Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020. Jürgen Thaler

Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020 - Jürgen Thaler


Скачать книгу

      Ich war acht Jahre alt, als unser Lehrer Herr Schneider ab Dreikönig allmorgendlich die sich ändernde Uhrzeit, zu der die Morgensonne über dem Pfänder aufblitzte, an den linken Rand der Tafel schrieb. Diese stattliche, nüchterne Zahlenreihe ist noch heute von Begeisterung und meinem Staunen derart geladen, dass sie sich als Bild von Wandel und Wiederkehr tief und warm in meine Erinnerung gegraben hat.

      Im Lichtkegel unserer Aufmerksamkeit wachsen Verantwortung und Verstehen. Sorgfältige Hinwendung und absichtsloses Wohlwollen lassen Leben erblühen: Seelen, Kinder, Gärten und die Welt.

      Es ist diese Welt- und Daseinsnähe, die mir Franz Michael Felder so faszinierend macht, seine Wachsamkeit gegenüber sich selbst und der Welt, sein umfassendes und sentimentalitätsfreies Mitgefühl mit aller Existenz, seine unerschütterliche Klarheit im Benennen von Unrecht, seine ungebrochene Wahrheitsliebe. Bei Franz Michael Felder standen Theorie und Praxis, Denken und Tun in befruchtender Wechselwirkung. Trotz der vielen Grobheiten seines Schicksals, beständigen Leids und eines viel zu frühen Sterbens, das sich einem roten Faden gleich durch sein Leben zog, war Felder ein „im Leben Angekommener“. Darin, dass Franz Michael Felder zudem Ort, Zeit und die eigene Existenz und Empfindung so vollkommen zum Ausdruck zu bringen vermochte, liegt seine Bedeutung. Vielleicht heute mehr denn je. Und wir hier sollten uns gewahr sein, dass auch Lesen ein Leben aus zweiter Hand ist.

      Ich danke für die Einladung und für die Zeit und Aufmerksamkeit, die Sie meinen Gedanken geschenkt haben.

      __________

Edition

      BARBARA GLAUERT-HESSE

      Yvan Goll.

      Unveröffentlichte Gedichte und Tagebücher 1918 – 1940

      Aus dem Nachlass von

      Robert Warnebold

      Gedichte 1918 – 1930

       Abstieg

      Jung schwang ich mich empor

      Im Knochengebirg

      Nach Göttern zu graben:

      Viele Väter vor mir

      Viele Söhne nach mir

      Lockt der Granit.

      Zum Übermut.

      Doch bald

      Wirft sie’s zurück

      In leuchtendes Vergessen:

      Rasch mit dem Wasserfall

      Reisst sie’s hinab – –

      Weise vom Sturz

      Reich vom Verlust

      Such ich die Menschen

      Die ich zurückliess:

      Ruhig

      Erwart ich ihre dunkle Karawane

      Ihre langsame

      Karawane

      Am Hügel lehnend

      Den Kopf im roten Klee

      Und – mit den Füssen im Bach

      Des Himmels Bild

      Zerschlagend

       *

      Und wende mich um

      Ein Mensch unter Menschen

      Von all dem Treiben

      Nur einen roten Klee

      Im Knopfloch

       Bergwald

      O Wald, du leuchtender lächelnder Freund

      Mit grünem Moosbart

      Von Sonne triefend und von Harz

      Mit tausend Armen umarmend,

      Mit tausend Händen verschwendend:

      Ich brauche deine Güte!

      Gib

      Du Reichgeborener,

      Goldäugiger, der wie ein Patriarch

      Mit kleiner Erdbeerliebe sich umgibt

      Und ein Ballett von Rehen unterhält

      In der Waldmeisterlichtung –

      Geheimniskundiger

      Der mit den Wölfen und den Hexen verkehrt

      Und greiser Eulen Weisheit lernte:

      Du gib mir das Geleit

      Bis ans Gebiet der Steine –

      Und der Einsamkeit

      Und zuversichtlicher

      Beschreit ich dann den Weg

      Des Einsamen.

       Fels-Grat

      Steig, steig

      Und wär's umsonst!

      Zehnmal gekreuzigt von der Sonne Nägeln

      Und immer kleiner vor den Türen des Himmels

      Du hängst am Rand der Erde – –

      Und fehlt dein


Скачать книгу