Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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frei, Hirschfeld. Der, den du aus Versehen trafst, könnte doch jetzt vorn liegen.“

      „Und doch bin ich ihm dankbar, dass er die Schuld auf mich lud: ich hatte solche Angst, ein schlechter Schützengrabensoldat wäre ich gewesen, — na, du weisst ja, Lutz —“

      Lindolf legte die Hand auf seine Schulter. „Na also!“

      „Nix — na also — — nein, nein, das verstehst du nicht. Wir Juden haben ein ganz eigenes Gefühl von Schuld und Sühne. Wir können nicht büssen und bereuen und alles ist gut. Wir haben den alten Gott: Auge um Auge — — Schuld und Sühne. Ich muss sühnen. Meine Mutter würde sofort fühlen, ich habe ein schlechtes Gewissen.“

      „Durch diese Selbstquälerei hast du ja schon gesühnt.“

      „Nein, Lutz. Anders geht es nicht. Das ist ein reelles Geschäft mit unserm Gott. Ob aus Versehen oder nicht — dann war ich eben verflucht, den Kameraden zu erschlagen. Der Fluch muss von mir genommen werden. Ich muss sühnen.“

      Unteroffizier Liebetanz trat in das Quartier. Alle andern aus Liebetanzens Gruppe sassen in den Estaminets.

      „Nun — Hirschfeld?“ Liebetanz sprach fast zärtlich zu dem kleinen Juden, der in seiner nun noch verdreckten Uniform und mit seinem bösen zarten Gewissen gänzlich wie ein Häufchen Unglück dasass.

      „Er fühlt sich noch immer als Mörder,“ sagte Lindolf.

      „Aber Kleiner — das ist doch vergessen — du hast dich doch tapfer gehalten da vorn — ich sag dir, Lindolf, mein Bester in der Gruppe — unter die Essenholer ist er gegangen, auf Nachtpatrouille, auf Horchposten —“

      „Ihm ist nicht zu helfen. Er will fallen.“

      „Ich gebe schon acht. Kommt, Kinder, wir gehen eins trinken. Kommt, ihr Knaben, nun habt ihr ja euren Zunder weg und seid Männer.“

      Ein Tag schon vorbei, sann Lutz auf seinem Strohlager, das er mit dreissig Kameraden in einem alten Speicher teilte. Noch drei Tage, am dritten abends gehts wieder Schritt für Schritt zur Hölle.

      Die Stille liess ihn nicht schlafen. Vorn war er plötzlich hingefallen und trotz alles Tobens weg. Das Ohr suchte Granaten auf Wanderschaft und das Maikäfersurren der Gewehrschüsse. Es war wirklich schon wie in der Hölle. Keiner glaubte mehr daran, dass er den Graben lebend verliess. Und die Tage währten wie Ewigkeiten. Nur in den Nächten — da kroch man sogar aus dem Graben heraus und verlief sich die verspakten Beine. Bis eine Leuchtkugel hochging und der Zunder wieder in die Gegend flog.

      Lutz fühlte, wie er den Rhythmus der Schüsse in den wirbelnden Adern trug. Vorn übertönte das Getöse die Unruhe der Nerven. Nun war der eigene Körper das Schlachtfeld.

      So ging über irrenden, haltlosen Gedanken, Träumen in unruhigem Halbschlaf die erste Nacht im Ruhequartier dahin, eine der kostbaren drei Nächte.

      Am andern Tag mussten sie ihre Sachen vom Dreck reinigen, das Gewehr putzen, die Stiefel und Koppel wichsen — die 12. Kompagnie war zur Ehrenkompagnie bestimmt. Die Frau Kronprinzessin besuchte Seine Kaiserliche Hoheit an der Front.

      Pechtler und Töz fluchten. Da wurde aus dem Dauerskat wieder nichts, Pogoslawski, der Kaczmarek der Kompagnie, der auch mit Lutz herausgekommen war, ist nun ihr Dritter im Bunde geworden.

      Wynfrith bekam vom Hauptquartier eine nagelneue Uniform geliefert. Luchs beneidete ihn um den Ehrenauftrag. Wynfrith zuckte die Achseln. „Ich wollt’ mich endlich ausschlafen.“

      Als die Kompagnie auf dem Bahnhof angetreten war — mittags 1 Uhr — da erhob sich plötzlich in der Luft ein wildes Surren — und ganz schwarz zog es vom Süden her.

      Sechsunddreissig französische Flieger.

      Deutsche Flugzeuge stiegen auf, wagten sich aber als vereinzelte Täubchen an das Geschwader nicht heran.

      Autos kamen herangeflitzt, erregte Generalstabsoffiziere liefen herum — das kronprinzliche Auto — der Kronprinz sprang aus dem Wagen: „Wird der Zug aufgehalten?“

      „Jawohl — Kaiserliche Hoheit — in Montmédy — — —“

      Er raste an seinen stramm stehenden Frontsoldaten vorbei, dankte nur kurz dem salutierenden Wynfrith.

      Wynfrith — die Flieger hingen über dem Bahnhof immer dichter kreisend — befahl, ohne Weisung abzuwarten: „Auseinander! In die Unterstände! Marsch! Marsch!“

      Die Bomben fielen auf den leergefegten Bahnhof. Ein Waggon mit Weinflaschen wurde zertrümmert, die Gleise zerspellt hie und da, an einer Ecke das Dach des Bahnhofsgebäudes beschädigt. —

      Indes hatten Pechtler, Töz und Pogoslawski ihren Dauerskat im Unterstand kurzerhand begonnen.

      Wynfrith sass mit Lindolf und Bernöckel, der nur noch vor sich hin stierte, in einer Ecke.

      „Das nennt sich nun Ruhe,“ sagte der Leutnant.

      „Was wollen Sie? Die Franzmänner wollten doch der ollen Cäcilie nur ein paar Brustbonbons schenken.“

      „Halt die Schnauze,“ knurrte der Leutnant.

      Am Eingang des Unterstandes schrie es: „Achtung!“

      Major Graf Böchlarn: „Herr Leutnant Wynfrith?! Ich suche Sie. Die Flieger sind längst fort. Und die Kronprinzessin mit Kaiserlicher Hoheit im Auto eingetroffen. Sehr peinlich, lieber Wynfrith. Hätte für Sie sicher Vorteil gehabt. Beförderung oder Orden — — Was machen Sie denn hier?“

      „Ich fühle mich immer in erster Linie für meine Kompagnie verantwortlich, Herr Graf.“

      „Schweigen Sie —.“ Wütend ging der Major hinaus.

      Wynfrith lachte: „Kommt, Kinder, wir gehen nach Hause.“

      Der Major aber war wieder gänzlich gegen Wynfrith eingenommen. Die Herren verbummeln an der Front, dachte er. Das geht denn doch nicht!

      Die Kompagnie zog aber die Strasse an der kronprinzlichen Villa vorbei und sang:

      „Unser Leutnant, der soll leben—“

      16.

      Wieder vorn. Im alten Erdloch. Lutz fand sein liegengelassenes Taschenmesser sogar noch wieder mit einem Zettel daran: „Ich hätte es dir gern geklaut, aber hier macht man sowas nicht.“

      In die Sappenstellung war die aufgefüllte M.G.-Kompagnie eingerückt. Ihr neuer Führer Hjalmar van Heusen, der Hofschauspieler.

      Wynfrith lag mit seinen Leuten an der alten Stelle. Nur wenige Erdlöcher blieben frei, die das letzte Mal noch von der Kompagnie besetzt werden konnten ....

      So ging es eigentlich diesmal ganz friedlich zu, und bis zum dritten Tage, da das Trommelfeuer begann, nahm alles seinen fast geschäftsmässigen Gang mit ein bis zwei Verwundeten täglich. Das brachte der Betrieb hier nun mal mit sich, wie Töz sagte.

      Bis dann am dritten Tage vormittags 11 Uhr das Trommelfeuer begann — Sturmvorbereitung der Franzosen. Sie wollten von der Höhe 304 herab ins Tal.

      Verkrochen, ein jeder in seinem Erdloch, die ganze Kompagnie. Der ganze Bataillonsabschnitt. Die kleinen Geschosse der Feldartillerie beachtete man kaum, weil sie gewöhnlich an der Brust- oder Rückenwehr zerplatzten und ein bisschen Erde in den Graben schmissen; nur der durch die Luft dem Krach langsam nachsummende Zünder war gefährlich, wenn er traf. Und wenn ein verirrter Splitter wirklich ritzte, — so gab es eine leichte Verwundung; „es lohnt sich gar nicht, damit abzuhauen,“ meinte Pechtler, der bei Beginn des Trommelfeuers sein Erdloch nur etwas tiefer ausschippte, um da mit Töz und dem poltrigen Pogoslawski den Dauerskat fortzusetzen.

      Aber wenn die „schweren Kisten verladen wurden“, das ging, schlug solch Ding in die Nähe, schon heiss bis ans Herz und die Angst sass dann fest im Magen.

      Die in die Grabenwände gehöhlten Unterschlupfe krachten oft mit ihrem Oberteil über den sich in das Erdloch Hineinkrümmenden zusammen.


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