Sieger über das Dunkel. Liane Sanden

Sieger über das Dunkel - Liane Sanden


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im Werffenwerk. Die Herren der verschiedenen Abteilungen, die Geschäftsführer und Prokuristen, die leitenden Chemiker der einzelnen Gruppen kamen um 11 Uhr zusammen. In den weitläufigen Büroräumen sprang das Gerücht über bevorstehende bedeutende Ereignisse von Zimmer zu Zimmer. Aber niemand wusste etwas Genaues. Denn die einzelnen Abteilungen des Werkes waren streng voneinander abgegrenzt. Jede Abteilung hatte ihre eigene Anmeldung, eine Konferenzzimmer, eigenes Personal und eigene Telefonanschlüsse. Die Fabrikräume wurden selbst gegen Werksangehörige streng abgeschlossen. Wer in der Farbenabteilung beschäftigt war, hatte keinen Zutritt zur Filmabteilung. Diese strenge Kontrolle hatte sich als notwendig erwiesen, nachdem wiederholt Versuche zu Industrie-Spionage festgestellt waren. Als Folge davon ergab sich die eigenartige Situation, dass die Besucher der verschiedenen Abteilungen zwar das Werk an verschiedenen Eingängen betraten, dass es aber für alle nur einen Ausgang gab. Eine scheinbar etwas altmodische Kontrolle zwang alle Besucher, einen Augenblick im Vorraum der Ausgangskontrolle zu verweilen, während die Unterschrift geprüft wurde, welche den Ausgang frei gab. Dieser Augenblick im Vorraum genügte vollkommen, um etwa im Geheimen aufgenommene Photographien von Werksanlagen unschädlich zu machen. Der Druck, mit dem der Pförtner die klinkenlose Klapptür öffnete, setzte gleichzeitig einen Apparat in Tätigkeit, dessen Strahlen, unmerkbar für den Besucher, nach Röntgenart selbst Metalle durchdrangen und photographische Filme so stark belichteten, dass eine Reproduktion später unmöglich war. Scherzend hatte Geheimrat Werffen einmal seinem alten Freunde Mühlensiefen, dem er diese Einrichtung erklärte, gesagt:

      „Es ist eine Art Mausefalle. Herein kann jeder, auch mit den raffiniertesten photographischen Apparaten. Aber heraus kann nur, wer diese Sperre passiert hat.“

      Mühlensiefen hatte die Anlage ehrlich bewundert, dann aber erwidert:

      „Wenn Sie nur Werksfremde hier passieren lassen, wie sichern Sie sich da gegen Werksangehörige?“

      Da hatte Werffen nur kurz bemerkt:

      „Dadurch, dass ich ihnen eine gute und sichere Existenz gebe. Sich vor Hausdieben zu schützen, ist bekanntlich unmöglich. Aber von meinen Leuten hat bisher keiner einen derartigen Versuch gemacht. Auf die kann ich mich verlassen. Meine Leute wissen aber auch, dass sie sich auf mich verlassen können.“

      Heute aber waren die Grenzen der Abteilungen doch mehr verwischt, als selbst Geheimrat Werffen geglaubt hätte. Wenn zwei Beamte ganz verschiedener Gruppen sich im Werk oder auf dem Flur trafen, Menschen, die sich nur ganz flüchtig vom Sehen kannten, dann fragte sicher der eine den anderen:

      „Wissen Sie, was los ist? Warum dieser Generalappell im grossen Konferenzsaal! Alle führenden Persönlichkeiten sollen versammelt sein.“

      Die Antwort lautete immer:

      „Offenbar eine grosse Sache. Aber wir wissen auch nichts Genaues. Es scheint, dass die Farbenabteilung etwas Neues ausgeknobelt hat. Aber damit haben wir doch nichts zu tun.“

      Jedoch, die einzelnen Abteilungen hatten mit der neuen Erfindung mehr zu tun, als sie ahnten. Kassenabteilung und Zentralbüro hatten von Monat zu Monat dringlichere Vorstellungen erhoben, dass irgend etwas Neues herausgebracht werden müsse. Zwar stand das Werk gesichert und ungefährdet da. Aber die Umsätze und Eingänge waren von Monat zu Monat geringer geworden, während die Generalunkosten in der gleichen Höhe bestehen blieben. Da musste beizeiten vorgesorgt werden, damit nicht eines Tages eine unerwünschte Überraschung eintrat. Gerhard Hessenbrocks Erfindung war ein Glücksfall in dieser Situation. Darüber waren sich die Direktoren alle einig, die Geheimrat Werffen kurz nach 9 Uhr bei sich versammelt hatte. Nur der Syndikus des Unternehmens, Dr. Walther, war, wie immer, der einzige, der sich dem allgemeinen Optimismus nicht gleich anschloss. Er hatte sich über die Grundzüge der neuen Erfindung unterrichten lassen. Dann hatte er sich beurlaubt und war im Auto sofort zum Patentamt gefahren. Während sein Hilfsarbeiter die vorhandenen Patente der Konkurrenzunternehmungen im Archiv durchprüfte, sah Dr. Walther im Patentamt die Originalschriften ein. Es war ein Grundsatz bei der Industrie, den Patentanspruch möglichst umfassend zu gestalten. Damit wurden auch Dinge unter Patentschutz gestellt, die noch gar nicht vorhanden waren. Ein einziges Wort eines solchen Patentanspruchs vernichtete oft die jahrelange Arbeit eines Erfinders.

      Um halb elf kam endlich die telefonische Meldung Dr. Walthers an Geheimrat Werffen, dass das Hessenbrocksche Verfahren mit keiner Patentanmeldung kollidiere. Werffen atmete unwillkürlich auf. Wenn Walther die Nachricht durchgab, war man in bezug auf das neue Patent gesichert. Die grosse Fachkenntnis und die jahrelange Spezialisierung setzten den Syndikus in die Lage, schnell alle einschlägigen Schriften durchzusehen und zu diesem erfreulichen Ergebnis zu kommen. Walther war ein ständiger Besucher des Patentamts und stand in einem freundschaftlichen Verhältnis zu einem Teil der Beamten.

      Mit einer gewissen Feierlichkeit eröffnete Geheimrat Werffen um 11 Uhr die allgemeine Besprechung. Der Unbeteiligte, der sich in diesem Saal eingefunden hätte, wäre überrascht gewesen von der grossen Anzahl prägnanter Gesichter. Werffen hielt sich in seiner Ansprache knapp an die Tatsachen, die, im einzelnen auseinanderzusetzen, auch bei einer neuen Erfindung in diesem Kreise nicht notwendig war. Nicht nur mit den einfachen, sondern auch schon mit komplizierteren chemischen Formeln wussten auch die kaufmännischen und oberen Kassenbeamten Bescheid. Die Herren von der Farbenabteilung konnten ihren Stolz und ihre Genugtuung darüber nur schwer verbergen, dass es ihre Abteilung war, der der grosse Wurf gelungen. Seine eindrucksvollen Mitteilungen über die neue wichtige Erfindung schloss Geheimrat Werffen mit den Worten:

      „Meine Herren, es ist nötig, eins zu erwähnen. Die neue Erfindung des Herrn Dr. Hessenbrock wird hoffentlich den Namen des Werks auch in Zukunft über Deutschlands Grenzen hinaus zu Ehren bringen. In einem Augenblick, in dem die allgemeine Wirtschaftslage sich von Woche zu Woche verschlechtert, wird sie eine Anregung bringen, die auch der Allgemeinheit nützlich sein wird. Das Werffenwerk selbst wird durch die eintretende Belebung in der Lage sein, leichter, als sonst möglich, die schwierige Wirtschaftslage zu überwinden. Ich benutze die Gelegenheit, meinem Neffen, Dr. Hessenbrock, den Dank des Werkes auszusprechen. Auch in Ihrem Namen, meine Herren, denn das Werk bin nicht ich, sondern sind alle Mitarbeiter, vom jüngsten Arbeiter bis zu mir.“

      *

      Für Dr. Gerhard Hessenbrock gab es an diesem Tage noch viel Arbeit. Der erste, der ihn für längere Zeit mit Beschlag belegte, war Dr. Walther:

      „Bevor Sie irgend etwas anderes tun, Dr. Hessenbrock, müssen wir für die Patentanmeldung sorgen. Der Geheimrat ist in seiner Freude über die neue Erfindung etwas schneller damit in einem grösseren Kreis hervorgetreten, als mir erwünscht ist. Ich habe schon bei den Herren von der Presse und der Propagandaabteilung energisch Einspruch erheben müssen, damit keine Meldung an die Öffentlichkeit kommt. Es scheint etwas durchgesickert zu sein. Die Patentschrift muss heut noch eingereicht werden. Kommen Sie bitte gleich mit allen Unterlagen in die juristische Abteilung.“

      „Herr Dr. Walther, ich habe eigentlich jetzt eine dringende Arbeit vor und würde lieber nachmittags zu Ihnen kommen.“

      „Das geht auf keinen Fall oder wollen Sie die Patentierung Ihrer neuen Erfindung gefährden? Wir müssen unbedingt uns sofort an die Arbeit machen. Ein Geheimnis, das so viele Menschen wissen, ist kein Geheimnis mehr. Eine einzige Indiskretion könnte alles verderben.“

      Gerhard musste dem Syndikus recht geben. Nach Stunden angestrengter gemeinsamer Arbeit brachte Dr. Walther die Patentanmeldung selbst zum Patentamt. Im Amt wurde er mit fröhlichem Gelächter begrüsst:

      „Ihr Erscheinen heut hat eine Wette entschieden“, erklärte ein Beamter, „der Kollege Frenzel hat mit mir gewettet, dass Sie heut noch mit einer wichtigen Sache kommen. Es muss aber etwas sehr Grosses sein, da Sie es persönlich jetzt noch bringen.“

      Bald hatte Dr. Walther die Patentschrift übergeben und die notwendigen Formalitäten erledigt. Als er wieder auf die Strasse heraustrat, riefen die Zeitungshändler die ersten Abendausgaben aus. Dr. Walther kaufte ein Blatt und überflog flüchtig die fetten Überschriften. Dann stutzte er und trat an ein hellerleuchtetes Schaufenster. Er hatte sich nicht getäuscht. Eine der Überschriften lautete:

      „Wichtige Erfindung der Werffenwerke.“


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