Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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      „Pfui, Pechtler.“

      „Na, wo soll er sein? War sein Erdloch zermanscht?“

      „Nein.“

      „Siehste.“

      „Lass ihm die Rosette,“ kaczmarekte Pogoslawski in seiner harten Aussprache. Das war geflügeltes Wort geworden in der Kompagnie.

      „Und das ist dein neuer Kompagnon —? Mensch, sieh nicht so verdammelt aus, wir tun dir nichts,“ lachte Pechtler. „Gib gut auf ihn acht, Lutz. Auf Wiedersehn!“

      „Auf Wiedersehn!“

      „Grand mit Vieren!“ hörte Lindolf noch. Dann krochen sie weiter. In den Reservegräben sagte Lutz: „Hier kannst du aufrecht gehen.“ Aber Rinkel kroch weiter hinter ihm her.

      An der Tür des Bataillonsunterstandes stiess Lindolf auf Offizierstellvertreter Luchs. Lindolf sah ihn ein wenig verwundert an. Was wollte der hier, statt bei seinem Zug in der Beekmann-Kompagnie zu sein?

      Luchs war, sobald das Feuer begann, nach hinten gelaufen, er möchte dem Kommandeur selber melden — —. Da Beekmann in Urlaub war, hatte er keinen über sich. Die elfte Kompagnie befehligte vorn augenblicklich ein Vizefeldwebel.

      „So, so — von der Zwölften kommen Sie —“ sagte Luchs. „Toll heute, was?“

      „Jawohl, Herr Feldwebel.“

      „Ja. Meine Melder sind unsichere Kerls. Bin selber gegangen.“

      Lindolf sah ihn wütend an. Er war oft den Meldern der elften Kompagnie begegnet.

      „Wenn Geyer und Marsan noch leben, Herr Feldwebel, werden sie auch weiter das ihrige tun. Die von der zwölften sind nicht besser —“

      Luchs schnarrte: „Unterlassen Sie dämliche Bemerkungen. Jetzt schickt die 12. ihre Meldung. Jetzt! Ich habe dem Kommandeur bereits heute morgen berichtet. Wynfrith hat immer Zeit.“

      „Aber er bleibt bei uns.“ Lindolf lief weg, Rinkel hinter sich nachziehend.

      Luchs steckte zwei Finger zwischen den Kragen und ruckste unwillig seinen dicken Kopf. „Unverschämtheit, na wart’, Junge — — —wenn wir hinten sind — —“

      17.

      In der Nacht war das Feuer verstummt. Vielleicht sollte ein Nachtangriff kommen. Das ganze Bataillon lag in erhöhter Alarmbereitschaft. Hirschfeld mit Unteroffizier Liebetanz, der befördert werden wollte, und zwei andere auf vorgeschobenstem Horchposten.

      Van Heusen schickte in die zerschossene Sappenstellung drei Maschinengewehre vor, die dann und wann zu tacken begannen, wenn es im feindlichen Graben sich regte. Drei französische Ueberläufer hatte van Heusen mit seinen Meldern nach hinten geschickt, von ihnen erfuhr man, dass der Angriff auf die Sappenstellung morgen nachmittags 6 Uhr geplant sei. Wenn es wahr ist, was sie sagen — —

      Rinkel bezog Bernöckels Erdloch. Er sann vor sich hin, immer das gleiche: Auch das noch, auch das noch. O mein Gott, warum hast du mich verlassen? Vater unser, der du bist im Himmel ... Gegrüsst seist du Maria ... bitt für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde des Todes. Amen. Auch das noch, auch das noch. O mein Gott, warum hast du mich verlassen ... Vater unser ... Die Angst war in dem kräftigen Burschen zur Manie geworden. Als Franz Rinkel vom Acker geholt wurde, Soldat zu werden, erschrak er schon vor dem Lärm der grossen Städte, durch die er fuhr, um in die Garnison zu gelangen. In der Stille der Felder war er aufgewachsen, an den Ufern des Niederrheins, fast an der holländischen Grenze. Wochenlang sprach er mit Eltern und Geschwistern zu Hause keine zehn Worte. Das Ticken der alten Standuhr in der Diele des Bauernhauses war das Lauteste dort, und sein Ohr wurde von Lerche und Nachtigall und Amsel umsungen, jahraus, jahrein. Und dann verliebte er sich still und einfach in Johanna, die Nachbarstochter. Sie redeten nicht viel, und die Eltern redeten auch nicht viel, es hiess: Nun gut, ihr seid verlobt. Ihr wisst, was sich für ehrsame Bauernkinder schickt. Johanna hatte ihm den Rosenkranz mitgegeben, den er nun immer um seine Faust gewunden hielt. Aber diese Faust, die Pflug und Dreschflegel kräftig zu regieren verstand, zitterte. Und der grosse Friede in der Brust, den die einsame niederrheinische Ebene dahineinversenkt Jahr um Jahr, ohne schwere Erschütterung der Folge der Tage und Wochen, war geflohen. Ein Herz, das wie ein irrer Vogel im brennenden Käfig herumsprang, schlug nun in dem kräftigen Körper.

      „War’s so schlimm, Rinkel?“ kroch Lindolf an das Loch des Bauern heran und blieb im Laufgang vor ihm hocken.

      „Ja. Bitte doch deinen Leutnant — er soll einen andern nehmen.“

      „Aber — schau doch, ich halte es aus — ich — drei von meiner Sorte kann man aus dir machen —“

      „Ich weiss nicht,“ sagte Franz traurig, „ich werde verrückt in diesem Lärm. Ich bin das nicht gewohnt.“ Und er begann von seinem früheren Leben zu erzählen — — „Mai ist jetzt bald, da wächst schon das Getreide. Der Vater sitzt mit der Mutter vor der Tür. Und Johanna ist dabei.“ Er zog ein Bild hervor: „Das ist Johanna. Sie wird sterben, wenn ich sterbe.“

      „Rinkel, nicht so schwarz sehen. Gar nichts denken.“ Lutz dachte nicht mehr an Adelheid. Manchmal an die Mutter. Aber auch so: bald bin ich vergessen. Alles wird überwunden.

      „Waren hier auch einmal Wälder?“ fragte Franz.

      „Ja. Sicher.“

      „Und Felder?“

      „Ja.“

      „Mit wachsendem Brot?“

      „Ja.“

      „Mit Blumen?“

      „Ja.“

      „Mit Nachtigallen vielleicht, mit Amseln?“

      „Ja.“

      „Und Lerchen?“

      „Ja. Hast du gestern früh die Lerche nicht noch über uns gehört? Sie sang, bis dies blödsinnige Geschiesse heute begann.“

      „Eine Lerche ist hier über uns?“

      „Ja, Franz.“

      „Dann will ich leben, bis ich sie noch einmal höre.“

      Lutz lächelte. Und er streichelte die dicke Faust des nach Gomorrha verschlagenen Bauernjungen.

      „Herr, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun, sie zerstören die Aecker, sie zerfleischen die Erde —“

      „— und die Menschen —“

      „Sie tragen die Hölle in die Stille der Felder —“

      „— und in unsere Seelen —“

      „Wer macht das, Lindolf? Wer ist der Mörder?“ schrie Franz.

      „Wer? Wir alle.“

      „Ich habe mit dem Kriege nichts zu tun. Ich wusste kaum, dass es Franzosen gab, und dass sie uns berauben wollten.“

      „Das wussten wir alle — kaum. Es hiess so. Wie von uns drüben dasselbe heisst. Jeder einzelne, befragt, sagt: Ich wusste es nicht, ich habe nichts gegen euch. Aber es lag in der Luft.“

      „In meiner Heimat lag nur Friede in der Luft und der Duft der Felder.“

      „In meiner Heimat war immer Krieg. Um die Bergwerke und Hütten lag fast die gleiche Kampflust wie hier. Nur unsichtbar. Aus den Hochöfen kroch der Krieg,“ sagte Lutz. Erst in dieser Stunde wurde ihm das offenbar.

      „Dann wollen wir gegen die Hochöfen marschieren“, sagte Rinkel.

      „Vielleicht — geschieht das — am Ende — —“

      Eine fremde Offiziersstimme: „Leutnant Wynfrith. Wo ist die 12. Kompagnie, Leutnant Wynfrith?“

      Lindolf sprang auf. Ein Oberleutnant von der Artillerie. Wynfrith stand auch schon neben ihm.

      „Ich


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