Villa im Tiergarten. Artur Hermann Landsberger
die vornehmen?“ fragte ich. „Es ist jetzt halb fünf. Ich glaube nicht, daß die Kriminalpolizei vor acht Uhr ihren Laden aufmacht.“
„Halt!“ rief Rolf. „Ich kenne einen Kommissar! der hat mit fabelhafter Geschicklichkeit seiner Zeit in der Affäre Po Gris gearbeitet. Schieb mir mal den Apparat her! — So! — Hallo! Kurfürst 1896 — ist dort Genz? — Wie? — ob ich Perlen — nein! diesmal ist es eine echte, runde Sache — ein Leckerbissen für jeden Kriminalisten! Wie? — Ob ich Ihnen den Leckerbissen nicht lieber ein paar Stunden später zum ersten Frühstück servieren möchte? — Er verdirbt! — Ich darf Ihnen also mein Auto schicken? — Gut! Wir erwarten Sie!“
In diesem Augenblick ertönte vor dem Hause ein grelles Pfeifen. Wir alle, übernächtig und überreizt, fuhren zusammen. Es wiederholte sich. Etville, Rolf und ich griffen nach unseren Revolvern, die vor uns auf dem Tische lagen und den an sich eigentümlichen Eindruck dieser nächtlichen Sitzung noch erhöhten.
„Licht aus!“ befahl Frau Inge. — Die Diener führten den Befehl aus. „Ruhig verhalten!“ sagte sie flüsternd. „Niemand schießt!“
Nach ein paar Augenblicken Ruhe setzte das Pfeifen von neuem ein.
„Zweifellos steckt noch einer der Einbrecher im Hause und kann nicht hinaus,“ sagte ich.
„Wer kann so ähnlich pfeifen?“ fragte Frau Inge. Da sich mehrere meldeten, so entschied sie:
„Pfeifen Sie, Nitter!“
Und nun ging es hin und her — oben, unten — oben, unten — etwa sechsmal hintereinander.
„So kommen wir nicht weiter,“ sagte Frau Inge, und Etville, der sich im Dunkeln das Glas füllte, erwiderte:
„Das scheint mir auch! — Prost!“
„Prost!“ erwiderten ein paar Stimmen, und Gläser klapperten.
„Burg und Nitter, haben Sie Waffen?“ fragte Frau Inge.
Sie bejahten.
„Gehen Sie behutsam hinunter, ohne Licht zu machen und schließen Sie möglichst geräuschlos die Haustür auf. Versucht dann jemand hinauszukommen, so fassen Sie ihn.“
Burg und Nitter beeilten sich nicht, den Befehl auszuführen. Sie brabbelten irgend etwas in sich hinein.
„Gut! so gehe ich!“ erklärte Frau Inge — was zur Folge hatte, daß sich alle Anwesenden erboten, den Befehl auszuführen. Töns ging sogar soweit, daß er Frau Inge am Arm nahm und sagte:
„Sie bleiben!“
Im selben Augenblick tasteten sich Burg und Nitter auch schon aus dem Zimmer. Nun folgte Totenstille. Einmal ertönte von unten noch ein Pfiff. Dann kehrten Burg und Nitter verängstigt zurück und Burg meldete:
„Soweit ich es in der Dunkelheit durch die Glasscheibe erkennen konnte, steht ein halbes Dutzend bewaffneter Strolche vor dem Haus.“
„Wir sind doch hier nicht in Wildwest!“ erwiderte Frau Inge, und Etville griff wieder nach dem Tischapparat und forderte:
„Ueberfallkommando!“ — Die Verbindung kam überraschend schnell, und ebenso schnell raste ein Lastauto heran, das vor unserem Hause hielt. Wir stürzten ans Fenster. Dunkle Gestalten sprangen vom Wagen. Stimmen wurden laut. Die Haustür ging. Lärm auf der Treppe. Ein Signal! Der Lärm kam näher. Irgendwer riß die Tür auf und rief:
„Licht!“
Der Saal, in dem wir eine halbe Stunde lang im Dunkeln gesessen hatten, erstrahlte im Licht von ein paar Dutzend Kerzen so hell, daß wir zunächst geblendet waren.
Als wir uns an das Licht gewöhnt hatten, sahen wir ein paar Grüne, deren Führer stolz auf einen gefesselten Menschen wies. Sein Mund und seine Augen waren geschwollen, und die blonden Haarsträhnen hingen ihm über beide Augen hinab.
„Da haben Sie den Kerl, der bei Ihnen einbrechen wollte,“ sagte der Grüne. „Er wollte seinen Genossen gerade ein Warnungssignal geben, als wir eintrafen. Na“ — er wies auf den geschwollenen Mund — „für die nächsten vier Wochen wird ihm das Pfeifen wohl vergangen sein.“
Wir hatten sämtlich längst festgestellt, daß der vermeintliche Einbrecher kein anderer als — Karl Theodor Timm war. Der hatte sich auf Grund unseres Beschlusses am Abend auf den Bummel begeben, von dem er nun völlig arglos heimkehrte. Da Burg die Sicherheitskette vorgelegt hatte, so nützten ihm die Schlüssel nichts. Er pfiff also und verursachte so diese Komplikation, durch die wesentliche Spuren des Einbruchs verwischt wurden. Als auch auf sein Pfeifen hin nichts sich rührte, hatte er noch einmal versucht, die Tür zu öffnen, die er nun plötzlich unverschlossen fand. Er tastete sich im Dunkeln mit einem unheimlichen Gefühl die Treppe hinauf, hörte plötzlich auf der Straße das heransausende Auto, sah Leute ins Haus stürzen und wollte eben hinter eine Säule treten, als ein paar Fäuste ihn packten, ein paar andere Fäuste ihn ins Gesicht schlugen. Gelegenheit, sich zu äußern, fand er nicht, und jetzt, als ich ihn fragte:
„Wie war das möglich?“
fand er, daß die Zeit, eine Aufklärung zu geben, verpaßt war, und schwieg.
Als er erfuhr, daß ihm sein Pelz und seine silberne Dosensammlung gestohlen worden sei, zog er die Schultern hoch und sagte grinsend:
„Faule Fisch’ und Schläg’ dazu,“
ließ sich von Etville ein Glas Sekt reichen — trank es, schmunzelte, soweit der geschwollene Mund es zuließ, und stellte fest, daß das bisherige positive Ergebnis der Ermittlungen seine und Töns’ Schläge waren.
Von der Dienerschaft hatte niemand auch nur ein verdächtiges Geräusch gehört. Auch der Portier nicht — obschon unter normalen Verhältnissen zur Fortschaffung der gestohlenen Sachen ein kleiner Möbelwagen nötig gewesen wäre.
„Hat irgend jemand einen Verdacht?“ fragte Frau Inge, nachdem das Ueberfallkommando nicht eben ruhmbedeckt abgerückt und die Dienerschaft mit Ausnahme von Burg und Fräulein Fleck, die auf besonderen Wunsch von Töns zurückgeblieben, wieder draußen war.
„Gewiß!“ erwiderte Töns, und Etville sagte:
„Ich auch.“
„Nämlich!“
„Ich werde mich hüten und mir den Mund verbrennen,“ sagte Töns, und Rolf erklärte:
„Du nimmst mir die Worte aus dem Mund.“
„So kommen wir nicht weiter,“ erklärte Frau Inge, „wenn wir nicht einmal untereinander offen sind.“
„Jedenfalls steht das eine fest,“ erklärte Rolf, „daß es keine gewerbsmäßigen Einbrecher waren.“
„Der Dieb sitzt im Hause!“ erklärte Etville mit großer Bestimmtheit.
Ein Diener erschien mit rotem Kopfe; hinter ihm eine Frau, die jeden Morgen die Milch brachte.
„Was ist?“ fragte Frau Inge.
„Hier!“ rief Burg, der auf die Beiden zugetreten war, und zeigte ein kleines Portemonnaie aus sämisch Leder:
„Das hat diese Frau vorn zwischen der Gitter- und Haustür gefunden.“
„Sehr verdächtig!“ sagte Rolf.
„Es ist der Schlüssel für den ganzen Einbruch!“ erklärte Etville und steckte triumphierend das Portemonnaie, nachdem es von Hand zu Hand gegangen war, in die Tasche.
„Ja, wem gehört es?“ fragte Frau Inge.
Aber Etville lächelte nur und sagte:
„Das wird sich zeigen.“
Eben fuhr unten der Kommissar vor — es war inzwischen fast sechs geworden — da erschien, gleich einer Nachtwandlerin, mit großen blauen Augen, offenem Haar und kaum bekleidet, Frida. Sie schien noch halb im Traum und staunte uns wie ein Wunder an.
„Nun,