Ultramarin. Henrik Tandefelt

Ultramarin - Henrik Tandefelt


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Boköping bekomme ich eine weitere Tasse Tee und noch mehr belegte Brote serviert. Ich spüre, dass ich gezwungen bin, das Mittagessen sausen zu lassen. Wieder erzähle ich vom Einbruch auf Hiitelä, vom Eigentümer des Hofes und von den gestohlenen Bildern.

      »Noch was?«, fragt Lindström.

      »Nicht dass ich wüsste, aber Olli hat versprochen, alle verfügbaren Unterlagen zu schicken. Er hat sicher gute Kontakte. Soweit ich ihn verstanden habe, herrschte am Tatort ein schier unglaubliches Chaos, was die wenigen Leute bestätigen, die Bäcks Haus einmal von innen gesehen haben. Niemand kann mit Sicherheit sagen, was früher vorhanden war und nun, nach dem Überfall, fehlte. Es gab keine nennenswerten Spuren. Inzwischen ist das Haus gründlich auf Vordermann gebracht worden und soll anscheinend verkauft werden.«

      »Und was soll ich Ollis Meinung nach tun? Natürlich kann ich mich ein bisschen umhören. Kann versuchen herauszufinden, was es mit diesem ... zovskij auf sich hat. Ich werd gleich mal unseren Kunstexperten in Stockholm fragen, obwohl ich nicht glaube, dass viel dabei herauskommen wird.«

      »Ajvazovskij.«

      »Sag ich ja.«

      Ich halte ihn nicht davon ab, als er seine Hand nach dem Telefon ausstreckt. Lindström bleibt ewig in der Leitung hängen. Wird hierhin und dorthin verbunden, weil die üblichen Kontaktpersonen nicht erreichbar sind. Die Telefonvermittlung der Polizei scheint professionell und effektiv, aber wenig hilfreich zu sein.

      In der Zwischenzeit nehme ich sein Bücherregal unter die Lupe. Schaue mir seine Pflanzen an. Gieße mir eine weitere Tasse Tee ein. Tätschele Muffins, der sich ungeniert auf Lindströms Sofa breit gemacht hat. Erkläre ihm, das sei sehr schlechtes Benehmen. Mir egal, entgegnet er. Betrachte eine Wolke, die von Ost nach West am Fenster vorübertreibt. Lasse mich neben Muffins auf das Sofa sinken und blättere in der Zeitung. Bis endlich ...

      »Fehlanzeige! Von irgendwelchen gestohlenen Bildern, die mit diesem Fall in Verbindung stehen könnten, ist nichts bekannt. Dieser russische Maler scheint in Schweden weitgehend unbekannt zu sein. Das meint jedenfalls das Auktionshaus Bukowskis, und die müssten’s dort ja eigentlich wissen.«

      »Hm ...«

      »Stimmt. Aber wir sollten die Flinte noch nicht ins Korn werfen. Es gibt doch folgende Möglichkeiten:

      Erstens: Falls die Gemälde wirklich gestohlen wurden, heißt das noch lange nicht, dass der Dieb auch versucht, sie zu verkaufen. Und warum sollte er das auch ausgerechnet in Schweden versuchen? Zweitens: Wenn der Dieb vom wahren Wert der Bilder keine Ahnung hat, ist es durchaus möglich, dass er sie an den Erstbesten verscherbelt hat. Hast du dich eigentlich mal bei Kunsthändlern in Finnland umgehört? Drittens besteht natürlich ein gewisses Risiko, dass jemand weiß oder zumindest ahnt, was die Gemälde wert sind. Viertens ist das ein Fachgebiet, von dem ich offen gestanden keine Ahnung habe, und fünftens gibt es mindestens noch neununddreißig weitere Möglichkeiten.«

      »Danke, jetzt hast du mir wirklich sehr geholfen.«

      »Keine Ursache. Der Schmuggel, Verkauf und Besitz von gestohlener Kunst kennt offenbar zahlreiche Spielarten. Soweit ich verstanden habe, ist das ein wachsender Markt.«

      »Vielleicht ist der Dieb ja ein wahrer Schöngeist.«

      »Wohl kaum, aber der Handel mit Raubkunst nimmt ebenso zu wie der mit Kunstfälschungen. Erst kürzlich wurde in London ein falscher Carl Larsson verkauft, natürlich an einen Schweden, haha ... Kunst ist heute ein Spekulationsobjekt, mit dem sich auch Geld waschen lässt. Du erwirbst ein illegales Kunstwerk, wartest den richtigen Zeitpunkt ab und machst bei passender Gelegenheit einen schönen Reibach. Die Einbrüche bei Privatsammlern häufen sich. Und selbst in den offiziellen Sammlungen befinden sich einige Kuckuckseier, liest man ja ständig in der Zeitung. Signaturen werden gefälscht, und Porzellan wird hergestellt, das angeblich aus der Ming-Dynastie stammt.«

      »Willst du damit andeuten, dass es nahezu unmöglich ist, ein gestohlenes Gemälde wiederzufinden?«

      »So in etwa. Zumindest, wenn der Raub professionell organisiert wurde. Was den Erwerb von Kunstwerken angeht, gibt es übrigens seit neuestem eine Gesetzesänderung. Wie wirkungsvoll die ist, wird sich zeigen.«

      »Und wie sieht die aus?«

      »Bevor du ein Kunstwerk kaufst, musst du dir einen überzeugenden Beweis vorlegen lassen, dass es sich nicht um Raubkunst handelt. Tust du das nicht, riskierst du, sowohl das Kunstwerk als auch dein Geld dauerhaft los zu sein, es sei denn, es gelingt dir, den Verkäufer auf Schadenersatz zu verklagen.«

      »Was ist, wenn sie irgendwo im Osten gelandet sind, zum Beispiel in Russland? Wer könnte dann überhaupt noch an sie herankommen? «

      »Tja, die Wege der Kunstmafia sind unergründlich, und Russland ist ein riesiges Land. Die meisten Sammler scheint es jedoch im Westen zu geben. Du solltest einen Experten fragen. Ein gewöhnlicher Polizist wie ich ist da überfordert«, seufzt Lindström.

      »Aber die Bilder könnten doch auch bei irgendjemandem gelandet sein, der sie einfach behalten will, weil sie ihm gefallen. Jemand, der sich gar nicht fragt, was sie eventuell wert sein könnten.«

      »Ich sagte ja, möglich ist alles ...«

      Ich fahre nach Hause. Lade mein weniges Gepäck bei mir ab und schlendere in Begleitung von Muffins zum Haus meiner Mutter hinüber. Ich setze mich in ihre Bibliothek, in der sich Tausende von alten und neuen Kunstbüchern befinden. Gott sei Dank ist sie nicht zu Hause. Ich wäre jetzt auch nicht zu einer Plauderei aufgelegt. Ich will Fakten, und zwar schnell. Als Erstes greife ich zur Nationalenzyklopädie, finde jedoch keinen Eintrag. Merkwürdig. Gehörte er nicht zu den angesehensten Malern seines Fachs? Vielleicht wird sein Name anders geschrieben. Ich suche unter verschiedenen Varianten: Aivasovsky, Aiwazowski, Ajvazowski. Ohne Erfolg. Auch das Wälzen zahlreicher Kunstbücher bringt mich nicht weiter.

      Die einzelnen Bände sind leider nach sehr persönlichen Kriterien angeordnet. Meine Mutter findet natürlich immer alles auf Anhieb. Nach einer Weile stoße ich dann doch auf einen kurzen Text über den Künstler Ivan Ajvazovskij:

      Ajvazovskij, Ivan Konstantinovitsh. Bedeutender Marinemaler. Dokumentierte in seinem Werk die Geschichte der russischen Flotte. Seine Motive fand er auf der Krim und im Ausland.

      Bei den verschwundenen Gemälden soll es sich ja um Seestücke gehandelt haben, obwohl er sich auch mit biblischen Motiven und dem Leben in der Ukraine auseinander gesetzt hat. Einen zweiten Künstler gleichen Namens scheint es nicht zu geben. Nur diesen einen: Ivan Konstantinovitsh Ajvazovskij, den geschätzten und produktiven Marinemaler.

      Ein interessantes Objekt für einen Dieb.

      Für einen Dieb, der sein Handwerk versteht.

      Gut möglich, dass Dimitri, der russische Gehilfe Bäcks, seine Hände im Spiel hat. Zumal er ja ungefähr zum Zeitpunkt des Diebstahls verschwunden ist. Dennoch weiß ich, wie schwierig es sein wird, ihn ausfindig zu machen. Wie viele Menschen leben heutzutage in Russland? Hundertfünfzig Millionen? Falls er sich denn dorthin abgesetzt hat.

      Aber einen Versuch ist es wert. Ich rufe meine ... äh ...meine ehemalige, sehr temporäre russische Freundin an. Sie wohnte damals in einem Vorort von Moskau, und ich habe noch ihre damalige Telefonnummer. Wer weiß ...

      »Allo?«

      »Hallo, hier ist Josef.«

      »Da? Kto vam nada?«

      »Hier ist Josef Friedmann. Kann ich bitte mit Ritva sprechen?«

      » ? «

      »R-I-T-V-A?«

      In der Leitung wird es still, doch die Verbindung bleibt bestehen. Ich höre Schritte, gefolgt von einem russischen Wortwechsel, dem ich keine Silbe entnehmen kann. Es klingt wie eine kurze Diskussion. Erneute Schritte. Dann ist sie am Apparat, Ritva. Sie spricht Englisch.

      »Ja, hier ist Ritva ...«

      »Ich bin’s, Josef. Josef Friedmann aus Schweden.«

      »Josef ... das ist aber lange her. Bist


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