Ultramarin. Henrik Tandefelt
Erkältung geplagt wurde. Ihm fiel auf, dass nicht abgeschlossen war. Da jedoch niemand auf sein Klopfen reagierte, beschloss er später wiederzukommen und dachte nicht weiter über die Sache nach. Ebenso wenig wie der Schornsteinfeger, der im Holzschuppen, wo sich der Heizkessel befand, seiner Arbeit nachging. Auch er nahm von Bäcks Abwesenheit keine Notiz. Satu Virtanen, der Enteneier kaufen wollte, holte die Eier wie üblich selbst aus dem Stall und steckte etwas Geld in die Sparbüchse.
Der Briefträger hingegen wunderte sich. Bäck hatte ein Päckchen mit Orchideen-Schösslingen nicht abgeholt. Damit nahm Bäck es normalerweise sehr genau. Also brachte der Briefträger es nach der Arbeit persönlich bei ihm vorbei, weil Bäcks Hof ohnehin auf seinem Weg lag. Er bemerkte, dass die Tür nicht abgeschlossen war, und trat ein, um das Päckchen in den Flur zu stellen. Dort fand er Bäck, verwirrt, aber immer noch am Leben. Er lag blutend im Flur auf dem Teppich.
Eine Weile suchte der Postbeamte vergeblich nach einem Telefon, dann lief er zum Auto und benutzte sein Handy. Er alarmierte die Polizei und einen Krankenwagen, der Bäck ins Kreiskrankenhaus nach St. Mickel brachte. Während des Transports erzählte Bäck, er sei erst mit einem massiven Gegenstand niedergeschlagen worden, dann hätte ihn jemand mit Tritten und Schlägen bearbeitet.
Dem kurzen Verhör zufolge, das die zuständigen Beamten am nächsten Tag führten, war Bäck gegen acht Uhr abends mit seiner Taschenlampe zum Stall gegangen, um nach seinen Tieren zu sehen. Als er zurückkam, habe ihn jemand von der Treppe zum Obergeschoss aus angegriffen. Bäck habe den Eindringling nicht sehen können. Es sei ein dunkler Dezemberabend gewesen, und Bäck habe nichts weiter erkennen können, als dass es sich um einen Mann handelte.
Wenige Wochen später starb Bäck plötzlich und unerwartet, den Ärzten zufolge an einem »subduralen Hämatom«. Vom Täter keine Spur, ebenso wenig von der Tatwaffe – vermutlich ein schwerer Gegenstand, eine Art Schlagholz. An dieser Stelle macht Olli eine kurze Pause, ehe er hinzufügt:
»Der einzige Hinweis auf den Täter ist ein dreißig Zentimeter langer Fußabdruck eines groben Schuhs oder Stiefels, dessen Sohle ein wenig aussagekräftiges Muster hinterließ. Er fand sich in einem Schneefleck auf dem Hof; an einer Stelle, wo eigentlich niemand hinkommt, es sei denn, man will durchs Fenster schauen. Zirka Größe vierundvierzig. Aber der Abdruck könnte von jeder x-beliebigen Person stammen, vom Schornsteinfeger, vom Autohändler – oder vom Mörder. Der Schornsteinfeger hat Größe dreiundvierzig. Der Autohändler trägt Größe fünfundvierzig. Viel klüger ist man also dadurch auch nicht«, sagt Olli und schaut mich an.
»Wovon geht die Polizei aus?«, frage ich.
»Die hat ihre übliche Theorie: dass Bäck einen Einbrecher überrascht hat, der ihn niederschlug und danach die Flucht ergriff. Keine unwahrscheinliche Annahme«, seufzt Olli.
»Und die Ermittlungen haben keine weiteren Erkenntnisse gebracht?«, frage ich.
»Eine heiße Spur gibt es nicht, aber es besteht ein vager Verdacht, der Dieb könnte mit Bäcks russischem Gehilfen Dimitri bekannt sein. Dimitri versorgte die Tiere auf dem Hof und ist seit der Tat spurlos verschwunden. Von ihm weiß man nur, dass er bei Bäck wohnte und arbeitete. Illegal. Er besaß kein Visum für Finnland. Ein paar Stiefel, die er zurückließ, belegen, dass er Schuhgröße vierundvierzig trägt. Das Muster der Sohle stimmt mit dem Fußabdruck überein. Die lokale Polizei hat nach ihm gefahndet, doch ohne Erfolg«, seufzt Olli.
»Auch nicht in Russland?«
»Nein, keine Spur, was an sich nicht verwunderlich ist. All seine Sachen, auch seine Kleider, hat er hier gelassen – und das mitten im Winter. Vielleicht ist er überstürzt mit dem Auto aufgebrochen. Man hat Reifenspuren entdeckt, die vermutlich von einem Lieferwagen stammen. Fragt sich nur, wem der Wagen gehört. Er könnte natürlich auch den Bus genommen haben ... wer weiß. Seltsame Geschichte.«
»Ein Russe, sagst du? Gibt es hier viele russische Touristen?«
»Ja, eine ganze Menge. Da Russland im Gegensatz zu Finnland nicht am Schengen-Abkommen beteiligt ist, benötigen russische Staatsbürger zur Einreise ein Visum. Offiziell werden jedes Jahr vierhunderttausend Visa ausgestellt, und es scheinen ständig mehr zu werden.«
»Ihr seid über eure russischen Besucher also gut informiert?«
»Ja, wir wissen, wer ins Land kommt oder sich auf der Durchreise befindet. Schwieriger ist es herauszufinden, wo sich jemand aufhält. Wer ein bisschen Geld hat, fährt in der Regel nach Helsinki zum Einkaufen. Die Gegend hier ist nicht gerade ein Touristenmagnet«, sagt Olli.
»Liegt gegen Dimitri ein konkreter Verdacht vor?«
»Nein. Aber er ist vermutlich am selben Tag verschwunden, an dem Bäck überfallen wurde. Er wohnte seit längerem auf dem Hof, und niemand kann sagen, wie er dorthin gekommen ist. Er scheint keine sozialen Kontakte gehabt zu haben.«
Der Wind ist abgeflaut, der See liegt unbeweglich da. Zwei Prachttaucher gleiten majestätisch in den Schatten einer mit Fichten bewachsenen Insel. Es ist später Nachmittag. Wir sollten langsam an die Heimfahrt denken.
»Bleibt doch noch zum Abendessen. Nachher könnt ihr die Sauna benutzen, und wenn euch danach ist, übernachtet ihr einfach hier und fahrt erst morgen früh«, schlägt Olli vor.
»Vielen Dank für das Angebot, aber ich glaube, wir machen uns lieber gleich auf den Weg. – Sag mal, weiß man eigentlich, worauf es der Dieb abgesehen hatte? Was ist denn gestohlen worden?«
»Verschiedene kleine Gegenstände, silberne Kerzenleuchter und so was. Wir haben keinen genauen Überblick, du hättest das Chaos sehen sollen ... aber ein paar Gemälde fehlen. Leider gibt es kein Inventar und keine Fotos, weder Verwandte noch ein schriftliches Testament. Drei Gemälde gelten in jedem Fall als vermisst. Sie stammen vermutlich von einem gewissen Ajvazovskij oder so ähnlich. Eine frühere Patientin, die inzwischen verstorben ist, konnte sich an Segelschiffe auf dem Meer erinnern. Das gesamte Inventar ist später versteigert worden.«
»Und es gibt keine Erben?«, frage ich.
»Nein.«
»Habt ihr noch mehr über die Gemälde herausfinden können?«
»Nein, eigentlich nicht. Dass sie tatsächlich gestohlen wurden, sah man an der Tapete: Drei 40 x 50 cm große Rechtecke hatten sie da hinterlassen. Ein Elektriker und der Briefträger haben bestätigt, dass es sich um Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert handelt, alles Seestücke. Verstehst du was von Kunst?«, fragt Olli.
»Nun, ein klein wenig ...«
Plötzlich steht Bella, gehüllt in einen viel zu großen Bademantel, hinter uns. Wir hatten sie gar nicht kommen gehört.
»Gibt es denn niemand, der sich genauer an die Bilder erinnert? Er könnte sie doch mal einem Patienten oder einem Freund gezeigt haben«, sagt Bella, während sie ihre kupferfarbene Mähne mit einem großen Frotteehandtuch abrubbelt.
»Sehr unwahrscheinlich. Bäck machte wenig Aufhebens um sich. Er war wohl eher ein stiller Sammler, der sich ein Bild kaufte, wenn er gerade mal etwas Geld übrig hatte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gemälde besonders teuer oder ausgefallen waren. Vielleicht mit Ausnahme der verschwundenen Bilder. Warum wären sie sonst gestohlen worden? Eine der befragten Personen meinte, sich erinnern zu können, dass Bäck einmal von diesen drei Bildern gesprochen hat. Er hat sie wohl geschenkt bekommen. Irgendwie gehörten die Bilder zusammen, jedenfalls waren auf allen Segelschiffe«, sagt Olli.
»Aber die Ermittlungen hast du nicht geleitet, oder? Du arbeitest doch in Helsinki?«
»Stimmt, mit den Ermittlungen hatte ich nichts zu tun, jedenfalls nicht offiziell. Mit denen war ein Kollege von mir betraut, mit dem ich manchmal angeln war. Veli Tuominen. Leider kam er vor einem guten Jahr bei einem Autounfall ums Leben. Er wohnte hier in der Gegend. Ich glaube, ich werde Lindström mal eine Kopie der Unterlagen schicken. Vielleicht hat er ja noch eine Idee. Der Fall interessiert mich, und wir beide pflegen seit Jahren einen informellen Austausch«, sagt Olli, indem er sich Bella zuwendet.
»Hast du zufällig gesehen, ob ein paar Hechte in der Reuse sind?«