Sieger über das Dunkel. Liane Sanden

Sieger über das Dunkel - Liane Sanden


Скачать книгу
ist ganz wohl so, Frau Brigitte. Ich möchte an meinem Leben gar nichts geändert sehen.“

      „Wenn das nur so bleibt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass gerade ein Mensch wie Sie einsam durchs Leben gehen will. Ich glaubte immer, Sie hätten ein starkes Bedürfnis, einen Menschen zu lieben, für ihn zu sorgen und ihn zu beschützen.“

      Gerhard antwortete nicht. Er hielt erstaunt den Blick auf Frau Brigitte gerichtet. Seine Züge bekamen einen grübelnden Ausdruck. Hatte Brigitte nicht recht? Hatte er nicht tatsächlich manchmal schon ähnliche Gedanken gehabt? Tagträume, die er schnell von sich wies? Sah er seine Stellung zu Annelore wirklich nur als die eines Beraters und Schützers an? Gerade wollte er etwas sagen, als draussen die Korridortür ging. Fritz Veldten trat ins Zimmer.

      „Habt ihr euch gut unterhalten, ihr beiden?“ Er küsste seine Frau auf die Stirn, „was ist denn mit Gerhard los? Der macht doch sein Grüblergesicht. He, Gerhard, wollen Sie noch eine welterschütternde Erfindung machen?“

      „Welterschütternd? Nein! Aber ich fürchte fast, eine Entdeckung habe ich eben gemacht.“

      *

      Am nächsten Tage sassen Geheimrat Werffen, Gerhard Hessenbrock und der Syndikus Dr. Walther in Werffens Arbeitszimmer zusammen. Geheimrat Werffen hatte darauf bestanden, den neuen Vertrag mit Gerhard über dessen Erfindung sofort abzuschliessen.

      Dr. Walther übergab Gerhard einen Entwurf aus der Mappe, in den nur noch die Ziffern über prozentuale Beteiligung einzusetzen waren.

      „Herr Dr. Hessenbrock, dieser Vertrag hätte eigentlich vor der Patenteintragung erfolgen müssen. Es muss eine reinliche Linie zwischen Ihren Rechten und denen der Werffenwerke gezogen werden. Sie mögen ein guter Chemiker sein. Ein tüchtiger Kaufmann sind Sie bisher nicht. Aber auch die Werffenwerke müssen sich dagegen sichern, dass Sie nicht eines Tages unangemessenene Ansprüche erheben.“

      Gerhard lachte: „Diese Besorgnis haben wohl weder Sie ernsthaft, noch sonst jemand im Werk.“

      Geheimrat Werffen nickte Gerhard zu. „Nein, die Besorgnis hat niemand. Aber ich kann eines Tages sterben, Gerhard, die juristische Form der Werffenwerke kann geändert werden. In solchen Dingen ist falsche Sentimentalität nicht am Platze. Sieh dir die Quote an“, Geheimrat Werffen schob Gerhard ein Vertragsformular, in das er Zahlen eingesetzt hatte, herüber, und Gerhard erklärte sich einverstanden. Er unterzeichnete und nahm das gegengezeichnete Vertragsformular an sich. Werffen wandte sich nochmals an den Syndikus:

      „Wie steht es mit den Patentanmeldungen für das Ausland, Herr Doktor?“

      „Die sind in die Wege geleitet, Herr Geheimrat. Vorläufig sind wir ja durch die Anmeldung hier geschützt.“

      „Beschleunigen Sie die Auslandsanmeldungen! Und du, Gerhard, lass bitte Muster und Versuchsmaterial für das Ausland vorbereiten. Hier“, Werffen nahm eine Anzahl Telegramme vom Schreibtisch, „es liegen eine Anzahl dringender Auslandsanfragen bereits vor. Es ist überraschend, wie schnell man sich bemüht, eine neue Verbindung anzuknüpfen, um den drückenden Bedingungen der bisherigen Farbstoffgesellschaft zu entgehen.“ Mit einem leisen Seufzer setzte er hinzu:

      „In diesem vertrauten Kreis kann ich’s ja ruhig sagen: Mir wäre es lieber, wenn die Entwicklung nicht so schnell vor sich ginge. Die Geldinvestierungen wachsen einem sonst zu leicht über den Kopf.“

      „Ist sonst noch ein Punkt zu besprechen, meine Herren? Nein? Dann auf Wiedersehen.“

      Die ersten Tage hatte sich Heinz Mühlensiefen im Werffenwerk recht unbehaglich gefühlt. Hier imponierte niemandem die Tatsache, dass er der Sohn seines Vaters war. Bei einigen der Herren, hatte er ein leises ironisches Lächeln zu sehen geglaubt, als er davon sprach. Sehr bald hatte er sich davon überzeugt, hier war der Name nichts, die Leistung alles. Er war doch schon in der Welt herumgekommen. Aber eine so eigenartige Auffassung, wie in den Werffenwerken war ihm noch nicht begegnet. Als zukünftiger Inhaber der Mühlensiefenwerke hatte er immer mit einem gewissen Hochmut auf die kleinen Angestellten herabgesehen. Die hatten doch kein anderes Interesse, das war bisher seine feste Überzeugung, als für ein möglichst hohes Gehalt so wenig sich anzustrengen, wie nur möglich. Hier schien das anders zu sein. Als es 5 Uhr schlug — Dr. Mühlensiefen hatte vorsorglich seinen Platz schon aufgeräumt — sah er mit Erstaunen, dass die meisten der Herren keinerlei Eile zeigten. Wer mit seinem Pensum fertig war, freilich der rüstete sich zum Gehen. Aber die anderen taten so, als ob es ganz unwichtig sei, dass die Sirene das Schlusszeichen gegeben hatte.

      Mühlensiefen beobachtete, wie ein Kollege einen anderen fragte: „kommen Sie mit? Ich will mit dem dreizehner Zug fahren.“

      Und der andere hatte ohne aufzublicken gesagt:

      „Nein, ich habe noch ein bis zwei Stunden zu tun.“

      Und was Mühlensiefen dabei am meisten gewundert hatte, das schien den anderen Herren so selbstverständlich, dass man sich gar nicht weiter darum gekümmert hatte.

      Auch das Verhältnis der männlichen Angestellten zu den jungen Mädchen setzte Mühlensiefen in Erstaunen. Es waren hübsche Mädels darunter. Auch solche, die sicher einem kleinen Flirt nicht abgeneigt waren. Dr. Heinz Mühlensiefen verstand sich darauf. Aber nirgends hatte er etwas anderes beobachten können, als Kameradschaft, unbefangenes Zusammenarbeiten von Menschen, die an der gleichen Sache wirkten. Dass die technischen Einrichtungen der Werffenwerke geradezu vorbildlich waren, war Mühlensiefen schon in den ersten Stunden aufgefallen. Aber dass auch die Menschen so stark von dem Werk beeinflusst wurden, das wollte Mühlensiefen nicht in den Kopf.

      „Schön dumm“, hatte Heinz Mühlensiefen gedacht. „Wie die sich alle von dem Begriff Werffenwerk einfangen lassen. Das könnte mir nicht passieren.“ Und dann fühlte er, wie ihm die Schamröte ins Gesicht stieg. Hatte er, Dr. Heinz Mühlensiefen, sich nicht in diesem Augenblick zu der Auffassung bekannt, derwegen er immer auf die „kleinen Angestellten“ herabgesehen hatte?

      Mühlensiefen versuchte vergeblich sich von dem Einfluss frei zu machen, den die Werffenwerke auch auf ihn übten. Und er beschloss einmal zu ergründen, worin dieser Zauber lag.

      Er arbeitete nun schon mehrere Wochen in den Werffenwerken. Er betrachtete seine Tätigkeit als die eines Volontärs, der zu seiner weiteren Ausbildung sich im Werk etwas umzusehen hatte. Seinem klugen Blick entging es nicht, dass die Werffenwerke vorbildlich eingerichtet waren und arbeiteten. Jeder Mensch stand hier an seinem Platze. Jeder Mensch leistete Gutes. Das Arbeitstempo war besonders beschwingt. Aber nicht gehetzt. Allen, vom Direktor herunter bis zum kleinsten Angestellten, sah man an, das Werffenwerk war nicht nur der Brotgeber, sondern auch etwas, dem man sich innerlich verbunden fühlte. Diese Entdeckung beschäftigte Heinz Mühlensiefen. Es gab also Menschen, die eine Sache um ihrer selbst willen taten und liebten. Eigentlich hätte er es all den kleinen Buchhaltern, Hilfschemikern, Laborantinnen und Stenotypistinnen nicht verdenken können, wenn sie gerade nur ihre Pflicht getan hätten. Denn was hatten sie schliesslich für ein Interesse daran, den Gewinn für den Inhaber der Werffenwerke durch ihre eigene erhöhte Arbeit zu steigern? Aber als er einmal die Sozialabteilung kennenlernte, wurde er anderer Meinung. Hier lag der Schlüssel zu der steten Arbeitswilligkeit des Personals und auch der Schlüssel zum Verständnis für die beinahe väterliche Stellung des Geheimrats Werffen zu jedem im Werk. Hier sah Heinz Mühlensiefen zum erstenmal, dass Reichtum auch eine Verpflichtung gegenüber andern bedeutete. Das gab ihm innerlich einen Ruck. Er hatte bisher das Werk seines Vaters nur als Quelle zu einem bequemen, leichtsinnigen Leben betrachtet. Und selbst der Vater, obwohl seinen Angestellten gegenüber von Pflichtbewusstsein erfüllt, tat nicht annähernd das, was hier in den Werffenwerken für die Angestellten geschah. Heinz Mühlensiefen war klug genug, um zu erkennen, dass Wohltun unter Umständen mehr Zinsen tragen könnte als Kapital. Unwillkürlich wurde er von dem freudigen Arbeitseifer hier angesteckt. Und bald war es ihm dank seiner Begabung gelungen, hier und da kleine Verbesserungen vorzuschlagen, die bald in die Praxis umgesetzt wurden. Nach kurzer Zeit schon konnte Geheimrat Werffen dem alten Kommerzienrat Mühlensiefen einen vertraulichen Brief schreiben, in dem er sich in lobenden Worten über die Begabung von Heinz Mühlensiefen äusserte. Der alte Kommerzienrat Mühlensiefen war


Скачать книгу