Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland. Volker Elis Pilgrim

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim


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selben »Leibfahrern«, ist belegt = ganz enge siebenjährige Freundschaft mit Emil Maurice bis zum Geli-Maurice-Verlobungs-Knatsch im Dezember 1927.

      Beim Tod von Hitlers nächstem »Leibfahrer« Julius Schreck 1936 war Hitler so tief ergriffen, dass er sich ähnlich wie nach dem gewaltsamen Tod seiner Nichte Geli Raubal 1931 für einen lebensgeschichtlichen Moment zurückziehen musste. (a. a. O., S. 631)

      Wenn ein noch ziemlich junger Mann von Anfang zwanzig in eine solche Gefühls-Siedehitze von Hitler gebracht wurde, öffneten sich auch andere Befindlichkeits-Poren. Erich Kempka (1910–1975) nahm seinen Dienst bei Hitler als »Leibfahrer« mit 21½ Jahren auf – am 29. Februar 1932, weil er zu dieser Zeit in Hitlers SS-Begleitkommando kam und der Vertreter von Hitlers damals »erstem [Leib]Fahrer« Julius Schreck geworden war. Das alles geschah genau im Monat vor Beginn der engeren Beziehung zwischen Braun und Hitler im März 1932.

      Also ist Wahrheit über Hitlers sexuelle Angelegenheiten wieder aus einer menschlichen Nähe zwischen ihm und jemandem zu pressen. »Leibfahrer« Erich Kempka kannte auch Eva Braun genau. Er fuhr sie meist, wenn sie während Hitlers Anwesenheit in dessen Münchener Wohnung am Prinzregentenplatz zu ihm zu Besuch geholt werden sollte. Kempka gab zu Protokoll, dass ab 1932 keine andere Frau mehr außer Eva Braun in Hitlers Auto sitzen durfte. (Kempka 47, Lambert, S. 254)

      Trotzdem definierte dieser junge Mann und Hitlers Auto-Alter-Ego seine Generations-Genossin Eva Braun als »unglücklichste Frau in Deutschland«.

      Das tat Kempka nicht wie viele seiner 22 Vorzeugen aus der statischen Nähe eines Arztes, Dieners, Freundes, Verwalters oder sonstigen Funktionsträgers oder der Position einer der vier Sekretärinnen, sondern aus der Rolle von Hitlers Auto-Sausebraus, des »Leibfahrers«, mit dem routinemäßig durch Deutschland gekurvt wurde, was Hitler lieber tat als zu fliegen oder mit der Bahn zu fahren.

      Mit »unglücklichster Frau in Deutschland« war gemeint, dass »Leibfahrer« Kempka den Stab über der sexuellen Erfüllung Eva Brauns brechen wollte. Dass Kempka mit der Bemerkung, Braun sei »die unglücklichste Frau in Deutschland«, tatsächlich sexuelles Unglück hat treffen wollen, ergibt sich aus Kempkas eigenen Lebensbedingungen. Er selbst war verheiratet und wusste aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, »eine Frau glücklich zu machen«. Er war blutjung und nur eineinhalb Jahre älter als Eva Braun, beobachtete sie demnach auch altersmäßig aus nächster Nähe.

      Kempka entstammte einer Bergmann-Familie mit zehn Kindern. Noch wichtiger für sein Urteil: Er war mit einer Frau verheiratet, die vor ihrer Ehe beruflich auf sexuellem Gebiet tätig gewesen war. Sie durchschaute die Dinge der Horizontalen schneller und leichter als andere Menschen – aus einem Fachfrau-Hintergrund, auch wenn dieser das halbseidene Gewerbe betraf, wie damals verächtlich über solche Frauen gesprochen wurde.

      Pikanterweise hatte Frau Kempka auch ein loses Mundwerk, mit dem sie ungeniert ihre Einschätzungen über eben dieses »ganzseidene Gewerbe« sämtlicher Paare unter der Hitler-Entourage in Umlauf brachte. Bormann verlangte schließlich von Kempka die Scheidung von dieser Frau. Das Paar absolvierte sie wie mit linker Hand im Oktober 1944, blieb jedoch weiterhin miteinander verbunden. Alle Einzelheiten darüber sind in den Briefen Bormanns an seine sittenstrenge, stumme, zehnfach gebärende Mittäter-Gattin Gerda in den Monaten vor der Kempka-Scheidung 1944 zu finden. (Trevor-Roper 54)

      Wieder wurde eine Frau aus dem engeren Kreis um Hitler verbannt, weil sie wie das österreichische Mädchen vom Lande, das Zimmermädchen Anna Plaim-Mittlstrasser (14.), zum Glas-klaren Durchblick in intimen Dingen fähig war. Solche genauen Wahrnehmungen in sexuellen Dingen fürchtete Hitler wie die Pest. Die Bestrebung, seinen »Leibfahrer« Kempka zur Scheidung zu bringen, ging von Hitler selber aus. (a. a. O.)

      Kempka gab seine Einschätzung von der sexuellen Pleite im (»Berg«)Hause Hitler gleich nach 1945 zu Protokoll. Sein Verdikt über Eva Braun als »unglücklichste Frau Deutschlands« wirkte noch im Jahre 2000 auf die US-Dokumentaristin Marion Milne so überzeugend, dass sie es in ihren Film Adolf and Eva einbaute (Premiere am 29. April 2001). (Lambert, S. XI f., Anm. 5, S. 254)

HETERO

       Das »Kunst«gewerbe »des Weglassens«

      Wie präsentiert man einen Mann, der – auch für jeden Hitler-Biografen belegtermaßen ersichtlich – auf sexuellem Gebiet von der Norm abwich, als stinknormalen Hausherrn mit Zubehör-Weib?

      So tat es Volker Ullrich in seiner zweitjüngsten, immer noch aktuell frischen, Zeugnis-überquellenden 1100 Seiten langen Hitler-Gesamt-Biografie von 2013 (erster Teil) – Englisch 2016: Man lässt von dem »Trauermarsch« der Anti-Hetero-Zeugen, den bisher 23 vorbeidefilierten Daumen-Runter-Haltenden, als Erstes einfach 15 weg.

      In Ullrichs zwei Kapiteln zu Hitlers Heterosexualität, Hitler und die Frauen und Die Berghof-Gesellschaft, und in den zwei Jugend-Abrissen Die Wiener Jahre und Das Schlüsselerlebnis des Krieges kommen nur acht Nein-Zeugen zu Wort: NSDAP-Schatzmeister Schwarz (2.) = »platonisch« (Ullrich, S. 918, Anm. 108), Sekretärin Schroeder (3.) = »Scheinverhältnis« (S. 321), Auslands-Spezialist Hanfstaengl (4.) = »impotent« (S. 911, Anm. 4), Berghof-Hausverwalter Döhring (5.) = »keine Bett-Spuren« (S. 689), Jünglings-Intimus Kubizek (7.) = »Asket« (S. 54), Co-Meldegänger Brandmayer (10.) = »Klosterbruder« (S. 76), SA-Finanz-Spezialist Otto Wagener (19.) = »Überwindung« des Sexualtriebs (S. 322), Duzfreund und erster »Leibfahrer« Emil Maurice (22.) = »kein Geschlechtsverkehr mit Liebschaften!« (S. 305).

      Zwischen einer und drei Zeilen werden von Ullrich zu jedem Zeugen gebracht, manchmal steht nur ein Wort da – in einem 1100-Seiten-Buch über Hunderte Seiten ohne Zusammenhang verstreut, mit Seite 54 anfangend, der ersten Erwähnung des Problems, bis zu Seite 918 im Anmerkungsapparat – hier nicht einmal im Text.

      Ullrichs zwei Mitteilungen der negativen Bewertung von Hitlers Sexualität durch Schwarz (2.) und Hanfstaengl (4.) unter den Anmerkungen zählen wie nur halb, da viele Leser von Ullrichs riesigem Konvolut es nicht bis zum Studium jeder Fußnote schaffen können. Damit schrumpfen die acht auf sieben.

      Und Otto Wagener (19.) mit seiner brisanten Wiedergabe von Hitlers verschlüsseltem Bekenntnis, nie den spezifisch männlich-sexuellen, phallisch-vaginalen Eindrangs-Trieb gehabt zu haben, wurde unter den Seitenzahlen im Personen-Register vergessen. Dann ist diese Passage für den Querleser und Überflieger unauffindbar – macht lediglich sechs Neins. Die Zahl der von Ullrich weggelassenen Neins steigt dadurch auf 17, die – wie sich noch ergeben wird – längst noch nicht alle erreichbaren Zeugen sind. Die Neins werden im Laufe der Untersuchung zu Hitlers Heterosexualität auf über 40 steigen.

      Die Ullrich’sche Schieflage bedeutete nichts, wenn es nicht um etwas Jahrhundert-Essentielles ginge – um die Erkrankung des umfänglichsten Zerstörers der Welt an der Reagibilität seines speziellsten Organs, das und dessen kommunikative Tätigkeit Sitten-dogmatisch nicht bei Tisch und in Gesellschaft benannt, geschweige denn von früh an erforscht werden darf. (Und kein Protest von Sexualwissenschaftlern gegen diese Strangulierung von Forschung und Lehre!)

      Das Häuflein der sechs/acht Aufrechten zum Thema Hitlers abartige Sexualität ist in Ullrichs Hitler-Biografie von keinem noch so sexual-bezüglich interessierten Lesenden in einen Zusammenhang zu bringen, der jemals in dem Aha münden könnte: Ach so, Hitler = serienkillend Orgasmus-defekt.

      Besonders die weggelassenen 15 Zeugen wider die sexuelle Normalstatur Adolf Hitlers erlaubten es Ullrich, Hitler den Normalmann-Anzug maßgeschneidert anzupassen. Das wiegt schwer, weil Ullrich – mit zwei Ausnahmen – alle übrigen 13 Nein-Zeugen und ihre Bemerkungen kennt und sie trotzdem bei seiner Beschäftigung mit Hitlers Sexualität nicht zu Wort kommen lässt. Erst wenn Ullrich die 15 Gemiedenen vorgehalten werden, tritt sein Verfahren der Aussparung deutlich hervor, mit dem er es sich erlauben konnte, den Weg in die sexuelle Abnormität Hitlers nicht gehen zu müssen.

      Erstens: Hoffmann (1.) – Es beginnt sogleich mit dem ersten Zeugen, dem Stifter des Braun-Hitler-Verhältnisses, Fotograf


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