Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


Скачать книгу
über den Köpfen ein, mit riesigem Plumps fiel ein Stück Brustwehr ein, so dass Lutz von seinem Erdloch durch den Spalt das Niemandsland sehen konnte.

      „Beim wievielten Skat seid ihr denn schon heute?“

      „Komm mitspielen, Lutz.“

      „Welche Ehre, Pechtler, ihr wollt mit Lucie Skat spielen?“

      „Du hast einen richtigen Schiffervollbart, Lutz, man kann dich jetzt schlecht Lucie nennen.“

      Pogoslawski fragte: „Wann soll denn die Schweinerei heute abend losgehn, pierona?“

      „Ich denke, so gegen sechse, Herr Leutnant, wie?“

      Wynfrith hob die Zeltbahn vor seinem Loch, guckte heraus: „Was quatscht ihr da?“

      „Wann die Franzosen erwartet werden?“

      „Um sechs. Seid ihr noch alle da?“

      „Als wie icke — Herr Leutnant,“ lachte Töz. „Lass sie man heut abend die Nase rinstecken. Die Schweine sollen schon gekitzelt werden dafür, dass sie uns im Skat stören.“

      „Der Skat ist ihre ganze Vaterlandsliebe,“ sagte Lutz zum Leutnant. „So hat jeder fast einen anderen Grund, vorn zu bleiben und dreinzuschlagen. Aber alle bleiben und alle schlagen drein, hüben und drüben.“

      „Ja, und zu Hause denken sie, wir singen dazu in einem fort: Deutschland, Deutschland, über alles — selbst noch auf der Latrine —“

      „Kinder, geht nicht auf die Latrine mehr. Seit heute schiessen sie hin. Wie ich heut drauf sass —“

      „Wie oft sitzt du Fresssack denn am Tage drauf?“ fragte Pechtler und schrie gleichzeitig: „Ramsch!“

      „Dreimal geht er abladen —“

      Bsching — „Jessus — Maria —“ schrie Rinkel.

      „Da hat so ein Mistbock von drüben wieder abgeladen — Kinder, wir können nicht weiter spielen — verfluchte Bande,“ wütete Pechtler, „unser Karo-Bube hat ein Loch gebrannt gekriegt — da, hier ist der Splitter —“

      „Und mir haben sie das Brot mit Granatsplittern belegt —“ schrie Krause. „Seht ihr, das habt ihr davon, wenn ihr einen hellen Balina veräppelt —“

      Einer kam herangekrochen, Ekel im Gesicht.

      „In der Latrine —“

      „Siehste —“ sagte Krause. „Wer?“

      „Der Gefreite Gutt und der Unteroffizier Maurer.“

      „Tot?“ fragte Wynfrith.

      „Volltreffer.“

      „Kinder,“ schrie Töz, „das ist nun auf dem Felde der Ehre.“

      „Die Sanitäter weigern sich, sie rauszuholen.“

      Wynfrith: „Sie müssen. Lindolf, sag’s ihnen!“

      Lindolf kroch zu den Sanitätern, zu zwei dreissig- bis vierzigjährigen, immer missvergnügten Herren. Verschiedene in der Kompagnie, darunter auch Lutz, Pechtler, Hirschfeld, hatten unter sich abgemacht, sich lieber gegenseitig zu helfen, als sich den beiden ziemlich bequemen Herren anzuvertrauen, die offensichtlich aus Mangel an Mut zu den Sanitätern gegangen waren, in der Hoffnung, im Feldlazarett zu bleiben. Nun mussten sie doch für ein paar Wochen Grabendienst machen.

      „Ihr sollt Gutt und Maurer nach hinten bringen.“

      „Das kann keiner von uns verlangen.“

      „Vielleicht leben sie noch.“

      „Die Köpfe stecken doch ganz drin. Wir haben schon vieles gesehen, so was —“

      „Leutnant Wynfrith gibt den dienstlichen Befehl: sofort!“

      Da erhoben sie sich aus ihrem Erdloch, krochen Lindolf nach, bogen dann rechts ab, wo die Latrine lag, während Lutz zur Skatecke zurücklief, fast aufrecht — obwohl die Schüsse auf ihn zuwanderten.

      Die Sanitäter riefen ihm nach: „Komm doch mit helfen, Grossfresse!“

      19.

      Sechs Uhr abends. Und heute ist der erste Mai. Als die Geschütze nur noch vereinzelt hie und da ihre Schüsse verschickten, klärte sich die Luft und alle sahen, als sie zur Abwehr antraten, durch ihre Schiessscharte, über dem aufsteigenden Hang der Höhe 304, von der hinab die drüben kommen wollten, den Abendstern.

      Rinkel betete ein Ave Maria zu dem friedlichen Stern und war ganz ruhig.

      Pechtler und Töz sahen ihn verwundert an.

      Hirschfeld grüsste ihn mit geheimnisvollem Lächeln: der letzte Blick der Mutter, heute abend würde er sühnen ...

      Lutz sagte: Adelheid. Aber es war nicht so sehr die wirkliche Adelheid, sondern ein verträumt - braunäugiges zartes Mädchen mit schwarzen Flechten, das war sein Ideal, das er in dieser Stunde liebte, und von dem die wirkliche Adelheid vielleicht äusserlich ein Abglanz war.

      Wynfrith liess zwei Frauen grüssen durch den Stern. Und seine Kinder. Und auch in dieser Stunde fand er keine Lösung für seine Gefühle. Der einen gehörte sein Werk, die andere war die Mutter seiner Kinder. Er liebte keine Kompromisse vor sich selbst. Und so sah er den Stern seltsam irre und müde an, streichelte in Gedanken die Kinder, das Haar seiner Frau und flüsterte zum Schluss doch ganz leis: Agathe — —

      Pogoslawski dachte: Wann werde ich wieder in die Grube einfahren und das Bergglöcklein klingt und durch den Dunst der Schlote schaut verloren dieser alte, gute Stern?

      Krause sah den Abendstern bewusst zum ersten Mal. In Berlin gab es sowas nicht. Er erinnerte sich, ihn flüchtig auf einer Kahnpartie in Tegel mit der kleinen Rosalie im Arm bemerkt zu haben.

      Da stand nun mit gelassener Schicksalsergebenheit die zwölfte Kompagnie und neben ihr die neunte, die zehnte und die elfte rund um die Höhe 304 in den ersten Gräben. Sie erwarteten — den Feind.

      Mein Gott — den Feind — dachte Lutz. Arme Muschkoten sind es wie wir. Aufeinandergehetzt. Um ihr Leben bangend. Nach Hause verlangend. Und nur, weil es irgendwie unmännlich wäre, diesem Verlangen zu folgen, und weil Entehrung und auch der Tod auf Fahnenflucht stand, darum blieben sie vorn. Wenn die Kompagnien, die jetzt in wenigen Minuten hüben und drüben sich zerfleischen werden, miteinander sprächen, statt stumm aufeinander zu schlagen, wäre die Heimat noch bedroht?

      „Lässt du mir meine Heimat?“

      „Ja, sie ist schön.“

      „Lässt du mir meine Heimat?“

      „Ja, gern, ich gehe in die meine zurück.“

      Das wäre die ganze Unterhaltung. Und der Krieg wäre aus.

      Aber die Grossmächte Deutschland und Frankreich, diese phantomhaften, zeitungspapierenen, mit patriotischem Lockgold verbrämten Begriffe, die tobten auslaufend in blutenden Herzen und mordenden Händen ihren Kampf aus. Der Besitz der heiligsten Güter stünde auf dem Spiel. Das alles muss man ja wohl glauben. Und da man hier vorn steht, so wird etwas Wahres daran sein. Aber wir verstehen es nicht. Wir nehmen es nur als unser Schicksal. Und wollen der deutschen Seele in uns und der deutschen Kraft Ehre machen. Ja, das wollen wir schon. Besser wäre es, wenn es nicht in so grässlichem Kampfe geschähe — aber nun — —

      — — und da kamen sie herangeschlichen. Lutz fühlte, wie sich alles in ihm straffte, wie sein Blut durch die umkrampfende Hand bis in die Bajonettspitze hinein zu kreisen schien.

      Hirschfeld stach sein Bajonett in die Erde und erwarete Feind und Tod.

      Da knatterten van Heusens M.G.-Schützen los! Tak — tak — tak — wie auf dem Exerzierplatz, schrägher, fast in der Flanke, manche verirrte Kugel flog über die Köpfe der Zwölften.

      Wynfrith: „Lindolf — durchsagen — wenn sie acht Meter vor dem Graben


Скачать книгу