Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland. Volker Elis Pilgrim
recherchiert und vorgetragen. Und von der Seite der Hitler-Freundinnen aus liegen die Untersuchungen Anna Maria Sigmunds seit 1998 vor, die in die Hosen aller sogenannter »Hitler-Frauen« hineingeschaut und darin – außer im Falle Eva Brauns – nicht viel bis gar nichts sexuell Lebendiges gefunden und darüber in immer neuen Auflagen ihres Werkes bis 2013 publiziert hat.
Erst in ihrem späteren Nazi-Sex-explorierenden Buch Das Geschlechtsleben bestimmen wir von 2008 hält Sigmund es im Anschluss an manchen Eingeweihten für möglich, dass Hitler Eva Braun nur »zur Kaschierung seiner sexuellen Abstinenz benutzte«, (Sigmund 08, S. 19) weil er »anscheinend nur einen schwach ausgeprägten Geschlechtstrieb hatte«. Doch beweisen ließe sich nichts. Daher bliebe Hitlers sexuelle Frage »in allerletzter Konsequenz unbeantwortbar«. (a. a. O., S. 22)
Die Untersuchungen von diesen drei Wissenschaftlern Machtan (2001/03), Joachimsthaler (2003) und Sigmund (1998–2008) zur Hitler-Heterosexualitäts-Frage konnten Ullrich 2013 nicht davon abhalten, Hitler erneut zu normalisieren. Man sieht erneut, welch ein Drang unter »Normali« danach besteht, Hitler als einen der Ihren »körperlich zu besitzen«!
Joachimsthaler verurteilte schon zehn Jahre vor Ullrich diesen Versuch zum Scheitern: »Verschiedene Zeugen des inneren Kreises um Hitler sagten nach dem Kriege aus, dass es sich bei dem Verhältnis Hitler-Eva Braun mehr um eine gute Freundschaft als um eine Liebesbeziehung gehandelt habe […] Herbert Döhring meinte, ›[…] dass es nicht mal ’n richtiges Freundschaftsverhältnis, sondern eine dahinplätschernde gute Bekanntschaft war.‹ – Danach wären die Sätze über sexuelle Beziehungen Hitlers zu Eva Braun wirklich ein Blödsinn! Nur Werner Maser stellte fest: ›Darüber, dass Hitlers Sexualleben normal war, bestehen keine Zweifel.‹ (Werner Maser [19]75, Heyne, S. 320).« (Joachimsthaler 03, S. 604, Anm. 809)
So schreibt Maser auch noch in der 14. Auflage 1995, Heyne, S. 320. Danach, in der 18. und letzten Auflage von Masers Hitler-Gesamt-Biografie, der Sonderausgabe von 2001, ist der Text um viereinhalb Seiten nach vornhin verschoben worden auf die Seite 324, was seit der 15. Auflage 1996 geschah. Auf der dortigen Seite 320 von Masers »Ausgabe letzter Hand« steht noch etwas Weiteres zur Normalität von Hitlers Sexualleben. Da heißt es: »Dass Hitler tiefer und inniger Liebe [zu Frauen] nicht fähig gewesen sei, wie durchweg behauptet wird, trifft nicht zu.« (Maser 01, S. 320)
Gegen Masers »Darüber, dass Hitlers Sexualleben normal war, bestehen keine Zweifel« positionierte sich Joachimsthaler direkt: »Darüber bestehen sehr wohl beträchtliche Zweifel, wie sie auch die meisten, die Hitler näher kannten und sich mit dessen angeblicher Sexualität beschäftigten, zum Ausdruck gebracht haben. Döhring, Schroeder, Hoffmann usw., Menschen, die wirklich lange Jahre in seiner Nähe verbracht haben, sagten aus, dass Hitler mit Eva Braun keine sexuellen Beziehungen gehabt habe. So antwortete der mehrfach erwähnte Hausverwalter Herbert Döhring auf die Frage [2001 im ZDF-Interview], ob Eva Braun und Hitler miteinander intim waren: ›Dafür gibt’s kein Anhaltspunkt. Wir, meine Frau hat da nix feststellen können. Wenn irgend jemand von uns, wir waren untereinander so vertraut, seine persönlichen Diener, auch die Zimmermädchen, wir ham so ein kollegiales, familiäres Verhältnis [gehabt]. Die hätten das uns mitgeteilt oder wie. Auch meine Frau in der Wäsche, die war immer neugierig, meine Frau, extra die Wäsche nachgeschaut, vorm Waschen, wenn Hitler weg war. Nix, nix, nix festgestellt … [im Text] Auch nirgendwo Tücher oder wie, gab keine Anhaltspunkte, nix.‹« (Joachimsthaler 03, S. 454, 604, Anm. 796, zitiert aus dem Interview Döhrings, Sommer 2001, im Film von Oliver Halmburger, Loopfilm München)
An diesem vollständigen Zitat ist hervorzuheben, dass es zwei Teile hat, der eine bezieht sich auf die Untersuchung der Braun-Hitler-Bettwäsche, der andere auf die Unterhaltungen unter dem Dienstpersonal. Und wie Rochus Misch (18.) es hinterließ: Keinem ist etwas aufgefallen, niemand hat etwas Intimes bemerkt und darüber eine Andeutung gemacht. Auch das Zimmermädchen Anna hat nichts dergleichen wahrgenommen (14.).
Im Gegensatz zu Misch versicherte Döhring jedoch, dass sich die Berghof-Bediensteten im Unterschied zu denen in der Berliner Reichskanzlei, von denen Rochus Misch spricht, selbstverständlich über Braun-Hitlers fehlende sexuelle Spuren ausgetauscht hätten: »Wir waren untereinander so vertraut, seine persönlichen Diener, auch die Zimmermädchen, wir ham so ein kollegiales, familiäres Verhältnis [gehabt]. Die hätten das uns mitgeteilt«. Anders bei den Reichskanzlei-Bediensteten und Hitler-Begleitenden, die oft wechselten und unübersichtlich viel mehr waren als die auf dem Berghof. Die Berghof-Diener waren eine durch ihr Sein in dem geschlossenen Gebäude-Komplex verschworene Gemeinschaft, die sich untereinander angefreundet hatte, sodass ein Vertrauensverhältnis aufgebaut war, in dem auch über das Herrscherpaar gesprochen werden konnte.
Mit Döhrings Kennzeichnung der Berghof-Diener als eine Familie bekommt die Gewagtheit seines Blickes auf die »unbefleckte« Begängnis der Braun-Hitler-Bett- und Handtücher eine solide Basis, nämlich: Niemand hat etwas bemerkt, auch ohne Laken-Inspektion. Das Diener-Vertrauensverhältnis ist ein Alarm-Zeichen als Massen-Response: Nicht nur das Ehepaar Döhring hat mit der (Geschlechtslust)»Wasserprobe« ein negatives Resultat erhalten. Auch dem Chor der Hitler-Leib-Zugesellten hat sich nichts Diesbezügliches erschlossen.
Döhrings negative Aussage zur Intimität zwischen Hitler und Braun wird noch eine besondere Bedeutung bei der Herannahme des Widerrufs durch Diener Heinz Linge haben (AMORO, zweiter Ja-Sager) – und bei der Auseinandersetzung mit der siebenten Ja-Sagerin, Gretel Mittlstrasser, der Nachfolgerin Döhrings, die behauptet hat, sie hätte Medikamente zur Perioden-Beeinflussung für Eva Braun vom Arzt holen müssen – angeblich immer während der Zeit, in der der »Führer« auf dem Berghof weilte. (»Kreuzverhör« dieser Spezialausgabe einer Eva-Braun-Hofdame in HETERO)
Zur Glaubwürdigkeit Herbert Döhrings folgt die Übermittlung seiner Daten, die ihn für etwa acht Jahre lang Hitler gegenüber als nah erweisen: »Herbert Döhring, Bauer, geboren am 29. 9. 1913 in Paaris, Kreis Rastenburg (Ostpreußen) [eineinhalb Jahre jünger als Eva Braun!], gestorben am 23. 12. 2001 in Hersbruck. 1934 mit 21 Jahren zur SS-Leibstandarte (SS-Nr. 268 076) nach Berlin. 1935 Kommandierung zum Wachkommando Obersalzberg. Dienst als Telefonist und da Hitler aufgefallen. Am 15. Mai 1936 mit [noch nicht] 23 Jahren Hausverwalter im Haus Wachenfeld bzw. Berghof Hitlers. Mit der Köchin Hitlers, Anna Krautenbacher, seit 10. 12. 36 verheiratet. Ab Ende 1942 zum Kriegsdienst bei der Waffen-SS (SS-Untersturmführer) eingezogen und Einsatz in Russland. Verwundet. 1945 im Lazarett in Hamburg […]« (Joachimsthaler 03, S. 586, Anm. 239)
Somit schied Döhring als Hausverwalter Militärdienst-rechtlich Ende 1942 aus, praktisch jedoch erst am 28. Februar 1943. Er war durch seine Telefonisten-Tätigkeit bei Hitler ab 1935 insgesamt fast acht Jahre in nächster Nähe des »Führers«. Döhrings Nachfolger Willi Mittlstrasser trat die Nachfolge erst im Frühjahr 1943 an.
Auf der letzten Seite der Neuausgabe von Kammerdiener Karl Wilhelm Krauses Erinnerungen Im Schatten der Macht. Kammerdiener bei Hitler wird Werbung für die zwei Hitler-Berghof-Filme Teil I und Teil II gemacht: »Herbert Döhring war acht Jahre lang, von 1935 bis 1943 [zuerst als Telefonist und dann] als Hausverwalter des Berghofes im persönlichen Dienst Hitlers tätig […] vom 13. Mai 1935 bis zum 28. Februar 1943.« (Krause 11, S. 96)
Döhrings Interview von 2001 im Berghof-Film von Oliver Halmburger mit seinem Kommentar zur Braun-Hitler-Beziehung ist sozusagen ein Spät-Zeugnis, keine Sofort-Äußerung bei US-Verhörern und in Publikationen direkt nach 1945. Man merkt Döhrings Einschätzung des Braun-Hitler-Verhältnisses das Verstreichen der Zeit von mehr als einem halben Jahrhundert an. Zwischen 1945 und der Jahrtausendwende liegt die »sexuelle Revolution«.
So genau, wie Döhring sich über die Nicht-Existenz der Trivial-Folgen von sexueller Tätigkeit mit seinem Hinweis auf das Rückstandslose von Braun-Hitlers Bettwäsche ausgelassen hat, wurde direkt nach 1945 noch nicht geredet.
Döhrings »unbefleckte« Begängnis wird ihn als Zeugnis-Markenzeichen verewigen, das ihm speziell als einem (ostpreußischen) Bauern möglich war, der von klein auf gelernt hatte, auf jegliche Art von Sexualität genau zu schauen. Döhring war wegen dieser Kombination zu einer Nach-68er-Bemerkung fähig. Er benutzte kein Fremdwort, wie