Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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zu: „Weitersagen, in acht Meter Nähe — Handgranaten —“ Durch. Da stand der Flügelmann von der neunten. Waren die Franzosen noch immer nicht ran?

      Van Heusen liess mit zwölf Maschinengewehren die Herantorkelnden und Kriechenden bestreichen. Ganz dicht vor die eigenen Gräben legte er das Feuer. Jeder, der sich aufrichtete, um vorwärts zu springen mit leichtem Satz an den deutschen Graben heran, meist war es ein Korporal, der seine Leute mitreissen wollte, sank zur Seite, in das Flankenfeuer geratend.

      Van Heusen dachte: Ein teuflischer Gedanke, aber es macht fast Spass — wenn es keine Menschen, sondern Atrappen wären. „Zwei Meter vorverlegen, Seiffert, so ist’s gut —“ rief er einem seiner Schützen zu.

      Da lagen sie zusammengeballt, die graublauen Uniformen, wenn einer sich nur halb erhob — lange tat er es nicht — und van Heusens Maschinengewehre hatten ihn.

      So gemein — aber es kitzelt — ich fühle Siegergefühle in mir — merkwürdig — ganz anders als wenn man den Wallenstein spielt — das sind ja alles Bleisoldaten, die Helden von früher — — sann der Hofschauspieler.

      Jetzt — — nein, sie schrien — — umfallend — mit offenen Wunden zurücklaufend —

      Wynfrith hatte Handgranaten werfen lassen, und im gleichen Augenblick sass die Geschossgarbe von vier Maschinengewehren direkt drinnen in der ersten Sturmwelle der Franzosen. Die zweite hockte dreissig Meter dahinter, die Maschinengewehre spritzten auch diesen den Zunder vor die Nase.

      Ja, ihr habt nicht gedacht, dass ich mich in der Sappe festsetzen werde im letzten Augenblick, triumphierte van Heusen.

      Am Sandsackriegel der Sappe ging es heiss her. Unteroffizier Kretschmar und sieben ausgesuchte Handgranatenwerfer hockten oben auf den Sandsäcken, hüpften wie die Hasen nach vorn, warfen Handgranaten in den französischen Angriffsgraben, wenn sich drei oder vier heranwollende Blauröcke zeigten — und sahen buchstäblich die Leichen vor sich türmen.

      Alles geschah geschäftig, ohne heldische Emphase.

      Nur Hirschfeld stand in ungewollter Pose, mit weitaufgetanen Augen den Tod erwartend.

      Es dämmerte. Abendsonne zitterte blitzend über den Drahtverhauen und auf den Spitzen der Bajonette.

      „Was machst du, Hirschfeld?“ fragte Lindolf, der langsam zu seinem Leutnant zurückkroch. Rinkel hatte laufen und den Befehl, den Lindolf durchsagte, ändern müssen — „Sofort Handgranaten, so weit wie möglich!“

      „Ich warte. Heute wird es sein.“

      „Sei kein Idiot!“ Lutz nahm das umgekehrte Bajonett, zog es aus der Erde und steckte es Hirschfeld in die Hand. „Man denkt ja, du willst überlaufen, dich kampflos ergeben.“

      „Ich will sterben.“

      „Quatsch!“

      Hirschfeld dachte: Du Goj verstehst das eben nicht. Na, meinetwegen. Gott wird gnädig sein.

      Lutz stand wieder neben seinem Leutnant. „Sie gehen zurück“, sagte Wynfrith, „vor van Heusens Maschinengewehren.“

      Sie gehen zurück — sie gehen zurück — — es kam also nicht zum Handgemenge — — jeder freute sich, dass er „ruhig“ schlafen konnte. Und nachts die Ablösung — — —

      Manche wollten schon in ihre Erdlöcher zurück.

      „Halt — noch nicht — —!“ schrie der Leutnant.

      Die Maschinengewehre liessen plötzlich nach. Granaten von drüben schlugen in der Sappe ein.

      „Lindolf, weisse Leuchtpatronen — dreimal — unsere Artillerie muss auch schiessen — sonst — —“

      Lutz zog die Leuchtpistole aus dem Gürtel und schoss die Raketen in die Luft.

      Wie schöne weisse Sterne öffneten sie sich in der Dämmerung.

      Sie warteten. Nichts. Nur die französische Artillerie schoss. Schon sassen wieder vereinzelt ein paar Dinger in der Nähe.

      „Noch einmal — —“

      Lutz schoss wieder drei weisse Raketen in die Höhe.

      Da begann es langsam, aber sicher heranzujaulen? bsching — — juuuiuh — — bsching — — Nun schoss auch die deutsche Artillerie. Und binnen fünf Minuten war die Sturmstille tot und das Trommelfeuer wanderte wieder grabenab, grabenauf.

      Pogoslawski war schon am Arm von einem Splitter geritzt. „Verfluchte Hunde, dreckige —“ Pechtler verband ihn. „Bleib hier. Wir werden ja abgelöst. Wo sind die Karten?“

      Van Heusen hatte sich aus der Sappe zurückziehen müssen. In dem Ueberraschungsfeuer der französischen Artillerie waren ihm viele tüchtige Schützen liegen geblieben. Und manches Gewehr dazu. Unteroffizier Kretschmar tot. Am Sandsackriegel lagen mit ihm neben den etwa dreissig aufgehäuften Franzosen auch vier Deutsche. Und die Granaten prasselten auf die Sappe wieder nieder. Ohne Unterlass. Die Toten nochmals und nochmals tötend, zermalmend, einebnend in das namenlose Trichtergrab, das in ewigem vulkanischen Aufruhr hier blieb.

      20.

      Indessen schritt der Leutnant Beekmann, das E. K. I. an der linken Seite, in eleganter Extrauniform, schneidigen Schritts, durch den Tiergarten am Arm seiner Braut. Evelyne Vandersee führte ihren feldgrauen Verlobten durchs Volk. Stolz ging er dahin, jeder Zoll ein Held und königlich preussischer Offizier. Diese Tage fern der Front, wie sie für alle ausgestandenen Qualen und Aengste da vorn belohnten. Er erschrak vor sich selbst: wer redet hier von Angst? Selbstverständlich hat er nach aller Meinung seiner Pflicht genügt. Mehr als dies. Alle sahen sie auf den hohen Orden.

      Als er sich zum ersten Mal im Schmuck dieses hohen Ordens im Spiegel betrachtete, prüfte er verstohlen, ob in seinen Zügen die Aengste der Front sich eingeprägt hätten. Doch es war das frühere forsche, nur älter gewordene Gesicht.

      Kaum ein paar Tage vergingen, und in all den friedlichen Freuden, die im Hause seines Schwiegervaters noch immer unvermindert Leib und Herz erquickten, verlor er das letzte Nachzittern der Todesnähe in den Nerven.

      Immer glückselig lächelte ihn die Braut an. Sie sprach in einem fort so drollig unwichtige und süss verliebte Worte, von denen er vorn glaubte, sie seien mit dem Frühling Frankreichs verwüstet.

      Wie weiss, wie duftig gewachsen war die kleine Hand, die in seiner lag.

      „Du darfst nicht zurück, Oscar —“

      „So bangst du um mich —?“

      Im gleichen Augenblick kam ihm der Gedanke, der Krieg könnte eigentlich während des Urlaubs zu Ende sein. Wenn alle Kompagnieführer ihre Leute so draufgehen liessen, ja, immer feste druff, wie Hoheit sagte, dann wäre der Krieg schon längst zu Ende — tja — aber leider gibt es auch Wynfriths an der Front ... Wenn jetzt der Krieg zu Ende wäre, da hätte er alles, was er brauchte: den Ruhm des tapferen preussischen Offiziers, er würde natürlich aktiv bleiben, und ein reiche, hübsche Frau, — und dann so durch die Strassen gehen und die früheren Kollegen vom Wilhelmsgymnasium beiläufig grüssen: „Na, wie geht’s, alter Knabe?“

      „Oscar?“

      „Ja, Schatz, was gibt’s?“

      Was war das schön, grüne, stille Bäume um sich zu haben, Autos auf dem glatten Asphalt gleiten zu hören, aufrecht dahinzuschreiten — —

      „Papa kennt einen einflussreichen Herrn im Kriegsministerium. Du hast doch vorn genug geleistet, soll ich ihn bitten?“

      Oscar Beekmann, Ritter vom Eisernen Kreuz I. Klasse, wurde rot. Wenn das wirklich möglich wäre; nicht mehr zurück? — Aber er sagte: „Kein Wort davon, Evelyne. Ich verlasse meine Kameraden nicht.“

      „Ich wusste es ja. Ich habe es Mama gleich gesagt.“

      Warum begehrte sie nicht auf: Ich tue es trotzdem. Warum nahm sie es hin, dass er vorn wieder dem Tode sich preisgab?


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