETANIA und erreichten Frankreich am 4. Juni 1947. Ab September 1947 lebten sie im Hôtel Palais d’Orsay in Paris. An die Schriftstellerin Ré Soupault in Paris hatte Goll schon im März 1947 aus New York geschrieben: „Les médécins chuchotent entre eux que je vivrai plus longtemps. Ils ne savent rien, les pauvres. Ils ne savent pas que je suis déjà enterré, à Paris. As-tu lu mon nom, dans un seul journal, ou dans une lettre? Finalement, nous arriverons peut-être à Paris. Nous n’aurons pas d’appartement, pas de chambre, mais cela n’est rien. Il n’y aura personne à la Gare St. Lazare. Il n’y aura personne au cimétière Montparnasse.“ („Die Ärzte flüstern sich zu, dass ich nicht mehr lange leben werde. Sie wissen nichts, die Ärmsten. Sie wissen nicht, dass man mich schon in Paris begraben hat. Hast du meinen Namen dort irgendwo gelesen, in einem einzigen Journal, einem einzigen Brief? Schließlich werden wir vielleicht eines Tages wieder in Paris ankommen. Doch wir werden keine Wohnung besitzen, kein Zimmer. Aber all das bedeutet noch nichts. Niemand wird am Bahnhof Saint Lazare sein. Niemand am Friedhof Montparnasse.“ (Deutsch


Скачать книгу