Ultramarin. Henrik Tandefelt

Ultramarin - Henrik Tandefelt


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      »Nein, äh ... ich denke nicht. Vermutlich nicht. Ich wollte dich fragen, ob du zufällig jemanden kennst, den ich suche. Es geht um jemanden, der illegal nach Schweden eingereist ist und in der Nähe von Helsinki eine Weile auf einem Hof gearbeitet hat. Leider weiß ich nur seinen Vornamen: Dimitri.«

      »Nein, sagt mir nichts. Was ist mit ihm?«

      »Er hat bei einem alten Arzt auf dem Land gewohnt und sich um Kühe, Pferde, Hühner, Kaninchen und so weiter gekümmert. Ohne Visum, schwarz also. Ist vermutlich schon eine Weile her«, erkläre ich.

      »Ein Russe namens Dimitri, der schwarz auf einem Hof bei Helsinki gearbeitet hat ...«

      »Ja, ich weiß, die Anhaltspunkte sind lächerlich, aber ich hatte einfach Lust, dich anzurufen ...«

      »Wie nett von dir, nach, warte mal ... drei, vier Jahren?«

      »Ich war viel unterwegs.«

      »Hm ... herzlichen Glückwunsch übrigens.«

      »Wozu?«

      »Zu deiner neuen Freundin.«

      »Danke, äh ... woher weißt du denn das?«

      »Sagtest du ›Dimitri‹? Gib mir noch ein paar Details, dann sehe ich, was ich tun kann. Hab’s gerade etwas eilig.«

      Ich erzähle ihr alles, was ich weiß, ehe sie sich hastig verabschiedet. Für Smalltalk hat sie jetzt keine Zeit, will mich aber zurückrufen, wenn ich ihr meine Nummer gebe. Das tue ich, obwohl ich mir sicher bin, dass sie sie noch von früher hat.

      Ritva konnte sich an mich erinnern und schien nicht einmal sonderlich verärgert zu sein. Hat sie irgendwelche Informationen über mich? Woher wusste sie von Bella? Ach, wahrscheinlich hat sie nur geraten ...

      Durch das Fenster sehe ich, wie ein Auto durch das breite Einfahrtstor rollt und vor dem Haus anhält. Ein Taxi. Der Fahrer hilft meiner Mutter aus dem Wagen, ehe er mehrere Tüten für sie hineinträgt. Sie sieht mich am Fenster stehen und winkt. Ich eile nach draußen, um ihr zu helfen.

      »Josef, wie schön! Komm, hilf mir, die Sachen ins Haus zu tragen. Dann zeige ich dir, was ich gefunden habe.«

      Ich trage die Plastiktüten in die Küche, während sie den Mantel auszieht und ihre Stiefel unter die Garderobe stellt. Sie kommt mit einem kleinen Paket herein und platziert es mit großer Geste auf dem Küchentisch.

      »Jetzt pass auf! Simsalabim!« Mit diesen Worten rollt sie das Packpapier auseinander, worauf ein großer, massiver Silberlöffel zum Vorschein kommt. Ich nehme ihn in die Hand. Wieder mal eine von Mamas Entdeckungen. Ich suche nach einer Gravur, finde jedoch keine.

      »Das ist ja gerade der Clou! Es gibt keine Gravur, dabei ist er aus Silber. Sehr interessant. Hier in Europa gibt es ja seit dem sechzehnten Jahrhundert quasi kein Silberbesteck ohne Gravur mehr. Im südöstlichen Russland hingegen ...«

      »Hast du also mal wieder in Antiquitätenläden gestöbert«, sage ich und verkneife mir höflich die Frage, was der Löffel gekostet hat.

      »Nicht nur dort. Die professionellen Antiquitätenhändler wissen in der Regel, was sie verkaufen, und sind ziemlich teuer. Andere kennen sich mit ihrer Ware weniger aus. Den zum Beispiel«, sagt sie, indem sie den klobigen Löffel hin und her schwenkt, »habe ich billiger bekommen, weil ich darauf hingewiesen habe, dass er eben keine Gravur hat.« Sie kichert.

      »Wie viel Zeit verbringst du eigentlich in solchen Läden?«, frage ich, ohne eine Antwort zu erhalten.

      »Sag mal, habt ihr schon was gegessen?«

      Muffins leckt sich die Schnauze.

      3

      An der Fotofront sieht es mau aus. Zu wenig Aufträge. Hin und wieder ein Gelegenheitsjob, aber die Aussichten sind nicht rosig. Da ich einige finanzielle Reserven habe, komme ich noch eine Weile über die Runden. Aber ich habe viel Zeit übrig. Und viel Energie. Warum würde ich mich auch sonst mit diesem lächerlichen Projekt abgeben, das nicht den geringsten Gewinn abwirft? Ein toter alter Mann, den ich nicht kannte. Gestorben in Finnland. Wie viele alte Männer sind nicht schon gestorben, ohne dass mich das im Geringsten interessiert hätte. Ganz zu schweigen von alten Frauen, Jugendlichen und Kindern. Was habe ich damit zu schaffen? Wieso sollte ich mich engagieren?

      Ich engagiere mich ja gar nicht! Das habe ich letztes Mal auch gedacht, und was ist daraus geworden?

      Es sind Olli und Lindström, die sich in den Kopf gesetzt haben, die Person ausfindig zu machen, die Jens Bäck getötet hat. Das ist ja schließlich ihr Job. Meiner aber nicht. Überhaupt nicht. Ich bin Fotograf. Ich habe ein kleines Unternehmen, um das ich mich kümmern muss. Olli und Lindström sind Polizisten, sie bekommen ihr Engagement sogar bezahlt.

      Und nur weil ich einen Hund besitze, bin ich noch lange kein Hundepsychologe, was vermutlich erforderlich wäre, um den einzigen Zeugen, unseren neuen Hund Tipsa, zum Reden zu bringen. Man kann sich ausmalen, wie das vonstatten ginge: Tipsa liegt ausgestreckt auf dem bequemen Ledersofa eines finnischen Hundepsychologen und leckt sich die Schnauze, bevor sie sagt: »Es war keine Absicht. Ich habe alles genau gesehen. Wenn ich einen Sack Hundefutter kriege, fällt mir vielleicht noch mehr ein...«

      »Na, Sie haben vielleicht Manieren.«

      »Es war ein Kerl, ein Ausländer.«

      »Dimitri? Das kann ich mir nicht vorstellen. Warum sollte er das tun? Vor allem, da er sich illegal in Finnland aufhielt und allen Grund zur Vorsicht hatte.«

      »Er wollte ihn bestehlen, aber er wollte ihn nicht umbringen

      »Warum ausgerechnet die Bilder? Es hätte doch ganz andere Dinge gegeben. Soweit ich weiß, sind keine weiteren Gegenstände verschwunden.«

      »Woher wollen Sie das wissen?«

      Natürlich weiß keiner genau, ob der Dieb oder die Diebe noch andere Gegenstände gestohlen haben. Auch über Dimitri ist so gut wie nichts bekannt. Warum war er über die Grenze gekommen? Warum hatte er sich von Bäck als Gehilfe einstellen lassen? Womit hat er sich noch beschäftigt?

      Bäck war bewusstlos geschlagen worden. Daraufhin waren drei kleine Bilder verschwunden, Format zirka vierzig mal fünfzig Zentimeter, also klein genug, um sie sich einfach unter den Arm zu klemmen. Was gab es für einen Grund, gerade diese Gemälde zu entwenden? Gewiss, Ajvazovskij ist in Fachkreisen bekannt, aber bei hergelaufenen Ganoven?

      Ob Bäck eine Hausratversicherung besaß? Fragen kostet nichts, denke ich, doch vermutlich sind solche Informationen nicht jedermann zugänglich. Außerdem wird die Polizei das sicher schon geprüft haben.

      Abteilung für dämliche Fragen.

      Ich sollte zusehen, dass ich aus dem Bett komme.

      Ich stelle die Waschmaschine an, benutze mein Deo, tausche Strümpfe und Unterhose, rasiere mir ein paar störende Bartstoppeln ab – der Nachteil, wenn man einen schwarzen Bart hat. Praktischerweise wird er langsam grau.

      In eine Aftershavewolke gehüllt, gehe ich die Treppe hinunter in Jureks und mein gemeinsames Fotostudio. Ein verborgenes Schmuckstück, das wir mithilfe einiger Freunde im Laufe der Jahre in dem Gebäude errichtet haben, das früher einmal als Stall, Traktorgarage und Werkstatt diente. Seit ein paar Jahren befinden sich hier Fotostudio und Dunkelkammer sowie eine kleine Wohnung im ersten Stock, direkt über dem Büro, die ich bei Bedarf nutze. Doch als wir mit dem Umbau fertig waren, verlor ich die Lust am Fotografieren im Studio, das wir manchmal für Projekte vermieten, an denen wir beteiligt sind. Aber darum kümmert sich Jurek mehr als ich. Eine Goldgrube ist unsere Firma keineswegs. Ich nehme ein paar Filmrollen aus dem Kühlschrank und gehe dann an die frische Luft. Schlendere über die Rasenfläche, um den Abend bei meiner Mutter zu verbringen.

      »Was riecht denn hier so nach Marzipanschweinchen?«, fragt sie zur Begrüßung und schnuppert in die Luft, als ich zur Tür hereinkomme. Das ist der Dank dafür, dass ich mich rasiert habe.

      Wir reden über


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