Sieger über das Dunkel. Liane Sanden

Sieger über das Dunkel - Liane Sanden


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sich da doch wesentlich von den Ihren, Herr Doktor. Aber lassen wir das. Das Thema scheint mir auch genügend erörtert. Jedenfalls war es mir eine Freude, Sie bei mir begrüssen zu dürfen.“

      Ein ironisches Lächeln lag auf Dr. Mühlensiefens Gesicht, als er sich nach diesen Worten erhob, um sich zu verabschieden:

      „Wann passt Ihnen morgen mein Besuch in der Fabrik, Herr Geheimrat?“

      „Zwischen 8 und 9 Uhr, Herr Doktor?“

      „Wenn Ihnen vielleicht 11 Uhr recht wäre, Herr Geheimrat? 9 Uhr ist doch ein bisschen früh.“

      „Gut, also 11 Uhr. Ihr Vater ist wie ich ein so grosser Frühaufsteher, dass ich die zeitige Stunde vorschlug“, sagte der Geheimrat mit leicht ironischer Betonung.

      Heinz Mühlensiefen schlenderte am Bahnhofsplatz entlang. Gott sei Dank! Diesen Pflichtbesuch hatte er hinter sich. Eigentlich ganz geschickt, dass er dies verfängliche Thema angeschlagen hatte. Sonst hätte der Geheimrat ihn womöglich noch für morgen mittag zu Tisch gebeten.

      Als Mühlensiefen den Bahnsteig herunterkam, kam er gerade zurecht, um noch in einen Wagen der Hochbahn herein zu springen. Schon rückte der Zug an. Mühlensiefen karambolierte ziemlich heftig mit einem jungen Mädchen:

      „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, mein Fräulein. Aber das ist hier eine Fahrerei, wie ich sie in andern Ländern noch nicht erlebt habe.“

      „Bitte, hat nichts zu sagen. Fährt denn an anderen Orten die Untergrundbahn weniger schnell an?“

      Das frische blonde Mädchen sah ihn keck an.

      Mühlensiefen musterte die Fragende vergnügt:

      „Nein, mein Fräulein. Die Anfangsgeschwindigkeit ist etwas geringer. Man reagiert deswegen auch etwas anders.“

      „Um Gottes willen, reagieren? Fangen Sie nicht auch noch mit chemischen Ausdrücken an. Von denen höre ich in der Woche genug“, kam lachend die Antwort.

      „Mein herzlichstes Beileid. Haben Sie beruflich soviel mit chemischen Dingen zu tun?“

      „Ja, ich bin in den Werffenwerken tätig.“

      „Fein! Dann darf ich mich Ihnen als neuer Kollege vorstellen? Dr. Mühlensiefen“, er murmelte den Namen etwas undeutlich.

      „Na, Kollegen kaum, wenn Sie Chemiker sind. Ich arbeite nämlich in der Patentabteilung. Das war eine blödsinnige Schufterei in den letzten Tagen. Ich heisse übrigens Fränze Müller.“

      „So sehen Sie aber gar nicht aus, mein Fräulein.“

      „Wieso denn?“

      „Wenn man so hübsch und so niedlich ist, dann ist es direkt unwahrscheinlich, dass man nicht aparter heisst.“

      „Na, na, Herr Doktor, langsam! Jetzt ist Ihre Anfangsgeschwindigkeit entschieden zu gross. Wissen Sie denn, ob ich nicht ‚sauer‘ reagiere?“

      „Um Gottes willen nicht, das werden Sie mir doch nicht antun! Im übrigen können wir ja gleich einen Versuch machen. Hätten Sie nicht Lust, mit mir heut abend eine Tasse Kaffee zu trinken oder irgendwo gemütlich Abendbrot zu essen?“

      „Ausgeschlossen, Herr Doktor. Ich muss jetzt schön artig bei einer Tante einen Besuch machen. Geburtstagsgratulation. Ich weiss schon, was es gibt. Dünnen Tee und Kartoffelsalat mit Würstchen.“

      „Sind Sie musikalisch, Fräulein Müller?“ „Na, für den Hausgebrauch. Aber wie kommen Sie jetzt darauf?“

      „Ich wollte fragen, ob Sie das schöne Lied kennen, ‚Wenn du meine Tante siehst, ich lass sie grüssen.‘ ‚Heut komm’ ich nicht mehr nach Haus.‘“

      „O ja, das kenn ich schon. Aber das nützt mir heut nichts. Bis um 10 Uhr muss ich dort brav absitzen.“

      „Und nach 10 Uhr?“

      Lachend kam die Antwort: „Kleine Mädchen müssen schlafen gehen.“

      „Schade. Aber wenn es heut nicht geht, dann ein anderes Mal. Wie kann ich Sie denn erreichen?“

      „Hausapparat 341, Herr Doktor. Aber ich bin sicher, Sie vergessen mich anzurufen, Herr Doktor.

      „Seien Sie nicht so sicher, Fräulein Fränze. Sie wissen doch: ‚Was tut man nicht alles aus Liebe, für eine entzückende Frau!‘“

      „Sachte, sachte, Herr Doktor. Ich wette, Sie vergessen!“

      „Und ich sage Ihnen, mein Fräulein, wir sehen uns bestimmt wieder. Jetzt muss ich umsteigen. Zum Abschied also: ‚Ich küsse Ihre Hand, Madame.‘“

      Mit einem leichtsinnig-lockenden Lächeln winkte Fräulein Fränze Müller Mühlensiefen zu, als dieser vom Bahnsteig aus noch einmal in den Wagen hinein grüsste.

      „Schade“, dachte Mühlensiefen, „dass das nette kleine Ding heute abend keine Zeit hat! Bei der wäre leicht etwas zu machen! Was beginne ich heute mit dem Abend? Lou ist noch nicht da. Und ich kenne ja sonst keinen Menschen. Und nach solcher Familiensimpelei wie vorhin bei dem Geheimrat muss man sich erholen. Nun, vielleicht kann mir der Portier des Hotels einen netten kleinen Spielklub sagen, damit man den Abend angenehm hinbringt.“

      Er schlenderte ins Hotel zurück und hatte dort schnell eine kleine Unterhaltung mit dem Portier. Der hatte sich auf einen netten Klub erst besinnen können, als Mühlensiefen ihm einen Geldschein in die Hand drückte und dazu sagte:

      „Ihre Kollegen in Neuyork und Paris scheinen ein viel besseres Adressengedächtnis zu haben.“

      Da war auch das Gedächtnis des Hamburger Portiers plötzlich wieder zurückgekehrt. —

      Der Abend im Balticklub war ganz amüsant geworden. Wie immer in den ersten Tagen auf fremdem Boden hatte sich Mühlensiefen beim Spiel zurückgehalten. Man musste erst die Atmosphäre des Klubs kennenlernen. Zu seiner Freude war spät abends doch noch ein Bekannter aufgetaucht. Mit diesem Bertram hatte Mühlensiefen auch schon in Paris manch netten Abend verlebt. Dr. Bertram hatte ihn sofort mit einigen Freunden bekannt gemacht, die regelmässig im Baltic verkehrten. Es hatte Mühlensiefen viel Spass gemacht, auch hier wieder die gleiche Szene zu beobachten, wie in allen anderen Städten. Kaum hatte sich Bertram von ihm verabschiedet, um zu seiner Gesellschaft zurückzukehren, als ihn der Geschäftsführer des Klubs abfing. An dem diskreten Herüberblicken hatte Mühlensiefen gemerkt, dass der Geschäftsführer sich von Dr. Bertram eine Information über den neuen Klubbesucher erbeten hatte. Die Bedienung war gleich darauf wesentlich aufmerksamer, als vorher, obgleich das bei dem geschulten Personal natürlich nur ganz wenig zu unterscheiden war. Als Mühlensiefen nachts um drei Uhr heimfuhr, hatte er ein ganz nettes Päckchen gewonnener Banknoten in der Tasche.

      Gerhard Hessenbrock war endlich der Einladung seines Freundes Veldten gefolgt. Die junge Frau war noch beschäftigt und so hatten Veldten und Hessenbrock sich ihre geliebte Schachpartie vorgenommen. Das Schach hatte sie in der gemeinschaftlichen Studienzeit zusammengeführt. Denn damals schon bestand diese Freundschaft zwischen ihnen. Gerhard Hessenbrock hatte auf Veldten von jeher eine grosse Anziehungskraft ausgeübt. Veldten erkannte sehr bald den wertvollen, energischen Charakter in Gerhard. Aber er hatte um ihn förmlich werben müssen. Veldten, der junge Rheinländer, der in Sorglosigkeit und Fröhlichkeit aufgewachsen war, hatte den Norddeutschen in einem Kolleg kennengelernt. Ein Zusammensein am gleichen Tage hatte Gerhard Hessenbrock ablehnen müssen. Er hatte noch Unterricht geben müssen. Diese Nebenbeschäftigung als Hauslehrer war die Quelle, aus der er die Mittel zur Fortsetzung seines Studiums schöpfte. An einem der nächsten Abende waren die beiden jungen Leute zusammengekommen. Veldten hatte, ohne sich dabei etwas zu denken, ein gutes Bierlokal vorgeschlagen. Aber nach dem ersten Abend hatte Hessenbrock mit Bestimmtheit erklärt, dass sie einen anderen Treffpunkt wählen müssten. Seine Kasse erlaubte solche Ausgaben nicht. Veldten war überrascht gewesen. Dies solidere, wenn auch etwas teure Lokal war für ihn ja etwas Alltägliches gewesen. Nie hatte er daran gedacht, dass manche Menschen es nicht bezahlen konnten. Selbstverständlich hatte er sich aber den Wünschen seines neuen Freundes gefügt. Ja, die Offenheit


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