Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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Versteifen der Ausguck-Wände schöne gehobelte Bretter mitgebracht. „Was quatschen Sie dazwischen?“ pfiff ihn der an.

      Lutz ging zu Wynfrith: „Wir kriegen Zunder hierher, wenn die Franzosen die Veränderung an der Grabenecke merken.“

      Wynfrith schwieg. „Wo Bernöckel stecken mag?“ sagte er nach einer Weile. „Pechtler sagt: drüben.“

      „Hm — er war der letzte in unserer Kompagnie, der den Kriegsfreiwilligensturm bei Langemarck mitgemacht hat.“

      „Das war noch was — Bewegung — vorwärts —?“

      „Zu schnell vorwärts, zu siegesgewiss.“

      „Aber schön. Deutschland, Deutschland über alles, sangen sie noch —“

      „Weil sie ahnungslos waren. Nun wissen wir, wie es ist. Wem bliebe das Lied hier nicht in der Kehle stecken?“

      „Striese ist tot, Herr Leutnant.“

      „So, der Alte? Hat sechs Kinder. Ich hab nur zwei —“

      „Es wird für sie doch gesorgt werden.“

      „Meinen Kindern würde ich fehlen wie das tägliche Brot.“

      „Sie sind doch jetzt auch lange fort, Herr Leutnant.“

      „Aber ich lebe. Ich bin da. Sie beten für mich. Und hoffen.“

      „Sie sind sehr glücklich zu Hause?“

      Wynfrith schwieg.

      „Nicht?“

      „Gehen wir schlafen. Hier sind hundert Mark, nehmen Sie sie morgen zum Bataillonsstab mit, Lindolf. Man soll sie an Strieses Witwe schicken.“

      „Sie sind ein guter Mensch.“

      „Ich? Nur einer, der selbst hilflos ist, und daher andern hilft, vielleicht, weil er sich selbst so wenig helfen kann.“

      „Herr Leutnant —“

      „Geh schlafen, Junge.“

      „Ja. Gute Nacht.“

      Mit Sonnenaufgang setzte ein Geprassel und Getöse in dem Grabenwinkel ein, wo der Artillerieausguck aufgebaut war, und als Lutz aufwachte und aufsprang, war nichts mehr zu sehen, die beiden Telefonisten der Artillerie lagen, mit grässlich aufgerissener Brust der eine, mit abgesägter Schädelplatte der andere, Lutz zu Füssen. Bsching — das ging ganz nahe nieder!

      „Herr Leutnant — wir müssen raus —“

      Wynfrith war schon fort. Er lagerte mit Rinkel, seinem Burschen und drei andern, die noch in der Nähe des Ausgucks lagen, im Laufgang in der Nähe des Skatklubs.

      „Ach — er lebt — — er lebt —!“ schrie einer, als Lindolf angekrochen kam.

      „Verfluchte Schweinerei! Wo ist denn dieser Oberleutnant?“ schimpfte Lutz.

      „Der ging, wie es hell wurde. Aber seine beiden —“

      Wynfrith drückte Lutz die Hand. „So was passiert alle Tage — lasst das Schimpfen —“

      „Sind von uns welche auch getroffen?“

      „Ja. Zwei. Schwer verwundet. Wiebe und Markwardt bringen sie nach hinten.“

      Und der vierte Tag begann, und wieder ging es auf und ab, auf und ab, immer die Gräben entlang, alle vier bis fünf Minuten ganz schwer und krachend in der Nähe, kaum 10 Meter im Umkreis entfernt einschlagend — — —

      Lindolf, Rinkel und der Bursche buddelten rechts und links vom Skatklub neue Löcher. Nach einer halben Stunde — jedesmal, wenn die Schüsse vorüberkamen, rief Rinkel nur noch „Jesus! Maria!“ — beten konnte er nicht mehr — dann klebte sich jeder in sein neues Erdloch hinein — wie Bienen in die Waben.

      Indessen wurden ihre alten Unterschlupfe zerprasselt. Als Lutz zu van Heusen kroch, festzustellen, ob die M.G.-Kompagnie überhaupt noch da war, — wusste er nicht mehr in dem immer noch wüst aufspritzenden Schutt, von metallischen Einschlägen umsprengt, wo sein Erdloch gewesen war.

      18.

      Van Heusen wartete mit seinen M.G.-Schützen noch immer am Grabeneingang. Die Maschinengewehre, die er bei Anbruch der Dunkelheit in die zusammengeschossene Sappe geschickt hatte, waren wieder zurückgezogen.

      „Womit habt ihr denn die drüben geärgert?“

      „Einer von der Artillerie baute sich mit weissem Holz einen Ausguck.“

      Van Heusen fragte nur, eine abfällige Aeusserung unterdrückend: „Was gibt’s?“

      „Ich wollte bloss sehen, ob Sie noch da sind, Herr Leutnant.“

      „Wir sind noch da. Auf Wiedersehn!“

      Lutz kroch zurück. Die M.G.-Schützen sassen da vorn herum wie auf den Trümmern Babylons.

      Aber sie weinten nicht. Sie klebten an der Erde neben den Maschinengewehren, den Blick auf den Feind.

      Nachmittags begann die deutsche Artillerie zu schiessen. Sie schoss gut. Wenn auch die beiden Artilleristen gefallen waren, sie haben im ersten Dämmergrauen zusammen mit dem Oberleutnant die Entfernungen festgestellt. Bis sie schwiegen und ihre Telefonstrippe zerriss. Aber nun schoss es vom Toten Mann hinüber nach 304 ebenso wild und sicher wie von Höhe 304 zum Toten Mann.

      „Heute wirst du die Lerche nicht hören, Rinkel,“ flüsterte Lutz. Sie lagen zusammen in ihrem neuen provisorischen Unterschlupf.

      Rinkel war ein wenig gefasster, man gewöhnt sich an alles, er lächelte: „Heute nacht — Ablösung — da hinten gibt’s noch Grün.“

      „Heut nacht — — da hinten — —“ sprach Lutz vor sich hinsinnend. Wie weit — wie lange — — —

      Alle paar Minuten kam wieder eins der dicken Dinger an der Skatklubecke des Grabens vorüber. Wenn man die Skatbrüder ihre Trümpfe ausrufen und mit der im Graben aufgesammelten Löhnung klimpern hörte, wusste man: jetzt gehen die ewig die Luft durchpfeilenden Geschosse woanders hin. Wenn aber beim Kartendreschen statt der Faustaufschläge auf Pogoslawskis Tornister ein wildes Getöse zu hören war und ein Geprassel von Schutt und verirrten Splittern, die noch heiss sich anfühlten, wenn man sie aufhob, daniederging, und nach einer recht bangen Minute, in der vier bis sechs solcher Dinger in einer saftigen Salve ganz nah herniedersausten, schaute sich ein jeder nach dem andern um: Ist nichts passiert? Und dann gab’s wieder fünf Minuten Atempause, während der das Feuer weiterwanderte.

      „Amerikaner —“ Wynfriths Bursche hob einen langen Granatsplitter auf, der ganz gezackt während der Explosion aufgeschmolzen war. „So’n Ding in die Leber, wat?“

      Und der lange Kerl, Franz Krause mit Namen, aus Berlin-Pankow, ass seine Marmeladenstulle weiter. Wenn er mit der Marmeladenstulle fertig war, machte er irgendeine eiserne Portionsbüchse, die er herrenlos im Graben fand oder gegen Zigarren eingetauscht hatte, auf, und schmierte sich den Gulasch aufs Brot oder zündete auf seinem Kocher den Hartspiritus an und briet sich die Chose.

      Es gab, wenn die Essenholer täglich richtig zurückkamen, für jeden Tag ein ganzes Kommissbrot hier vorn, ein Viertelliter Rum, 3 Zigarren oder 10 Zigaretten, einen Beutel Zwieback und eine halbe Fleischbüchse. Lutz ass aber kaum mehr als zwei bis drei Marmeladenstullen und dann und wann ein Häppchen Fleisch. Gewöhnlich nahm er seine Mahlzeit beim stiller gelegenen Bataillonsstab ein, im vordersten Graben steckte er nur so beiläufig ein paar Zwiebacks in den Mund.

      Aber Krause konnte essen. Fressen. Den ganzen Tag. Und nachts, wenn ihn eine scharfe Sache in der Nähe weckte, war sein erster Griff nach Kommissbrot, Marmeladenbüchse und Messer.

      Auch jetzt hatte er seine Granatsplitterbetrachtung mit kauendem Munde ausgesprochen, wie Wynfrith ihn überhaupt nur bissenrunterschluckend kannte, so oft er ihn rief und ihm eine Anweisung gab.

      Lutz sagte: „Die Amerikaner


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