Der letzte Mensch. Mary Shelley
war, sich dem anderen nicht zu ergeben. Die Gräfin hatte dabei einen Vorteil durch ihre bessere Position; ich war besiegt, wenngleich ich nicht nachgeben wollte.
Ich wurde äußerst niedergeschlagen. Mein Gesicht war von schlechter Gesundheit und Verdruss gezeichnet. Adrian und Idris sahen dies; sie schrieben es meiner langen Krankenwache und der Sorge zu. Sie drängten mich, mir Ruhe zu gönnen und auf meine Gesundheit zu achten, während ich ihnen aufrichtig versicherte, dass meine beste Medizin ihre guten Wünsche seien; diese und die gesicherte Wiederherstellung meines Freundes, die jetzt täglich offenkundiger wurde. Die blasse Rosenfarbe erblühte auf seiner Wange wieder zu einem kräftigeren Rot, seine Stirn und Lippen verloren die aschgraue Blässe des drohenden Todes; solcherart war der liebliche Lohn meiner unablässigen Aufmerksamkeit – und der mächtige Himmel fügte als überfließende Belohnung hinzu, dass sie mir auch den Dank und das Lächeln Idris’ einbrachte.
Nach einigen Wochen verließen wir Dunkeld. Idris und ihre Mutter kehrten umgehend nach Windsor zurück, während Adrian und ich in langsamen Etappen und mit häufigen Unterbrechungen, die durch seine anhaltende Schwäche veranlasst wurden, folgten. Die verschiedenen Grafschaften des fruchtbaren Englands, die wir durchquerten, übten eine berauschende Wirkung auf meinen Gefährten aus, der durch seine Krankheit so lange von den Genüssen des Wetters und der Landschaft abgehalten worden war. Wir fuhren durch belebte Städte und bebaute Flächen. Die Landwirte holten ihre reichlichen Ernten ein, und die Frauen und Kinder, die leichte, bäuerliche Arbeiten verrichteten, bildeten Gruppen von glücklichen, gesunden Menschen, deren Anblick uns von Herzen erfreute. Eines Abends, als wir unser Gasthaus verließen, schlenderten wir eine schattige Gasse hinunter, dann einen grasbewachsenen Hang hinauf, bis wir zu einer Anhöhe kamen, die einen weiten Blick auf Hügel und Tal, sich schlängelnde Flüsse, dunkle Wälder und leuchtende Dörfer bot. Die Sonne ging unter; und die Wolken, die wie frisch geschorene Schafe durch die weiten Himmelsfelder strichen, nahmen die goldene Farbe ihrer schräg fallenden Strahlen an; das ferne Hochland leuchtete auf, und das geschäftige Summen des Abends drang, durch die Entfernung sich zu einem Ton vermischend, an unser Ohr. Adrian, der in sich die Frische wiederkehrender Gesundheit fühlte, faltete voller Freude die Hände und rief mit viel Gefühl aus:
»O glückliche Erde und glückliche Erdenbewohner! Einen stattlichen Palast hat Gott für dich erbaut, o Mensch, und du bist deiner Wohnstatt würdig! Sieh den grünen Teppich, der zu unseren Füßen ausgebreitet ist, und das azurblaue Blätterdach darüber; die Felder, die alles Mögliche erzeugen und nähren, und das Blau des Himmels, der alle Dinge enthält und umschließt. Jetzt, in dieser Abendstunde, in der Zeit der Ruhe und der Erfrischung, atmen, dünkt mich, alle Herzen einen Hymnus der Liebe und des Dankes, und wir verleihen, wie die Priester der Alten auf den Bergspitzen, ihrem Gefühle Ausdruck.
Gewiss baute eine wohlwollende Kraft dies majestätische Gebilde, das wir bewohnen, und formte die Gesetze, durch die es besteht. Wenn bloße Existenz, und nicht Glück, der Zweck unseres Daseins wäre, was bräuchte es den reichen Überfluss, den wir genießen? Warum sollte unsere Wohnstatt so lieblich sein, warum die Natur so angenehme Empfindungen vermitteln? Die Erhaltung unserer triebhaften Körper bereitet uns Freude, und unsere Nahrungsmittel, die Früchte des Feldes, sind mit wunderbaren Farben überhaucht, mit köstlichen Wohlgerüchen angereichert, und schmackhaft für unsere Gaumen. Warum sollte dies so sein, wenn ER nicht gut wäre? Wir brauchen Häuser, um uns vor den Jahreszeiten zu schützen, und siehe die Werkstoffe, mit denen wir versorgt werden, den Wuchs der Bäume mit ihrer Zierde von Blättern; während Gesteinsbrocken, die sich über den Ebenen türmen, die Aussicht mit ihrer angenehmen Unregelmäßigkeit verändern.
Auch sind es nicht die äußeren Gegenstände allein, die dieser gute Geist geprägt hat. Sieh in die Seele des Menschen, wo die Weisheit thront, wo die Phantasie, die Malerin mit ihrem Pinsel, sitzt, die mit lieblichen Farben, schöner noch als die des Sonnenuntergangs, das vertraute Leben in glühenden Tönungen malt. Welch edle Gabe, des Gebers würdig, ist die Einbildungskraft! Sie nimmt der Wirklichkeit ihren bleiernen Hauch, sie umhüllt alle Gedanken und Empfindungen mit einem strahlenden Schleier und lockt uns aus den kalten Ozeanen des Lebens in ihre Gärten, in die Lauben und Lichtungen der Glückseligkeit. Und ist nicht die Liebe ein Geschenk Gottes? Die Liebe und ihr Kind, die Hoffnung, die der Armut Reichtum verleihen kann, den Schwachen Kraft und den Leidenden Glück.
Mein Los war nicht glücklich. Ich habe lange in Kummer geschwelgt, bin in den düsteren Irrgarten des Wahnsinns eingetreten und nurmehr halb lebendig aufgetaucht. Doch ich danke Gott, dass ich überlebt habe! Ich danke Gott, dass ich seinen Thron, den Himmel, und die Erde, seinen Fußschemel gesehen habe. Ich bin froh, dass ich die Veränderungen seines Tages gesehen habe, die Sonne, die Quelle des Lichts, und den sanften Mond; dass ich das Licht Blumen am Himmel und die blumigen Sterne auf der Erde hervorbringen sah; dass ich Zeuge der Aussaat und der Ernte werden durfte. Ich bin froh, dass ich geliebt habe und dass ich mitfühlende Freude und Leid mit meinen Mitgeschöpfen erlebt habe. Ich bin froh, jetzt den Fluss meiner Gedanken durch meinen Geist und des Blutes durch die Adern meines Körpers zu fühlen; die bloße Existenz ist Vergnügen, und ich danke Gott, dass ich lebe!
Und all ihr fröhlichen Sprösslinge von Mutter Erde, hört ihr nicht meine Worte? Ihr seid miteinander verbunden durch die zärtlichen Bande der Natur, Gefährten, Freunde, Liebende! Väter, die freudig für ihre Nachkommenschaft arbeiten; Frauen, die, indem sie ihren Kindern beim Wachsen zusehen, die Schmerzen der Mutterschaft vergessen, Kinder, die weder arbeiten noch spinnen, sondern lieben und geliebt werden!
Oh, dass Tod und Krankheit aus unserer irdischen Heimat verbannt würden! Dass Hass, Tyrannei und Furcht nicht länger ihre Zuflucht im menschlichen Herzen fänden! Dass jeder Mann einen Bruder in seinem Gefährten finden würde und einen Hort der Ruhe inmitten der weiten Ebenen seiner Heimat, dass die Quelle der Tränen versiegte und die Lippen nicht mehr Worte der Trauer aussprechen könnten. Wenn du so unter dem gütigen Auge des Himmels schläfst, o Erde, kann da das Böse dich besuchen oder Leid deine glücklosen Kinder in ihre Gräber wiegen? Flüstere es nicht, damit die Dämonen es nicht hören und sich freuen. Die Wahl liegt bei uns, lasst es uns wollen, und unsere Wohnstatt wird zum Paradies. Denn der Wille des Menschen ist allmächtig, stumpft die Pfeile des Todes ab, beruhigt das Krankenlager und trocknet die Tränen des Leids. Und was ist ein menschliches Wesen wert, wenn es nicht seine Kraft verwendet, um seinen Mitgeschöpfen zu helfen? Meine Seele ist ein verblassender Funke, mein Körper erschöpft wie eine verebbte Welle; doch ich widme alle Klugheit und Stärke, die mir verbleibt, diesem einen Werk und nehme die Aufgabe auf mich, meinen Mitmenschen, soweit es mir möglich ist, Segen zu bringen!«
Seine Stimme zitterte, seine Augen waren gen Himmel gewandt, seine Hände gefaltet, und sein zerbrechlicher Körper krümmte sich in einem Übermaß an Gefühl. Der Geist des Lebens schien in seinem Körper zu verweilen, wie die sterbende Flamme einer Altarkerze auf der Glut eines dargebrachten Opfers flackert.
Kapitel 5
Als wir in Windsor ankamen, erfuhr ich, dass Raymond und Perdita nach dem Kontinent aufgebrochen waren. Ich bezog das Haus meiner Schwester und freute mich darüber, in Sichtweite von Schloss Windsor zu wohnen. Es war eine merkwürdige Tatsache, dass ich zu dieser Zeit, als ich seit der Hochzeit Perditas mit einem der reichsten Männer Englands verwandt und durch innige Freundschaft mit dem vornehmsten Adligen des Landes verbunden war, ein größeres Ausmaß an Armut erfuhr, als ich bis dahin je gekannt hatte. Mein Wissen um die weltlichen Grundsätze Lord Raymonds hätte mich stets davon abgehalten, mich an ihn zu wenden, so tief meine Not auch sein sollte. Umsonst wiederholte ich mir in Bezug auf Adrian, dessen Börse mir stets offenstand, dass, da wir eins in der Seele waren, wir auch unser Vermögen teilen sollten. Ich konnte niemals an seine Großzügigkeit als Heilmittel für meine Armut denken, wenn wir beisammen waren; ja ich wehrte sogar seine Angebote zur Unterstützung ab und behauptete, dass ich ihrer nicht bedürfe. Wie könnte ich zu diesem großzügigen Wesen sagen: »Lass mich nur weiter im Müßiggang leben. Wie solltest du, der du deine Geisteskräfte und dein Vermögen zum Nutzen deiner Mitmenschen eingesetzt hast, deine Bemühungen fehlleiten, indem du die Nutzlosigkeit des Starken, Gesunden und Fähigen unterstützt?«
Und doch wagte ich nicht, ihn zu bitten, seinen Einfluss geltend zu machen, damit ich eine ehrenwerte Möglichkeit erhalten könnte,