Der letzte Mensch. Mary Shelley
»Sieh nicht auf den Stern, liebe, großzügige Freundin«, rief ich, »lies nicht Liebe in seinen zitternden Strahlen, sieh nicht auf entfernte Welten, sprich nicht von der bloßen Vorstellung eines Gefühls. Ich habe lange geschwiegen, so lange schon habe ich mir gewünscht, mich dir zu offenbaren und dir meine Seele, mein Leben, mein ganzes Dasein zu schenken. Sieh nicht auf den Stern, Geliebte; oder tue es doch und lasse diesen ewigen Funken für mich plädieren. Lass ihn mein Zeuge und mein Fürsprecher sein, so still, wie er scheint – Liebe ist für mich wie das Licht für den Stern; ebenso lange, wie jenes strahlt, so lange will ich dich lieben.«
Das Gefühl dieses Augenblicks muss für immer vor dem gleichgültigen Auge der Welt verschleiert bleiben. Ich spüre noch immer, wie sich ihre anmutige Gestalt gegen mein volles Herz presste – noch immer flattern Augen, Puls und Atem und versagen bei der Erinnerung an diesen ersten Kuss. Langsam und schweigend gingen wir Adrian entgegen, den wir herannahen hörten.
Ich bat Adrian, zu mir zurückzukehren, nachdem er seine Schwester nach Hause geführt hatte. Und am selben Abend, während wir auf den mondbeschienenen Waldpfaden wandelten, schüttete ich mein ganzes Herz, meine Gefühle und meine Hoffnung meinem Freunde aus. Für einen Augenblick sah er verstört aus – »Ich hätte es voraussehen können«, sagte er. »Welchen Streit dies auslösen wird! Verzeih mir, Lionel, und wundere dich nicht, dass die Erwartung des Streites mit meiner Mutter mich aufregt, wo ich doch entzückt bekennen sollte, dass meine besten Hoffnungen sich damit erfüllen, meine Schwester deinem Schutz anvertrauen zu können. Wenn du noch nicht davon weißt, wirst du bald den tiefen Hass erfahren, den meine Mutter gegenüber dem Namen Verney hegt. Ich werde mich mit Idris unterhalten; dann werde ich all das tun, was ein Freund tun kann; es liegt an ihr, die Rolle der Liebenden zu übernehmen, wenn sie dazu in der Lage ist.«
Während Bruder und Schwester noch zögerten, auf welche Weise sie am besten versuchen könnten, ihre Mutter auf ihre Seite zu bringen, hatte diese, unseren Treffen misstrauend, ihre Kinder mit ihrem Verdacht konfrontiert; sie klagte ihre schöne Tochter der Täuschung an und einer unbegründeten Anhänglichkeit für jemanden, dessen einziges Verdienst es sei, der Sohn des verschwenderischen Günstlings ihres unvorsichtigen Vaters zu sein, und der zweifellos ebenso wertlos sei wie jener, von dem er abstammte. Die Augen Idris’ blitzten bei dieser Anklage auf; sie antwortete: »Ich leugne nicht, dass ich Verney liebe; beweist mir, dass er wertlos ist; und ich werde ihn nie mehr sehen.«
»Verehrte Dame«, sagte Adrian, »ich bitte Sie, ihn zu empfangen und eine Freundschaft zu ihm anzuknüpfen. Sie werden sich dann wie ich über das Ausmaß seiner Leistungen und seiner Talente wundern.« (Verzeih mir, lieber Leser, das ist keine nutzlose Eitelkeit; – nicht nutzlos, denn zu wissen, dass Adrian solcherart empfand, bringt noch jetzt Freude in mein einsames Herz.)
»Närrischer dummer Junge!«, rief die zornige Lady aus, »du hast dich dazu entschieden, meine Pläne für deine eigene Erhöhung mit Träumen und Theorien zunichtezumachen; aber dir soll nicht dasselbe mit meinen Entwürfen für deine Schwester gelingen. Ich verstehe die Faszination, der ihr beide erlegen seid, nur zu gut; denn ich focht den gleichen Kampf mit eurem Vater aus, um ihn dazu zu bringen, dem Vater dieses jungen Mannes zu entsagen, der seine bösen Neigungen mit der Sanftheit und Hinterlist einer Viper verbarg. Wie oft habe ich in jenen Tagen von seinen Reizen gehört, seiner allseitigen Beliebtheit, seiner Gewitztheit, seinen kultivierten Manieren: Es ist schön und gut, solange bloß Fliegen in solchen Spinnennetzen gefangen werden, aber sollten die Hochgeborenen und die Mächtigen ihre Nacken dem schwachen Joch dieser unaussprechlichen Ansprüche beugen? Wäre deine Schwester wirklich die unbedeutende Person, die sie zu sein verdiente, ich würde sie bereitwillig dem Schicksal überlassen, dem elenden Schicksal, die Frau eines Mannes zu sein, dessen ganzes Wesen, das seinem elenden Vater gleicht, sie an die Torheit und Bösartigkeit erinnert, die er darstellt – aber denke daran, Lady Idris, es ist nicht allein das einst königliche Blut Englands, das deine Adern färbt, du bist auch eine Prinzessin von Österreich, und jeder Lebenstropfen ist verwandt mit Kaisern und Königen. Bist du denn eine passende Gefährtin für einen ungebildeten Hirtenknaben, dessen einziges Erbe der angeschlagene Name seines Vaters ist?«
»Ich kann nur eine Verteidigung wagen«, antwortete Idris, »und dies ist die gleiche, die auch mein Bruder anbot; lade Lionel ein, sprich mit meinem Hirtenknaben –«
Die Gräfin unterbrach sie empört.
»Du!« – rief sie, und dann, mit einem verächtlichen Lächeln ihre verzerrten Gesichtszüge glättend, fuhr sie fort – »Wir werden hiervon zu gegebener Zeit sprechen. Alles, worum ich dich nun bitte, alles, was deine Mutter erbittet, Idris, ist, dass du diesen Emporkömmling während eines Monats nicht sehen wirst.«
»Ich wage nicht, einzuwilligen«, sagte Idris, »es würde ihn zu sehr schmerzen. Ich habe kein Recht, mit seinen Gefühlen zu spielen, seine angebotene Liebe zu akzeptieren und ihn dann mit Vernachlässigung zu bestrafen.«
»Das geht zu weit«, antwortete ihre Mutter mit zitternden Lippen und wieder vor Wut blitzenden Augen.
»Nun, gnädige Frau«, sagte Adrian, »wenn meine Schwester nicht einwilligt, ihn niemals wieder zu sehen, ist es gewiss eine nutzlose Qual, sie für einen Monat zu trennen.«
»Gewiss«, antwortete die einstige Königin mit bitterer Verachtung, »sollen seine Liebe, ihre Liebe und ihrer beider kindliche Flatterhaftigkeit meine Jahre voller Hoffnung und Angst aufwiegen, die ich mit der Erziehung der königlichen Nachkommen verbracht habe, um ihnen das hohe und würdevolle Betragen beizubringen, das jemand ihrer Abstammung wahren sollte. Aber es ist meiner unwürdig, zu streiten und mich zu beklagen. Vielleicht wirst du die Güte haben, mir zu versprechen, während dieses Zeitraums nicht zu heiraten?«
Dies wurde nur halb ironisch gefragt; und Idris wunderte sich, warum ihre Mutter einen feierlichen Eid von ihr erpressen sollte, etwas nicht zu tun, von dem sie nie geträumt hätte – aber das Versprechen wurde verlangt und gegeben.
Alles ging nun fröhlich weiter; wir trafen uns wie gewohnt und sprachen ohne Angst von unseren Zukunftsplänen. Die Gräfin war so höflich und entgegen ihrer Gewohnheit sogar liebenswürdig zu ihren Kindern, dass sie begannen, auf ihre letztliche Zustimmung zu hoffen. Sie war ihnen zu unähnlich, ihrem Geschmack zu sehr fremd, als dass sie ihre Gesellschaft genossen oder sie gesucht hätten, aber es bereitete ihnen Freude, sie versöhnlich und freundlich zu sehen. Einmal sogar wagte Adrian, ihr vorzuschlagen, mich zu empfangen. Sie lehnte mit einem Lächeln ab und erinnerte ihn, dass seine Schwester vorläufig versprochen hatte, geduldig zu sein.
Eines Tages, nach Ablauf beinahe eines Monats, erhielt Adrian einen Brief von einem Freund in London, in dem jener seine sofortige Anwesenheit für die Unterstützung einer wichtigen Sache forderte. Selbst ohne Arg, fürchtete Adrian keine Täuschung. Ich ritt mit ihm bis nach Staines. Er war in guter Stimmung; und da ich Idris während seiner Abwesenheit nicht sehen konnte, versprach er seine baldige Rückkehr. Seine ausgelassene Heiterkeit hatte die seltsame Wirkung, in mir entgegengesetzte Gefühle zu erwecken; eine Ahnung des Bösen hing über mir. Nach meiner Rückkehr trieb ich mich herum und zählte die Stunden, die verstreichen müssten, bis ich Idris wiedersehen würde. Wo sollte dies hinführen? Was könnte nicht alles an Üblem in der Zwischenzeit passieren? Könnte ihre Mutter Adrians Abwesenheit nicht ausnutzen, um sie über die Maßen zu bedrängen, vielleicht um ihr eine Falle zu stellen? Ich beschloss, komme was wolle, sie am nächsten Tag zu sehen und mit ihr zu sprechen. Diese Entscheidung beruhigte mich. Morgen, du Schönste und Beste, du Hoffnung und Freude meines Lebens, morgen werde ich dich sehen – ich Dummkopf träumte von einem Moment der Verzögerung!
Ich ging zu Bett. Um Mitternacht wurde ich von einem stürmischen Klopfen geweckt. Es war jetzt tiefer Winter; es hatte geschneit und schneite noch immer; der Wind pfiff in den blattlosen Bäumen und beraubte sie der weißen Flocken, während sie fielen; sein trostloses Seufzen und das fortgesetzte Klopfen vermischten sich wild mit meinen Träumen – endlich war ich hellwach; hastig kleidete ich mich an und beeilte mich, die Ursache dieser Störung zu entdecken und dem unerwarteten Besucher meine Tür zu öffnen. Bleich wie der Schnee, der sie bedeckte, mit gefalteten Händen, stand Idris vor mir. »Rette mich!«, rief sie und wäre zu Boden gesunken, hätte ich sie nicht aufgefangen. Nach einem Augenblick