Sieger über das Dunkel. Liane Sanden

Sieger über das Dunkel - Liane Sanden


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      Dabei hatte Veldten manchmal den Eindruck, dass Gerhard eine solche gelegentliche freundschaftliche Gefälligkeit sehr gut hätte brauchen können. Beinahe wäre es deshalb einmal zu einer Entfremdung zwischen ihnen beiden gekommen.

      Gerhard hatte mit ein paar scherzhaften Worten die Schachpartie für den nächsten Tag abgesagt. Er hatte Veldten eine Rohrpostkarte geschickt, mit der er sich entschuldigte. Einige Glassplitter wären bei einem kleinen Unfall im Laboratorium eine zu innige Verbindung mit Gerhard Hessenbrocks Gesicht eingegangen. Fritz Veldten hatte sich nach dem Kolleg aufgemacht, um Gerhard Hessenbrock aufzusuchen. Er fand ihn mit verbundenem Kopf bei seiner Mittagmahlzeit aus Tee, den Gerhard aus seinem Spirituskocher zurechtgebraut hatte, ein paar Schrippen, einer gelben Masse, die Veldten innerlich als Margarine ansprach und einer unwahrscheinlichen kleinen Portion Leberwurst. Als Veldten sich davon überzeugt hatte, dass die Verletzungen von Gerhard nur leichter Natur waren, machte er ihm Vorstellungen über diese unzureichende Ernährung nach erheblichem Blutverlust. Gerhard Hessenbrock nahm die Vorwürfe humoristisch auf. „Bei uns Chemikern ist sowas ganz einfach ein Betriebsunfall, mit dem man als selbstverständlich zu rechnen hat. Wenn man daraufhin jedesmal eine extra Wurst gebraten bekäme, — ich glaube, die Glasindustrie würde eine erhebliche Absatzsteigerung zu verzeichnen haben. Der Medizinmann in dir will sich nur wichtig machen, Fritz. Ihr glaubt immer, eure Patienten sind schon so wenig widerstandsfähig, dass sie nicht nur eure Mixturen schlucken, sondern sich auch noch vorschreiben lassen, dass sie sich mästen müssen.“

      Gleich darauf verwickelte Gerhard seinen Freund Fritz Veldten in ein Schachproblem, über dessen Lösung die beiden alles andere vergassen. Fritz Veldten wollte zum Schluss die gefundene Lösung aufschreiben. Er griff nach einem Blatt Papier, das auf dem Tisch lag. Aber Gerhard Hessenbrock nahm das Blatt dem Freunde aus der Hand. „Respekt vor den Arrivierten! Das ist ein Brief von Generaldirektor Werffen. Weisst du, von der grossen chemischen Fabrik in Hamburg.“

      „Von dem Farben-Werffen?“ fragte Fritz Veldten zurück. „Was führst du denn mit dieser aufsteigenden Grösse für Korrespondenz?“

      „Fachsimpelei!“ antwortete Gerhard lakonisch. „Und daneben noch ein bisschen Familiensimpelei.“

      „Was habt ihr beide denn Familie zu simpeln?“ fragte Fritz Veldten erstaunt.

      „Der gute Onkel ist neugierig. Heute will er wissen, wie ich es fertig bringe, mit meinen Zinsen auszukommen. Er will mir schon seit Jahren durchaus einen Zuschuss geben und schimpft, dass ich dankend ablehne. Ich hab aber keine Lust, irgend jemand verpflichtet zu sein. Das will er nicht verstehen, quatscht von selbstverständlichen Verpflichtungen, die zu erfüllen er doch ohne weiteres auch in der Lage sei, und so weiter.“ Gerhards Stimme bekam einen leichten Anflug von Schärfe. „Ich will ohne Verpflichtungen dastehn, wenn ich mein Studium beendet habe, auch ohne moralische Verpflichtungen. Das mag eine Marotte sein, ich hab sie aber nun mal.“

      Fritz Veldten versuchte vergeblich, dem Freunde klar zu machen, dass von jeher der begüterte Verwandte sich der Begabung in der Familie zur Verfügung gestellt habe, dass Gerhard sich das Leben doch etwas erleichtern könne, ohne sich damit das geringste zu vergeben, Gerhard war von seinem Standpunkt nicht abzubringen.

      Zum erstenmal seit ihrer Bekanntschaft wurde Gerhard Hessenbrock dem Freunde gegenüber heftig.

      Fritz Veldten wollte sich nicht geschlagen geben.

      „Du übersiehst ganz, Gerhard, dass du mit deinem Einsiedlerleben dir Möglichkeiten für deine Zukunft verbaust. Ein Mensch von deinen Fähigkeiten könnte Verbindungen für die Zukunft anbahnen. Du bist auch in den alltäglichsten gesellschaftlichen Formen so ungewandt, dass du später zusehen wirst, wenn Unbedeutendere dir vorgezogen werden, nur weil sie über bessere Verbindungen verfügen und gewandter sind.“

      „Lass sie, Fritz. Wenn ich meinen Weg nicht auf Grund meiner Leistungen mache, auf andere Weise bestimmt nicht. Ich will auch nicht.“ Fritz gab den Kampf noch nicht auf. Erst als Gerhard Hessenbrock energisch bat, das Thema fallen zu lassen, gab Fritz nach. Aber die Freunde trennten sich verstimmt.

      Man söhnte sich dann aber wieder bei einer Schale Schwarzem und der geliebten Schachpartie aus.

      Das war damals der Anfang jener Freundschaft gewesen, die sich mit den Jahren zwischen den Männern immer mehr vertieft hatte. Man war gewöhnlich allwöchentlich einmal zusammen. Und nur eben in den letzten Wochen hatte Gerhard es seiner Arbeit wegen nicht mehr gekonnt.

      Gerade, als Frau Brigitte Veldten hereinkam, wurde Dr. Veldten telefonisch zu einem Kranken der Nähe gerufen. So blieben Gerhard und Frau Brigitte allein. Er war darüber nicht böse. Denn er hatte die warmherzige, gescheite Frau seines Freundes sehr schnell in die Freundschaft einbezogen. Eine Plauderstunde mit ihr war immer ein menschlicher Gewinn.

      „Das war wohl Ihre Kusine Annelore, Gerhard, mit der Sie gestern an mir vorbeikamen? Ja? Ein entzückendes Geschöpfchen! Ist es richtig, dass Fräulein Werffen mutterlos ist?“

      „Ja. Die Mutter ist gestorben, als Annelore noch ein kleines Kind war. Leider hat mein Onkel keine Erzieherin finden können, die es verstanden hätte, der kleinen Annelo etwas Ersatz für den Verlust zu geben.“

      Nachdenklich sagte Frau Brigitte:

      „Dann muss es doch für die Kleine recht einsam im Haus gewesen sein. So ein Mädelchen ohne Mutter —“

      „Und um so mehr, als mein Onkel Werffen ein vielbeschäftigter Mann ist. Er hängt unendlich an seiner Tochter und sie an ihm. Jedoch viel Zeit konnte er ihr nie widmen.“

      „Aber ein solch junges Geschöpf braucht doch jemanden, an den es sich anschliesst. Eine Frau, mit der es über Dinge sprechen kann, für die auch der Vater ungeeignet ist. Braucht Erfahrung und Güte.“

      „Ja, liebe Frau Brigitte, soweit ich dazu in der Lage bin, vertrete ich die Rolle einer etwas vorgeschrittenen Kinderfrau.“

      Brigitte streifte Gerhard mit einem kurzen, forschenden Blick. Sie antwortete nicht.

      Gerhard hatte diesen eigentümlichen Blick beobachtet: „Ich lese so etwas, wie Missbilligung in Ihren Augen, Frau Brigitte. Sie sind doch sonst so offen. Erscheint Ihnen da etwas unpassend?“

      „Unpassend?“ sagte Frau Brigitte zögernd, „das wäre nicht das richtige Wort. Etwas ungewöhnlich eher und, lieber Gerhard, auch nicht ganz unbedenklich für Sie beide.“

      „Da sehen Sie wohl doch zu schwarz, Frau Brigitte. Wir sind doch schliesslich nahe Verwandte.“

      „Haben Sie noch nie daran gedacht, dass diese Vertrautheit eines so jungen Mädchens einem Manne gegenüber — auch wenn er ihr Vetter ist — zu einer seelischen Bindung führen kann, an die Sie nicht denken?“

      „Sie haben wahrscheinlich recht, Frau Brigitte. Aber ein solcher Gedanke ist mir nie gekommen. Wir Männer wissen so wenig von dem, was in so einer Mädchenseele vorgeht. Aber da kommt mir ein wundervoller Gedanke: Frau Brigitte, dürfte ich Annelore nicht einmal zu Ihnen bringen? Ich habe so das Gefühl, Sie könnten ihr etwas sein. Ich habe ihr auch schon von Ihnen erzählt.“

      „Aber gern, Gerhard, wenn Sie glauben — Ihre kleine Kusine soll mir willkommm sein. Ich habe ja aus meiner Lehrerinnenzeit einige Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen.“ Mitten aus dem weiteren Gespräch fragte Frau Brigitte plötzlich:

      „Sagen Sie mal, Gerhard, gedenken Sie denn immer so einschichtig durchs Leben zu gehen? Ist Ihnen denn noch nie ein junges Mädchen begegnet, das ein tieferes Interesse bei Ihnen geweckt hat?“

      Ganz erschrocken richtete sich Gerhard aus seiner bequemen Plauderstellung auf:

      „Mir? Nein! Aber wie um alles in der Welt kommen Sie auf diese Idee, Frau Brigitte?“

      Lachend sah Brigitte zu Gerhard hinüber. Ein Blick warmer Freundschaft streifte ihn.

      „Ist denn das etwas so Unmögliches? Ich würde mich herzlich freuen, wenn Ihnen jemand begegnete, den Sie lieben lernten. Für Sie und für das Mädchen. Ihre Frau wird es mal sehr gut bei Ihnen haben. Und Sie wissen doch, Frauen,


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