Sieger über das Dunkel. Liane Sanden

Sieger über das Dunkel - Liane Sanden


Скачать книгу
Gerhard Hessenbrock, der zu Geheimrat Werffen in verwandtschaftlichem Verhältnis steht, hat nach langen Versuchen eine Erfindung gemacht, die geeignet ist, den Farbenmarkt zu revolutionieren. Die Lichtechtheit und Lichtbeständigkeit der neuen Färbemethode sollen alles Bisherige übertreffen. Wir hoffen schon in einer der nächsten Nummern unseren Lesern genauere Mitteilungen machen zu können.“

      Dr. Walther faltete das Blatt sorgsam zusammen und legte es in seine Brieftasche.

      „Gut, dass wir Juristen nicht die Vertrauensseligkeit der Erfinder besitzen. Morgen wird eine Flut von Anmeldungen beim Patentamt eingehen.“

      Ehe Dr. Walther sich am nächsten Tage darüber vergewisserte, rief er bei Gerhard Hessenbrock über den Hausapparat an.

      „Herr Doktor, ich würde Sie gern eine Viertelstunde ganz ungestört sprechen. Passt es Ihnen, wenn ich jetzt einmal zu Ihnen herüberkomme?“

      Es passte Gerhard Hessenbrock gar nicht. Er steckte bis über den Kopf in der Arbeit. Aber wenn Dr. Walther sich in dieser Weise anmeldete, ohne — wie es sonst üblich war, dem anderen zu überlassen, eine Zeit für die Besprechung vorzuschlagen — dann musste es etwas sehr Dringendes sein. So antwortete denn Gerhart sofort:

      „Sie wissen ja, lieber Herr Dr. Walther, dass es mit der Arbeit bei mir augenblicklich etwas brennt. Ich habe aber den Eindruck, dass die Angelegenheit Ihnen eilig ist. Ich stehe selbstverständlich zur Verfügung. Um was handelt es sich denn?“

      „Telefonisch möchte ich darüber nicht gern sprechen, Herr Dr. Hessenbrock. Ich suche Sie sofort auf.“

      Gerhard Hessenbrock hing resigniert den Hörer ein. Da war nichts zu machen, er musste seinen heutigen Arbeitsplan umwerfen. Die berühmte Viertelstunde kannte er schon. Das gab wahrscheinlich eine ziemlich ausführliche Besprechung. Gerhard erledigte schnell ein paar dringende Unterschriften, da wurde ihm auch schon Dr. Walther gemeldet. Nach ein paar Begrüssungsredensarten, die grade so lange dauerten, bis die anwesende Dame ihre Stenogrammhefte und Akten zusammengepackt und das Zimmer verlassen hatte, nahm Dr. Walther das Abendblatt, das er gestern zu sich gesteckt hatte, aus seiner Brieftasche und legte es vor Gerhard Hessenbrock hin.

      „Haben Sie diese Meldung gelesen, Herr Doktor?“ fragte er.

      Gerhard überflog die Nachricht. Er gab das Blatt zurück und erwidert: „Nein. Ich lese dieses Blatt auch sonst nicht, und gestern war ich abends noch beim Chef. Da bin ich zum Zeitungslesen nicht mehr gekommen.“

      „Setzt Sie denn diese kleine Notiz gar nicht in Erstaunen?“

      „Nein, Herr Dr. Walther. Gegen den Inhalt ist doch auch kaum etwas Sachliches zu sagen. Aber ich werde gleich Anweisung geben, dass ich nicht zu sprechen bin, wenn etwa jemand von der Zeitung wegen näherer Informationen kommt.“

      „Warum, lieber Herr Hessenbrock, wollen Sie den Herrn nicht empfangen?“

      „Weil ich noch nicht so weit bin, und weil auch Sie, Herr Doktor, wenn ich mich recht erinnere, gegen vorzeitige Veröffentlichungen sind.“

      „Da sind wir beim Kernpunkt der Angelegenheit, Herr Dr. Hessenbrock. Von uns aus ist keine Nachricht an die Presse gegeben worden. Woher hat also das Blatt die Information?“

      „Ja, das weiss ich auch nicht. Von mir, wie Sie sich denken können, nicht.“

      „Darüber war ich mir klar, Herr Dr. Hessenbrock. Aber Sie scheinen den wichtigsten Punkt zu übersehen. Ich komme zu Ihnen, weil Sie der Erfinder sind. Ich möchte es auch gern vermeiden, den Herrn Geheimrat zu beunruhigen. Weder Sie, Herr Dr. Hessenbrock, noch die Werksleitung hat die Zeitung informiert. Nun bedenken Sie: die Konferenz hat um 11 Uhr begonnen und war nicht viel vor ein Uhr zu Ende. Mit der Anmeldung bin ich erst nach 3 Uhr zum Patentamt gekommen, eigentlich schon später, als zulässig, aber man hat so seine Verbindungen. Um 3 Uhr ist die Abendzeitung aber schon fertig im Druck. Das Amt, kommt also — abgesehen von anderen Gründen — als Quelle nicht in Betracht. Ich frage mich also: Wer ist im Werk von so diskret behandelten Angelegenheiten so schnell und so überraschend zutreffend unterrichtet, dass er die Möglichkeit hatte, Aussenstehende zu informieren? Oder war etwa schon vorher irgend jemand über Ihre Versuche unterrichtet, Herr Dr. Hessenbrock, und hat nur die Konferenz abgewartet, ehe er zur Veröffentlichung schritt? Denn das jemand vom Werk aus an die Zeitung telefoniert habe, ist ja bei dem generellen Verbot der Privatgespräche ausgeschlossen. Ich habe mich noch besonders davon überzeugt, dass die Telefonzentrale pflichtgemäss solche Gespräche nicht ausführt.“

      „Was Sie sagen, leuchtet mir ein. Aber ich weiss doch noch nicht, weshalb Sie einer einfachen Zeitungsnotiz eine solche Bedeutung beimessen, Herr Dr. Walther.“

      „Es ist nicht die Zeitungsnotiz. Die wäre mir ganz gleich. Es ist für mich die Frage, ob wir jemand im Werk haben, der nicht dicht hält, und aus welchen Gründen das geschieht. Erinnern Sie sich der vertraulichen Meldung des Zentralverbandes, worin auf Vorkommnisse bei anderen Werken hingewiesen wird, die sich nie ganz haben aufklären lassen? Denken Sie auch an Direktor Bergeholz, der auf Grund von Ereignissen bei den Febawerken vorschlug, wir sollten untereinander Geheimlisten über neu angestellte Mitarbeiter, ganz gleich welcher Art, austauschen, damit man auf diese Weise vielleicht einen Fingerzeig bekomme? Haben Sie neulich davon gehört, dass die Mühlensiefenwerke ein Rundschreiben haben zirkulieren lassen, in dem sie um Nachricht bitten, ob festzustellen ist, wer die Nachahmungen ihrer Fabrikate nach Südamerika geliefert hat? In keinem Falle war bisher eine Aufklärung möglich. Die Werffenwerke waren bisher verschont. Aber diese Zeitungsnotiz macht mich stutzig. Und deshalb möchte ich nicht abwarten, sondern schon bei dem ersten Anzeichen einzugreifen suchen.“

      „Das scheint mir auch zweckmässig. Ich überlege mir die ganze Zeit“, sagte Gerhard Hessenbrock nachdenklich, „ob ich etwa selbst mit jemand über die Sache gesprochen habe. Das halte ich aber für ausgeschlossen. Und die beiden Herren, mit denen ich die Versuche zusammen durchgeführt habe, kennen Sie ja ebensogut wie ich, Herr Dr. Walther, die scheiden von vornherein aus. Der alte Berken, unser Laboratoriumsdiener, das ist doch das Hausfaktotum. Der liesse sich eher totschlagen, ehe ein Wort über seine Lippen käme. Die Kontrollergebnisse und die Statistiken über die Belichtungsversuche hat Fräulein Merkewald geschrieben, die vorhin im Zimmer war, als Sie kamen.“

      „Auch die ist schon seit Jahren im Werk tätig. Ich war schon in der Personalabteilung und habe mir Fräulein Merkewalds Personalbogen angesehen, mich auch sonst umgehört. Ich halte es für ausgeschlossen, dass sie die Hand im Spiel hat. Das macht ja grade die Sache so rätselhaft für mich. Ich möchte einen Vorschlag machen. Wir werden unter irgendeinem Vorwand Fräulein Merkewald an eine andere Stelle versetzen lassen. Es muss natürlich aussehen, wie eine Beförderung. Sie kann ja ruhig paar Mark mehr Gehalt dort bekommen. Ereignet sich nach ihrer Versetzung wieder etwas, dann haben wir den ziemlich schlüssigen Beweis, dass sie in jedem Falle unbeteiligt war.“

      „Ja, aber wen soll ich an Fräulein Merkewalds Stelle bekommen? Das muss doch jemand sein, der sich rasch einarbeitet und vor allem absolut zuverlässig ist.“

      „Ich habe an Fräulein Müller gedacht, die augenblicklich bei mir arbeitet. Da wäre nach keiner Richtung ein Bedenken. Klug und anstellig ist das Mädel. Aber damit müssen wir noch eine ganze Weile warten. Im übrigen wollen wir beide noch vorsichtiger sein, wie bisher.“ Damit verabschiedete sich Dr. Walther von Gerhard Hessenbrock.

      So sehr die Arbeit Gerhard bedrängte, er dachte an das Versprechen, welches er Annelore gegeben. Dies Versprechen musste er halten. Er hatte oft mit Interesse beobachtet, wie Annelore genau wie er in seiner eigenen Jugend sich mit Zweifeln und Skrupeln aller Art herumschlug, wie alles Auftauchende ihr einmalig und auf ihre Person zugeschnitten erschien. Wie Ungerechtigkeit und Unglück sie empörten, ihre Teilnahme weckten und den Wunsch, helfend einzugreifen. Erst aus den Gesprächen mit seiner jungen Kusine hatte er die Wahrheit des Satzes gelernt, dass jeder Mensch seine Erfahrungen selber machen müsse. Wie wenig nützte es doch einer Generation, dass die frühere die gleichen Gedanken gehabt, die gleichen Probleme erörtert, die Berechtigung oder Unberechtigung des gleichen Geschehens erwogen hatte.

      Auch heute, kaum dass er Annelore abgeholt, hatte sie eine ganze Anzahl ihrer


Скачать книгу