Ultramarin. Henrik Tandefelt

Ultramarin - Henrik Tandefelt


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Ich habe ihre Versicherungen, es im Alter etwas ruhiger angehen zu lassen, nie sonderlich ernst genommen, also bin ich nicht überrascht. Drei Ausstellungen sind geplant: eine große in Budapest, eine in Oslo und eine kleinere in London, die fast ausschließlich neue Werke zeigen soll. Sie erwägt, nach Budapest zu reisen, ist sich aber noch nicht sicher. Ihr Gesundheitszustand wird darüber entscheiden – und ihr Terminkalender. Ist ja nicht gesagt, dass ich dann auch Zeit habe, meint sie.

      »Sag mal, kennst du einen russischen Künstler namens Ajvazovskij?«, frage ich unvermittelt. »Ivan Konstantinovitsh Ajvazovskij.«

      »Ja, ein wenig. Hat sich vor allem als Marinemaler einen Namen gemacht. Einige seiner Arbeiten habe ich gesehen. Aber wenn du mehr über ihn erfahren willst, dann ruf doch einfach meine alte Freundin Hella Vuotila an. Ich glaube, sie wohnt immer noch in der Nähe von Helsinki, in Kottby.«

      »Ist sie Expertin für russische Kunst?«

      »Ja. Sie kennt sich sehr gut aus«, antwortet meine Mutter.

      Und wenn sie das sagt, dann wird es wohl stimmen.

      Am nächsten Tag rufe ich auf der »Seawind« an und frage, ob es noch einen Platz gibt, doch leider ist das Boot schon voll. Dasselbe gilt für die »Silja«, aber die »Viking« ist noch nicht ausgebucht. Ich ergattere ein Ticket ohne Kabine für die Morgenfähre nach Åbo. Für den Rest des Tages arbeite ich im Studio.

      Früh am Morgen fahre ich mit Muffins zum Stockholmer Hafen, wo wir im geräumigen Bauch des Schiffes verschwinden. An Bord herrscht ein einziges Gedränge. Ich ziehe mich mit Muffins in eine ruhige Ecke zurück, um zu lesen. Da sich ganz in der Nähe die große Bar mit der Tanzfläche befindet, dauert es jedoch nicht lange, bis stampfende Bässe aus den Lautsprechern dröhnen. Jedes Mal, wenn ich gezwungen bin, tagsüber das Boot zu nehmen, ist es eine Qual. Ich ärgere mich, aber was soll ich machen? Um 19.50 Uhr werden wir in Åbo einlaufen.

      Ich lese, warte und warte. Wie auch immer, bald werde ich bei Mirabella sein, bei meiner Bella.

      In Åbo angekommen, spuckt die Fähre langsam Lkws und Busse aus sowie eine schier unüberschaubare Zahl an Pkws, Motorrädern und Fahrrädern.

      Nach einem kurzen Abendspaziergang am Hafen nehmen wir die öde Strecke nach Helsinki in Angriff. In Lahnajärvi machen wir Rast. Das hat Tradition.

      Als wir Helsinki erreichen, ist es dunkel. Ich frage mich kurz, ob ich den Schlüssel dabeihabe. Der Aufzug knarrt. Nur Tipsa ist zu Hause. Erst starrt sie mich misstrauisch an, bevor sie mich wiedererkennt und uns stürmisch willkommen heißt. Nachdem ich meine Sachen ausgepackt habe, gebe ich den Hunden was zu fressen. Dann unternehmen wir einen kurzen Ausflug in Richtung Opernhaus. Mit ein wenig Glück können wir das Frauchen mit nach Hause nehmen. Wir spazieren durch das immer noch warme und immer noch grüne Helsinki.

      Ich stecke meine Nase ins Opernhaus und frage nach Bella.

      Fünf, vielleicht zehn Minuten später kommt sie. Ich versuche, die Hunde daran zu hindern, an ihr hochzuspringen, aber es gelingt mir nicht. Tipsa hat einfach keine Manieren. Sie lässt ihrer Spontaneität stets freien Lauf und verleitet den um ein paar Jahre älteren Muffins meist zu denselben Dummheiten. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten, wenn diese Bestien zur Liebesattacke übergehen.

      »Oh, was für eine feuchte Überraschung! Was macht ihr denn hier? Ich hatte dich noch gar nicht zurückerwartet, Josef.«

      »Hab kurzfristig umdisponiert.«

      »Wie schön! Das Bett war so leer. Na ja, relativ leer«, fügt sie hinzu, indem sie Tipsa tätschelt.

      »Ich werde wohl demnächst für ein paar Tage in Ollis Sommerhaus wohnen, um in der Gegend zu recherchieren, aber erzähl du erst mal. Wie laufen denn die Proben?«

      »Ich habe ein richtig gutes Gefühl. Hier in Helsinki wird jedenfalls noch Wert auf gründliche Probenarbeit gelegt. Jeder kann sich in Ruhe mit dem Korrepetitor vorbereiten, das gefällt mir. Und so viele Diven wie an anderen Häusern scheint es ja auch nicht zu geben.«

      »Dabei habe ich immer gedacht, dass es an Opernhäusern von Intrigen und Machtspielen nur so wimmelt.«

      »Natürlich gibt es auch Intrigen und einen gewissen Starrummel, aber hier in Helsinki hält sich das Gott sei Dank in Grenzen. Jedenfalls hab ich davon noch nicht viel mitbekommen.«

      »Ach, wie schön, dass du so ein Glück hattest!«

      »Das kann man wohl sagen. Wir haben doch eine schöne Wohnung, und alles in allem gefallen mir die überschaubaren Verhältnisse. Hast du eigentlich meinen Korrepetitor, den Pianisten Otto Erström, mal kennen gelernt?«

      »Nein, noch nicht. Du kannst ihn mir ja ein anderes Mal vorstellen. Leider fahre ich schon morgen weiter zu Ollis Sommerhaus.«

      »Aber die Nacht verbringst du doch in meinem Bett, oder?«

      Später am Abend fragt mich Bella beim Tee, was ich bei Olli eigentlich vorhabe und ob es möglicherweise etwas mit dem verstorbenen Arzt zu tun habe. Ich bin zu einem Geständnis gezwungen.

      »Typisch!«, seufzt Bella.

      »Was ist typisch?«

      »Dass dich dieser unaufgeklärte Mord nicht loslässt. Du kannst es einfach nicht lassen, deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen. Ich kann ja verstehen, dass es dich langweilt, tagein, tagaus mit den Hunden spazieren zu gehen, während ich arbeite. Aber meinst du nicht, dass du dich auf gefährliches Terrain begibst? Versprich mir, dass du kein Risiko eingehen wirst. Versprich es mir!«

      »Okay, okay, ich verspreche es. Ich werde weder meine Nase noch andere Körperteile irgendeiner Gefahr aussetzen. Außerdem steht ja gar nicht fest, dass es sich um einen Mord handelt. Vielleicht ... war es ja nur Körperverletzung.«

      Die Nacht war weich und warm, was nur zum Teil an uns selbst lag: Gewisse Kreaturen wollten partout das Bett mit uns teilen. Der Morgen kam allzu rasch, doch er war freundlich und sanft, meldete sich mit dem leisen Surren des beginnenden Verkehrs und dem Schreien der Elstern, die jetzt im Baum auf dem Hof sitzen. Da ich ohnehin schon wach bin, kann ich mich auch zeitig auf den Weg machen, denke ich unromantisch und schwinge meine Beine aus dem Bett, ohne Bella zu wecken. Ich drehe eine kurze Runde mit den Hunden und schleiche mich dann in die Wohnung zurück, um Tee zu machen. Bella schläft immer noch. Wie ein Murmeltier, könnte man sagen, aber das passt nicht zu ihr. Tja, wie dann? Wie eine Meerjungfrau? Eine Putte? Wie schlafen die? Als das Teewasser zu sieden beginnt, schlägt sie die Augen auf.

      Wie eine erblühende Heckenrose, denke ich mäßig originell, ehe sie sich streckt und von den Hunden mit rücksichtslosen Zärtlichkeiten überhäuft wird.

      »Ein bisschen Tee gefällig?«, frage ich und decke den kleinen Nachttisch.

      »Wie spät ist es?«

      »Viertel nach sieben.«

      »So früh ...«

      Sie steht auf, makellos, anmutig, lieblich und nackt. Stülpt eine Haube über die Teekanne, wackelt mit dem Po und verschwindet ins Badezimmer. Als sie wieder herauskommt, ist sie angezogen. Auch gut, denke ich und werfe einen verstohlenen Blick auf die Uhr.

      »Willst du wirklich in dieser Herrgottsfrühe aufbrechen?«

      Ich nicke. Sie murmelt etwas Unverständliches. Danach frühstücken wir schweigend. Durch das Fenster, das ich geöffnet habe, hören wir die Vögel im Hinterhof zwitschern. Bella holt das ›Hufvudstadsbladet‹ aus dem Flur. Die erste Seite ist voller Anzeigen. Während sie blättert, schmiere ich ihr ein weiteres Brot, ohne dass sie davon Notiz nimmt. Aber sie isst folgsam auf.

      »Ich bin ja bald wieder zurück«, sage ich tröstend.

      »Irgendeine Ritva hat gestern Morgen angerufen und nach dir gefragt. Sie sprach Englisch, sagte, sie sei in Moskau, und bat mich auszurichten, dass sie nichts über diesen Dimitri wüsste, sich aber weiter um die Sache kümmern würde. Sie wollte sich später wieder melden. Wer ist denn diese Ritva?«

      »Oh, hat sie angerufen? Sie war früher eine Art


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