Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020. Jürgen Thaler

Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2020 - Jürgen Thaler


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Tänzer musst du sein

      Auf Spitzen balancierend

      Nackt zwischen Tod und Tod

      Der Stein ist los

      Der Fels ist fremd

      Du Mensch: was klopfst du an den Türen des Himmels?

      Stumm

      Fluch

      Und überwind dein Herz

      Gekreuzigt von der Sonne Nagel

      Noch einmal fluch

      Und überwinde Gott!

       Gesang des Mädchens

      1.

      Streichle mich, Frühwind,

      Betöre mich mit deinen Amseln,

      Beströme mich mit deinem Lächeln.

      Da steh ich

      Schmal zitternd

      Ein Mandelbäumchen

      Mit blassen Blättchen,

      Und unter deinen heimlichen Küssen,

      Mannwind,

      Reift mein rosa Gefühl

      Und Durchduftet das Tal.

      2.

      Umschwalbe mich, Frühling,

      Umlerche mich, Süsswind,

      Ich bin deine Wiese

      Erblüht und erkleet!

      Ich minze den Bach,

      Ich bächle das Wäldchen,

      Ich nachte und monde

      Dem Liebenden zu.

      3.

      Der Wölkinnen rosigste

      Der Rosen wolkigste

      Will ich dir sein!

      Ganz hin geduftet

      Deinem Rauschen,

      O dass du mich umdornest

      Und dunkel dich entadlerst

      Und mir lächelst:

      Unhimmlischer Gott!

       Gletscher

      In der pariser Morgue

      Sah ich einmal die Toten eines Tags,

      In Eissärgen zur Schau gestellt:

      Ich suchte einen Freund

      Und fand ein Dutzend …

      So stand vor mir der Gletscher

      Mit seinen Totenkammern:

      Hier war der Götter Grabstatt

      Hier sah ich vieler Morgenröten

      Altgewordene Leichen

      Und früher Riesen dauernde Skelette

      Und dort auf einem weissen Felde

      Vom Frühlingsföhn des Schnees gelockt

      Lag eine Saat von kleinen grauen Vögeln

      Die trunken aus dem Tal

      Mit irren Schwingen

      An ihren Traum

      Geglaubt

      Und dafür starben

       Nachthütte

      Erst in der Hütte

      Ward’s wieder menschenwarm:

      Es duftete nach herbem Holz

      Nach liebem Feuer

      Nach Frauenhaar!

      Nun, seinen Sieg vergeuden!

      Wie nur ein Gletscher im März

      Hinrieseln

      Hinsinken

      Hinschmelzen

      Aus allen Munden tropfen

      Aus allen Augen weinen

      Zergehen zu Tal

      Zerrinnen zu Tiefe

      Essen

      Schlafen

      Mensch sein

      An der Schulter

      Die vergänglich ist

      Und zittert

       Schlucht

      Sind die Menschen für das Aug der Sterne

      Das mit Feuerblicken

      Sie erprobt:

      Sind die Menschen mehr als ein Gekröse

      Ein schattiges Geschlecht

      Im Tanz der Wälder und der Städte?

      Krone der Schöpfung!

      Mit eckigen Köpfen

      Mit Herzfehlern

      Hungersnöten ausgesetzt

      Und den schlimmeren Instinkten!

      Dumpfe Gruppen mit Trommeln,

      Müde Massen des Schweigens

      Füllen die Plätze

      Füllen die Häuser

      Und arbeiten

      Und arbeiten

      Und arbeiten

      Und wenn sie nicht arbeiten

      Klagen sie

      Klagen das Aug der Sterne an

      Das sie ansieht

      Und verlangen dass es ihnen helfe,

      Und wissen nicht

      Wozu es ihnen helfen soll

       Wald

      O Wald, mein bärtiger, reichgeborener Freund

      Der funkelnd von Goldsmaragd

      Mit tausend Armen und tausend Händen

      Sein Alles ausstreut

      Und immer freundlich ist.

      Du Vie[l]gewaltiger

      Der sich mit Kleinstem abgibt

      Die Erdbeeren zu liebenden Herzen erzieht

      Aus jedem Reh eine Tänzerin macht

      In der waldmeisterduftenden Lichtung

      Geheimniskundiger auch

      Der mit den Wölfen und den Hexen verkehrt

      Jedoch am glücklichsten

      Wenn ein dummes Rotkehlchen

      Die Tonleitern übt

      Dass du mein Freund bist

      Und mich den ersten Weg begleitest

      Bis ans Gebiet der steinernen Einsamkeit

      Wie zuversichtlich

      Schreit ich aus!

       Wald (2)

      Du wirfst deinen nächtigen Mantel um mich

      Legst Moos um meine Füsse


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