Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland. Volker Elis Pilgrim
im 1940er dann vollendet.
Dem jüdisch gebürtigen Bevölkerungsteil Deutschlands wurden unmittelbar nach Hitlers Machterlangung die »Quellen des Lebens« (Freud) abgegraben: Geschäftsboykott, Anstellungsstop, Beamtenrauswurf und Liebesverbot (Wagner) für jüdisch gebürtige Deutsche, die sich mit Bürgern anderer Herkünfte liieren oder verheiraten wollten. Das meiste wurde zum Zwecke der Stillung der deutschen Obrigkeits-hörigen Bedürfnisse mit Gesetzen geregelt. Alles zur Genüge bekannt, sodass Einzelnachweise überflüssig sind. Verschleppungen von Juden in KZs, erster Massenmord in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 – in ganz Deutschland (»Reichskristallnacht« mit geschätzt 500 Todesopfern).
Drittens: Auch die Massen-Erschießungen der Polen und die Vergasungen des jüdischen Bevölkerungsteils in den okkupierten europäischen Ländern können nicht als Ausfluss von »Auslandspolitik« bezeichnet werden.
Sowie Hitlers Angriffs- alias Wehrmacht ab 1. September 1939 ein Gebiet besetzt hatte, wurde es unter deutsche Hoheit gestellt, wurden Gouverneure wie Länder-Ministerpräsidenten und Gauleiter wie Regierungspräsidenten installiert.
Die im Zweiten Buch visionierten Verbrechen Hitlers und seiner Männer geschahen immer in Deutschland und von Deutschland aus. Hitler hatte das ihm unterworfene Land nach der Anzettelung des Zweiten Weltkriegs nur drei Jahre lang »ausgedehnt«, bis ihm die Alliierten Zug um Zug die Zurück-Schrumpfung zumuteten.
Hitler betrieb im Zweiten Buch eine Behämmerung der Deutschen, um sie zu allen seinen Angriffen auf Menschen und Länder bereit zu schlagen: Deutschland sei für seine Bevölkerung zu klein, der deutsche »Lebensraum« müsse vergrößert werden. Die damit verbundenen Aggressionen stünden den zahlenmäßig angeschwollenen Deutschen zu.
Dass dieser »Lebensraum« im Übergang Deutschlands vom kleinen Deutschland zu »Großdeutschland« erst einmal ein Todesraum für die Russen werden würde, hatte auch nichts mit Ausland zu tun, sondern mit der Verwirklichung von Hitlers Killer-Mentalität.
Hitlers Zweites Buch ist die Erkennungsmarke des Staats-Terroristen und muss als solche endlich in die Welt gebracht werden. Das wäre der sicherste Weg, um die Faszination von Hitlers erstem Buch Mein Kampf aufzuheben.
Alle drei seiner Auslösch-Programme werden im Zweiten Buch atemberaubend deutlich ausformuliert. Genau in der historischen Reihenfolge, in der Hitler gemeinsam mit seinem männerbündischen Staat zur Tat geschritten ist, hat er die »Euthanasie« der Behinderten, die »Endlösung« als Vergasung der Juden und die Niedermetzelung des russischen Volkes indoktriniert. Seine Inhumanitäten in Mein Kampf sind dagegen geradezu nichts.
Hitler propagierte die Vernichtung »kranker, schwächlicher, missgestalteter« Menschen, die er als »Degeneraten« herabwürdigte. (Hitler 61, S. 57) Hitler degradierte das gesamte jüdische Volk zur »internationalen jüdischen Völkermade«, die es gälte mit insektiziden Mitteln auszulöschen. (a. a. O., S. 62) Und Hitler heizte seine »Volksgenossen« zu Angriffskriegen an, weil die »ungenügende Raummenge, die unserem Volk heute zur Verfügung steht«, mit dem Massenmord vor allem unter den russischen Nachbarn im Osten durch die Schaffung neuen »Lebensraums« kriegerisch bewältigt werden müsse. (a. a. O., S. 58 f., 62 ff.)
Hitler predigte mit seiner »Rassenreinheit« Inzucht, dessen eigene im zweiten Buch behandelt werden wird. Auf fünf Seiten delirierte er bis zu 20-mal in Abwandlungen mit dem von ihm erfundenen Begriff »Rassenwert«, der von Hitler dazu gebraucht wurde, um die Deutschen als nun ebenfalls verinzüchtete »Obermenschen« für die drei Auslöschprogramme und den von Hitler losgetretenen Zweiten Weltkrieg fähig zu machen. (a. a. O., S. 64 ff.)
Hitlers »Politisches Serienkiller-Manifest« ist »in letzter Minute« vor einer Veröffentlichung 1928/29 zurückgehalten worden. Seine Publikation wäre das erfolgreichste Mittel geworden, Hitlers »Machtergreifung« zu verhindern.
Hitlers Dynamik und Politik in Richtung der historisch bekannten Destruktionen im größtmöglichen bisher gesehenen Ausmaß von Gruppen- und Völker-»Ausrottungen« sind geblieben und ab 1939 in tausende Taten umgesetzt worden. Deshalb muss dieses serielle Kill-Manifest in die Welt geradezu hinausgeschrien werden. Denn gerade mit diesem Selbstzeugnis ist Hitler bestens verständlich zu machen.
Das Münchener Institut für Zeitgeschichte wird für Hitler 1 und Hitler 2 andauernd wegen seiner vorbildlichen Tätigkeit nach 1945 betreffs seiner Sammlungen zum Dritten Reich affirmativ zitiert. Es hat nicht nur gesammelt – auch aus US-Beständen –, sondern ebenfalls eigene Zeugen-Befragungen in Auftrag gegeben, wie die des Historikers Georg Franz-Willing, die unverzichtbares Erkennungs-Material zur Hitler-Regierungs- und -Vor-Regierungs-Zeit geworden sind, worüber hier immer wieder bei Einzel-Erwähnungen berichtet werden wird. Jedoch: Wie konnte gerade diesem Spezial-Institut für die Dritte-Reichs-Geschichte solch ein Eigentor passieren, die präziseste Erkennungsmarke des universalen Zerstörers unauffindbar für das allgemeine Publikum zu verstecken.
Das Beste wäre gewesen – und würde es weiterhin noch immer sein –, wenn in der neuen Instituts-Ausgabe von Mein Kampf das Zweite Buch mitpubliziert worden wäre. Dieser Zusammenhang hätte dann so für sich selbst gesprochen, dass sich die Herausgeber viele Kommentare hätten ersparen können. Hitlers Zweites Buch ist der erhellendste Kommentar seines ersten Buches Mein Kampf.
In einer derartigen Permanenz der Völker-Ausrottung – als Plan und als Vollzug –, die Hitler im Zweiten Buch propagiert hat, befindet sich kein »normaler Heteromann«.
Welch eine Fehlvorstellung waltet da unter Hitler-Biografen auch über die männliche Heterosexualität, als ob die in der Lage wäre, so etwas auszubrüten. Derartige Vorstellungen können sich nur sexualwissenschaftliche Ignoranten leisten, von denen sich die Hitler-Biografik emanzipieren sollte.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass alles, was man gegen die heterosexuell »normal« funktionierenden Nazi-Männer Goebbels, Heydrich und Himmler vorbringen kann, richtig ist. Aber: Sie haben solche Texte wie Hitlers Zweites Buch nicht fabriziert. Außerdem waren sie Ausführende, Nachvollzieher, Untergebene. Göring ist wegen seiner Schussverletzung im Unterleib während des Hitler-Putsches am 9. November 1923 ein Sonderfall. Aber auch Göring funktionierte heterosexuell zuvor annähernd normal, was er mit der Heirat seiner ersten Frau Carin von Kantzow plausibel gemacht hat, als er noch »gertenschlank« war.
Vor ihrer Berührung mit Hitler 2, dem durch den militärpsychiatrischen Eingriff in Pasewalk zu einem »Unnatural« (Philip Ball) Transformierten, verfügten alle Nazi-Co-Führer auch über normale Sach-Identitäten von Heteromännern. Goebbels war philosemitischer Autor (Roman Michael), Göring war Pilot, Heydrich Violin-Virtuose und Himmler Farmer.
Hitler 1 war gar nichts – ein dilettierender Kunstmaler ohne Berufsausübung und ohne Berufsperspektiven. Und Hitler 2 war Massenmörder von Gebilden, Einheiten und Zusammenhängen, kaschiert hinter dem Begriff Politiker. (Hitler, 25/26, S. 225, Näheres im vierten Buch)
»Unbefleckte« Begängnis und das Diener-Geflüster
Ebenso wie die ungekürzte und komplettierte Aussage von Hitlers Sekretärin Christa Schroeder stammt auch das vollständige Zitat der Bemerkungen des Berghof-Verwalters Herbert Döhring über Hitlers trockenes Verhältnis zu Eva Braun aus Anton Joachimsthalers Buchveröffentlichung Hitler Liste von 2003. Joachimsthaler ist der Erst-Darsteller von Hitlers biografisch toter Hetero-Hose, indem er sich alle Hitler-Freundinnen vornahm, mit denen etwas gewesen sein soll.
Joachimsthalers Auseinandersetzung mit Hitler-Biograf Werner Maser diente als Vorbild für die weiterhin zu führende Auseinandersetzung mit dem Hitler-Gesamt-Biografen Volker Ullrich wegen der Bild-Korrektur Hitlers als eines Mannes der Frauen, als der er bei Ullrich trotz Lothar Machtans schon 2001 vorgenommenem allgemeinem Hetero-Verriss Hitlers immer noch rüberkommt. (Machtan)
Joachimsthaler war 2003 wegweisend – zehn Jahre vor Ullrichs Rückdrehung