Ultramarin. Henrik Tandefelt

Ultramarin - Henrik Tandefelt


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um zu fragen, ob sie irgendetwas über diesen Dimitri in Erfahrung bringen könnte«, entgegne ich, ohne auf ihren eifersüchtigen Unterton einzugehen, den ich herauszuhören glaube. Mir gefällt dieser Ton nicht. Es besteht gar kein Anlass dafür.

      »Wirst du sie treffen?«

      »Nein, ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich habe sie nur angerufen, weil eine klitzekleine Chance besteht, dass sie mir helfen könnte.«

      Um von Helsinki nach Sysmä zu kommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der direkte Weg führt über Lahti und ist definitiv der langweiligste. Von Lahti aus hat man die freie Wahl. Ich fahre über Borgå, um in Forsby auf kleinere Landstraßen in Richtung Norden auszuweichen; das macht die Strecke abwechslungsreicher. Da ich nicht mit leeren Händen ankommen will, kaufe ich in Kouvola ein paar Flaschen Rotwein, ehe ich mich in nordöstliche Richtung weiter vorarbeite und schließlich Ollis Sommerhaus erreiche.

      »Was für ein weit gereister Gast!«, begrüßt er mich. »Wo möchtest du wohnen? Bei mir im Haus oder im Gartenhäuschen? Hast du eigentlich Tipsa mitgebracht?«, fragt er, während er seinen Wagen wäscht.

      »Nein, leider nicht. Die Hunde sind bei Bella in Helsinki geblieben. Dafür habe ich ein paar Flaschen Rotwein dabei. Ich dachte, das könnte nicht schaden ...«

      »Ausgezeichnet! Dann können wir uns ja eine schöne Zeit machen: zusammen essen, in die Sauna gehen, schwimmen, über Gott und die Welt reden – falls du nichts dagegen hast.«

      4

      Das Haus war leer. Eine Lampe leuchtete über der Tür. Ein riesiges Haus, dachte Mikko und schaute sich schweigend um. Ein richtiger Hof. Alle Fenster waren dunkel.

      »Und hier soll ein Arzt wohnen«, brummte Mikko. »Ist wohl gerade zu einem Patienten gefahren.«

      Ihr Auto, einen geräumigen Mitsubishi Spacewagon, hatten sie im Schutz eines Fliederbuschs in einiger Entfernung abgestellt. Robban und Andrej blieben im Wagen sitzen. Betrachteten den Schneefall, der in diesem Moment einsetzte. Es sollte Mikkos letzte Station sein. Danach wollten sie in Lahti das Auto tauschen, nach Helsinki weiterfahren und am nächsten Abend die Fähre nach Stockholm nehmen.

      Sollte jemand zu Hause sein, wollte Mikko sich für die Störung entschuldigen und eine unverfängliche Frage stellen, zum Beispiel, ob er einmal das Telefon benutzen dürfe. Doch falls niemand öffnete ...

      Er klopfte. Wartete eine Weile. Niemand zu Hause. Er klopfte erneut, diesmal kräftiger. Keine Reaktion.

      Das altmodische Schloss zu öffnen war kein großes Problem, doch dauerte es ein wenig, weil es abgeschlossen war. Als er auf den Flur trat, schaltete er die Taschenlampe ein – und stutzte. »Wenn Mutter das sehen könnte«, flüsterte er. So ein Chaos hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Nicht einmal im Kino. Die Frage war, ob hier überhaupt jemand wohnte. Doch, natürlich, das Haus war beheizt.

      Auf dem Boden türmten sich Zeitschriftenstapel, man konnte kaum treten. Fluchend tastete er sich vorwärts. Hier hätte ein Räumkommando tagelang zu tun. Er ging in alle Räume und schaute sich um. Suchte nach Wertgegenständen. Fand zwei alte Kerzenleuchter und eine Silberschale. Hinter einem Berg von Gerümpel entdeckte er einen Sekretär. Er schob den Krempel so weit beiseite, dass er zumindest die oberste Schublade öffnen konnte. Er steckte die Hand hinein und zog altes Silberbesteck heraus. Immerhin etwas. Das musste reichen. Im Auto war nicht mehr viel Platz. Er ging in Richtung Haustür.

      Verdammt, da kommt jemand! Die Treppe hinauf und keinen Laut. Flach atmen. Rausschleichen kann ich mich später, denkt er. Mikko findet ein Stück eines Eisenrohres auf den Stufen. Ich schlage ihn nieder, bevor er das Licht anknipst. Gesagt, getan. Was für ein zäher Typ. Er muss ihm noch ein paar Fußtritte versetzen, ehe der Alte endlich verstummt. Ein letzter Tritt.

      Es gelingt ihm noch, drei kleine Gemälde zu erbeuten, ehe er über den Alten steigt, der bewusstlos auf dem Boden liegt. Was für schöne Goldrahmen, schießt es ihm durch den Kopf.

      Robban tastete nach seiner Zigarettenschachtel. Mikko war schon eine ganze Weile im Haus. Schien ja alles glatt zu gehen. Sie wechselten die Plätze im Auto. Andrej war mit dem Fahren dran. Sie mussten vorsichtig sein und sich an die Verkehrsregeln halten. Niemand war ihnen auf den Fersen. Alles war nach Plan verlaufen, soweit sie einen Plan gehabt hatten. Niemand hatte sie gesehen, und alle Häuser waren leer gewesen.

      Andrej ließ den Motor an, als Mikko die Wagentür öffnete und die Tasche hineinwarf, in der es vielversprechend klirrte. Kleinkram, vor allem Silber, das sich rasch und problemlos verscherbeln ließ. Dann schob Mikko ein paar Bilder ins Auto.

      »Ist ja nicht die Welt. Willst du noch mal rein, oder sollen wir losfahren?«, fragte Andrej.

      »Das reicht. Der alte Knacker hat mich überrascht, als ich gerade gehen wollte. Hab ihm eine verpasst. Er kann jederzeit zu sich kommen, also sollten wir sehen, dass wir von hier verschwinden«, antwortete Mikko kurzatmig.

      »Wenn sich’s lohnt, braten wir ihm eben noch eins über ...«

      »Nein, lohnt sich nicht. Fahr schon! Das war der größte Saustall, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe. Wäre fast nicht durchgekommen, unglaublich! Ich habe mir noch diese drei Bilder geschnappt, viel mehr war da nicht zu holen. Die Rahmen sahen gut aus, und vielleicht kriegen wir ja ein paar hundert für die Gemälde ...«

      »Was? Hast du etwa Kunst geklaut? Na ja, irgendwann ist immer das erste Mal. Und du bist sicher, dass der Alte dich nicht erkannt hat?«

      »Ja! Jetzt gib Gas, verdammt noch mal!«

      »Okay, okay, Stockholm, here we come ...«

      Das Auto setzte sich leise in Bewegung, während der Schneefall dichter wurde. Immer größere Flocken fielen vom Himmel und bedeckten den Boden rasch mit einer dünnen weißen Schicht.

      Andrej fuhr aufmerksam in Richtung Lahti, während Robban die erbeuteten Gegenstände in Seidenpapier einschlug und in Reisetaschen verstaute. Doch den geklauten Gemälden gegenüber blieb er skeptisch. Kunst war verdammt schwer abzusetzen. Immerhin sah man den Bildern ihr Alter an, und die Rahmen wirkten sehr stilvoll. Während er sie in eine Decke einschlug, brummte er:

      »Wenn die Bilder nichts wert sind, verhökern wir halt die Rahmen.«

      »Vielleicht sind die Bilder im Ausland ja was wert«, verteidigte sich Mikko. Ihm gefielen die Bilder, aber was verstand er schon davon?

      Das Auto rollte in aller Ruhe Helsinki entgegen. Vielleicht sollten sie versuchen, die Bilder so schnell wie möglich loszuwerden.

      5

      Am Morgen erwache ich unnötig früh, als Olli sich in der Küche zu schaffen macht. Er summt gut gelaunt eine Melodie, die ich nicht kenne. Ich stehe etwas neben mir. Man sollte einen schönen Abend in Finnland nicht damit verbringen, in der Sauna über das Leben zu philosophieren. Jedenfalls nicht bis zwei Uhr nachts.

      Wir wollen auf der Veranda frühstücken. Obwohl ich keinen Appetit habe, decke ich mit schwerem Kopf den Tisch. Ich bin ja selber schuld. Am Horizont auf der gegenüberliegenden Seeseite türmen sich Wolkenberge auf, aber die interessieren mich jetzt nicht. Ich habe genug mit meinen Kopfschmerzen zu tun.

      Als ich mit dem Decken fertig bin, gehe ich zum Wasser hinunter. Ich dachte, die frische Luft würde mir gut tun, aber das war ein Irrtum. Aus der Ferne dringt dumpfes Grollen über den See. Mal sehen, ob die dunklen Wolken näher kommen.

      Ein Stück vom Haus entfernt hat ein Auto angehalten. Vermutlich bekommen wir Besuch. Der Mann wirkt nicht besonders groß und trägt eine weiße Mütze. Schwer zu sagen, wie alt er sein mag, doch er wirkt ziemlich jung, keinesfalls über dreißig. Er scheint mich nicht gesehen zu haben und geht sofort in die Küche. Zwei Minuten später kommen er und Olli auf die Veranda.

      »Im Wald wurde eine männliche Leiche gefunden. Wenn wir uns beeilen, kommen wir noch vor den Sachverständigen aus St. Mickel an«, erklärt Olli. »Kommst du mit, Josef?«

      Ich schaue die beiden fragend an.


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