Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020. Jürgen Thaler
symmetry she has in mind, disregarding the known chronology in order to prepare a better ‚cyclical form‘.“24
In seinem Buch The Poetry of Yvan Goll lässt sich Carmody dann auch nicht beirren und gibt für zahlreiche in Traumkraut publizierte Gedichte, und zwar gerade solche, die später als ‚Vorlage‘ für Celans ‚Plagiate‘ angeführt wurden, exakte Daten von Dezember 1949 und Januar 1950 und formuliert: „In one sense, the essential poems in Traumkraut are those dating during the last half of December, 1949.“25 Das Buch erhielt Exner zeitnah – auch das wird teilweise erst aus dem Bregenzer Material deutlich26 –, wenig nach Carmodys Brief als Manuskript und später in gedruckter Form zur Rezension.
Um Datierungen geht es Claire Goll in den Plagiat-Vorwürfen an Celan vor allem, nämlich um den ‚Nachweis‘, dass Yvan Golls späte deutsche Gedichte vor der Begegnung mit dem so viel Jüngeren entstanden sind. Carmodys Bemerkungen im Brief wie im Buch hätten Exner hellhörig machen können, hatte ihm Claire Goll doch wenig vorher 1948 als Entstehungsjahr von Traumkraut und Dezember 1949 für Abendgesang genannt,27 das sie in späteren Briefen an ihn aber vor Traumkraut datiert.28 Aus einem schon in der Dokumentation zur Affäre publizierten kleinen Briefwechsel Carmodys mit Claire Goll aus dem April 1955 geht im Übrigen hervor, dass der sehr sorgfältige Philologe Carmody auch Textmanipulationen nachweisen konnte und Claire Goll dies mit mehr als merkwürdigen Gründen rechtfertigte.29 Ob er darüber damals auch mit Exner gesprochen hat, ist nicht nachzuweisen.
Die Dokumente aus den 1950er Jahren zeigen zum einen Exners Bereitschaft, Claire Goll mit Äußerungen zu Celan zu ‚bedienen‘ – er wollte ursprünglich über Yvan Goll promovieren und war vom Wohlwollen der Rechteinhaberin abhängig –, zum andern, dass er trotz Einsicht in Manipulationen und reichlich von ihr gelieferten Datierungsvarianten nicht bereit war, daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen.
Die Briefe aus den Jahren 1960 und 1961, der chronologisch zweiten Hälfte des Bregenzer Exner-Bestandes, machen dagegen vor allem Exners Anliegen deutlich, als inzwischen zum Professor Aufgestiegener nicht ständig in diesem unerfreulichen Zusammenhang genannt zu werden. Dabei argumentiert er weder mit dem Hinweis, dass er 1953 sehr jung war und die Hintergründe ja nicht kennen konnte, noch zeigt er, was er über Claire Golls Manipulationen am Nachlass Yvan Golls in Erfahrung bringen konnte. Dass nicht in jedem Buch, wo „Yvan Goll“ drauf steht, auch (nur) Yvan Goll drin ist, kann sich Exner offenbar nicht vorstellen – für ihn bleiben diese Texte sakrosankt: „Was eine ‚Entmythisierung‘ Yvan Golls anbetrifft, so steht das ja auf einem anderen Blatt als die von C.G. Ihnen angetanen Dinge“, schreibt Exner am 11. März 1961 an Celan.30 Der Professor aus Oberlin argumentiert genauso, wie er es schon als junger Student getan hatte: „Die Verwandtschaft mancher Gollscher Technik mit der Celans ist doch schließlich auch gar kein Verbrechen“, schreibt er am 26. August 1960 an Rudolf Hirsch;31 am 6. Mai 1961 an Claire Goll: „Das habe ich gesagt und sage es noch heute, und nicht allein ich sage es, sondern beinahe jeder Germanist, der sich mit der Sache befaßt hat“;32 und am 10. April 1961 an Fritz Martini: „Daß Celan teilweise (in Mohn und Gedächtnis) in derselben Tradition wie Goll steht, ist so offensichtlich, daß es m.E. einen Mangel an Lesefähigkeit bewiese, dies zu verneinen.“33 Es gebe also – wie von Martini am 24. Februar 1961 angeregt34 – keinen Irrtum einzugestehen.
Erst durch das Bregenzer Material ist eindeutig belegt, dass Exner den Rundbrief von 1953 (Fassung für den S. Fischer Verlag)35 und den 1960 in der kleinen Münchner Zeitschrift Baubudenpoet unter dem Titel Unbekanntes über Paul Celan publizierten Leserbrief von Claire Goll kannte: Rudolf Hirsch sandte ihm am 15. August 1960 Abschriften.36 Exner rät daraufhin Celan zu einer Verleumdungsklage, hätten doch die beiden Dokumente wenig mit dem Thema Plagiat zu tun; vielmehr sei daran „ein sich ins Pathologische immer mehr zuspitzender Komplex“ zu erkennen, „eine ungelöste Bindung zwischen Frau Goll und Herrn Celan."37 Der durch die Texte vermittelte Einblick in Claire Golls Argumentationsweise und ihre Formulierungen gerät dann aber wieder aus dem Blick. Am 27. Dezember 196038 erregt sich Exner nur darüber, dass er in der von Klaus Demus, Marie Luise Kaschnitz und Ingeborg Bachmann gezeichneten, in der Zeitschrift Die neue Rundschau im November 1960 erschienenen Entgegnung39 auf Claire Golls Vorwürfe wieder in diesem Zusammenhang erwähnt ist. Auf Fritz Martinis Aufforderung hin40 stellt ihm Exner seine Sicht ausführlich dar; dieser macht ihm daraufhin den Vorschlag, dass sein Student Reinhard Döhl – das war bisher nicht bekannt41 – auf dieser Grundlage einen ihn entlastenden Artikel für die Welt entwirft, den er vor der Lektüre zur Kontrolle erhalten soll. Auch in Exners Brief vom 6. Mai 1961 an Claire Goll, in dem er, spät genug und doch recht vorsichtig, Kritik am Rundbrief von 1953 und am Text im Baubudenpoet äußert, geht es ihm um sein eigenes Ansehen, nicht um Celans Anliegen: „Dieser Seghers-Aufsatz wird mir immer wieder unter die Nase gerieben. Ich kann mich jetzt also nicht auf persönliche Schwierigkeiten zwischen Dir und Celan einlassen.“42
Bei dem Bemühen Exners, sich zu einem Zeitpunkt angemessen aus der Affäre zu ziehen, als weitere angebliche Plagiate durch von Claire Golls gutem Willen abhängige Goll-Doktoranden publiziert43 und der Artikel im Baubudenpoet in der überregionalen westdeutsche Presse verbreitet werden,44 hat er die volle Unterstützung seiner Gesprächspartner. Der Bregenzer Bestand bringt gerade in diesem Bereich einen großen Gewinn. Beide im Bregenzer Konvolut befindlichen Briefe Exners an Rudolf Hirsch sind zwar bereits bekannt,45 Hirschs eigene Briefe, fünf im Bregenzer Bestand, aber nicht. Der dortige Brief von Reinhard Döhl,46 ja, die Tatsache überhaupt einer direkten Verbindung zwischen Exner und Döhl, waren unbekannt. Von einem Briefwechsel zwischen Exner und Fritz Martini dagegen wusste man, da Döhl in seiner Untersuchung einen dieser Briefe ausführlich zitiert,47 von diesem wie von anderen Briefen konnten aber trotz langwieriger Suche bisher keine Belege nachgewiesen worden. Im Bregenzer Bestand befinden sich ein Brief Exners an und drei von Martini, der von Döhl zitierte Brief vom 22. Januar 1961 ist leider nicht dabei.
Die bisher unbekannten Gegenbriefe zeigen, dass zumindest Martini besorgter um die ‚Rehabilitation‘ des Kollegen Exner war, als um die Celans; das geht bis in die Formulierungen. Während er an Celan, den er seit Jahren persönlich kannte und verschiedene Male persönlich zu seiner Einschätzung von Claire Golls Vorwürfen