Der letzte Mensch. Mary Shelley
und Rindenstücke auf dem Strom segeln, erfreut sich an ihrer Fahrt oder beweint ihren Schiffbruch. Die bloße Erinnerung bricht mir schier das Herz. Bei Gott! Die ersten Tränen, die ich seit meiner Kindheit vergossen habe, schossen mir in die Augen, als ich ihn sah.«
Es hätte dieses letzten Berichtes nicht bedurft, um mich anzutreiben, ihn zu besuchen. Ich überlegte nur, ob ich versuchen sollte, Idris wiederzusehen, ehe ich abreiste. Diese Frage wurde am folgenden Tage entschieden. Früh am Morgen kam Raymond zu mir; es war die Nachricht eingetroffen, dass Adrian gefährlich erkrankt war, und es schien wenig wahrscheinlich, dass seine abnehmende Kraft die Erkrankung überwinden sollte. »Morgen«, sagte Raymond, »reisen seine Mutter und seine Schwester nach Schottland, um ihn noch einmal zu sehen.«
»Und ich reise heute ab«, rief ich; »noch in dieser Stunde werde ich einen Segelballon dingen, ich werde in höchstens achtundvierzig Stunden dort sein, vielleicht in weniger, wenn der Wind günstig weht. Leben Sie wohl, Raymond, freuen Sie sich, den besseren Teil des Lebens gewählt zu haben. Dieser Wandel des Geschicks belebt mich. Ich fürchtete Wahnsinn, nicht Krankheit – ich ahne, dass Adrian nicht sterben wird; vielleicht ist diese Krankheit eine Krise, und er wird sich erholen.«
Jeder Umstand begünstigte meine Reise. Der Ballon stieg etwa eine halbe Meile weit in die Höhe und eilte bei günstigem Wind durch die Lüfte, seine gefiederten Wagen spalteten die widerstandslose Atmosphäre. Trotz des melancholischen Gegenstandes meiner Reise wurde mein Geist durch die wiedererwachte Hoffnung, durch die schnelle Bewegung des luftigen Gefährts und durch den lauschigen Aufenthalt an der sonnigen Luft belebt. Der Pilot bewegte kaum das gefiederte Ruder, und der schlanke Mechanismus der Flügel, weit entfaltet, ließ ein murmelndes Geräusch ertönen, das den Sinn beruhigte. Ebene und Hügel, Strom und Kornfeld, waren unten zu sehen, während wir ungehindert schnell und sicher davoneilten, wie ein wilder Schwan in seinem Flug. Die Maschine gehorchte der geringsten Bewegung des Steuerruders; und der Wind wehte stetig, es gab kein Hindernis in unserem Kurs. Solcherart war die Macht des Menschen über die Elemente; eine Macht, die, lange gesucht und kürzlich gewonnen, doch in der Vergangenheit von dem Dichterfürsten vorhergesagt worden war, dessen Verse ich zitierte, sehr zum Erstaunen meines Piloten, da ich ihm erzählte, wie viele hundert Jahre zuvor sie geschrieben worden waren:
Oh! menschlicher Verstand, was magst du für Gedanken weben,
Dass ein schwerer Mann wie ein leichter Vogel sollt schweben,
Welch seltsame Künste forschst du aus: wer könnte ahnen,
Dass Menschen durch den off’nen Himmel einst einen Weg sich bahnen?
Ich ging in Perth von Bord; und obwohl ich durch die ständige frische Luft über viele Stunden erschöpft war, wollte ich mich nicht ausruhen, sondern nur meine Beförderungsart ändern. Ich fuhr auf dem Landweg nach Dunkeld weiter. Die Sonne ging gerade auf, als ich die ersten Hügel erreichte. Nach der Revolution der Zeitalter war Birnam Hill wieder mit einem jungen Wald bedeckt, während die älteren Kiefern, die zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts vom damaligen Herzog von Athol gepflanzt worden waren, der Szene Feierlichkeit und Schönheit verliehen. Die aufgehende Sonne färbte zuerst die Spitzen der Kiefern; und meine Seele, durch meine Kindheit in den Bergen tief empfänglich für die Reize der Natur, wurde jetzt am Vorabend des Wiedersehens mit meinem geliebten und vielleicht sterbenden Freund auf eigenartige Weise durch den Anblick jener fernen Strahlen berührt. Gewiss waren sie Zeichen, und als solche betrachtete ich sie, gute Vorzeichen für Adrian, von dessen Leben mein Glück abhing.
Der arme Kerl! Er lag ausgestreckt auf seinem Krankenbett, seine Wangen glühten im Fieber, seine Augen waren halb geschlossen, sein Atem ging unregelmäßig und schwer. Und doch war es weniger schmerzlich, ihn in diesem Zustand zu sehen, als ihn geisteskrank und sich wie ein Tier benehmend vorzufinden. Ich richtete mich an seinem Bett ein und verließ es Tag und Nacht nicht. Es war eine bittere Aufgabe, zuzusehen, wie sein Geist zwischen Tod und Leben schwankte, seine gerötete Wange zu sehen und zu wissen, dass das Feuer, das dort zu heftig brannte, den lebensnotwendigen Brennstoff verzehrte; seine stöhnende Stimme zu hören, die vielleicht nie wieder Worte der Liebe und Weisheit äußern würde; die schwachen Bewegungen seiner Glieder zu sehen, die bald in ihr Leichentuch eingehüllt sein könnten. Dieser Zustand hielt drei Tage und Nächte an, und ich wurde durch die Angst und die Beobachtung des Kranken hager und erschöpft. Endlich öffneten sich schwach seine Lider, doch sein Blick verriet das zurückkehrende Leben; er war blass und kraftlos geworden, aber die Erstarrung seiner Züge wurde durch die bevorstehende Genesung gemildert. Er erkannte mich. Was für eine freudige Qual war es zu sehen, wie sein Gesicht sich erhellte, als er mich erkannte – als er meine Hand drückte, die jetzt fiebriger war als seine eigene, und als er meinen Namen aussprach! Keine Spur von seinem vergangenen Wahnsinn war übrig geblieben, die meiner Freude Kummer hätte beimengen können.
Am selben Abend kamen seine Mutter und seine Schwester an. Die Gräfin von Windsor war von Natur aus temperamentvoll; doch sie hatte den starken Gefühlen ihres Herzens sehr selten in ihrem Leben erlaubt, sich auf ihren Zügen zu zeigen. Die einstudierte Unbeweglichkeit ihres Antlitzes, ihre ruhige, gleichmütige Art und ihre sanfte, aber unmelodische Stimme waren eine Maske, die ihre feurigen Leidenschaften und die Ungeduld ihrer Veranlagung verbargen. Sie ähnelte keinem ihrer Kinder auch nur im Geringsten; ihr schwarzes und funkelndes Auge, aus dem der Stolz leuchtete, war völlig verschieden von dem blauen Glanz und dem aufrichtigen, gütigen Ausdruck von Adrians oder Idris’ Blick. Es lag etwas Großartiges und Majestätisches in ihren Bewegungen, aber nichts Anziehendes, nichts Liebenswertes. Hochgewachsen, schlank und aufrecht, ihr Gesicht noch immer gut aussehend, ihr rabenschwarzes Haar kaum von Grau durchsetzt, ihre Stirn gewölbt und schön geformt, wären die Augenbrauen nicht etwas zu dünn gewesen – war es unmöglich, nicht von ihr beeindruckt zu sein, sie beinahe zu fürchten. Idris schien das einzige Wesen zu sein, das, trotz der äußersten Milde ihres Charakters, ihrer Mutter widerstehen konnte. Jene strahlte eine Furchtlosigkeit und Offenheit aus, die sagte, dass sie die Freiheit eines anderen nicht beschneiden wollte, aber ihre eigene für heilig und unantastbar hielt.
Die Gräfin warf einen ungnädigen Blick auf meine erschöpfte Erscheinung, obgleich sie sich später kalt für meine Aufmerksamkeit bedankte. Nicht so Idris. Ihr erster Blick galt ihrem Bruder, sie nahm seine Hand, küsste seine Augenlider und beugte sich mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit und Liebe über ihn. Ihre Augen glitzerten von Tränen, als sie sich bei mir bedankte, und die Anmut ihres Ausdrucks wurde durch die Inbrunst verstärkt, nicht vermindert, was ihre Zunge beinahe zum Stolpern brachte, während sie sprach. Ihre Mutter, ganz Auge und Ohr, unterbrach uns bald, und ich sah, dass sie mich in aller Stille entlassen wollte als jemanden, dessen Dienste ihrem Sohn keinerlei Nutzen mehr brächten, jetzt, wo seine Verwandten angekommen waren. Ich war beunruhigt und missgelaunt, entschlossen, meinen Posten nicht aufzugeben, wusste jedoch nicht, auf welche Weise ich ihn behaupten sollte, als Adrian nach mir rief, meine Hand umklammerte und mich bat, ihn nicht zu verlassen. Seine Mutter, die zuvor scheinbar unaufmerksam gewesen war, verstand den Wink sogleich, und als sie sah, dass wir sie überstimmt hatten, ließ sie uns unseren Willen.
Die folgenden Tage waren für mich voller Schmerz, so dass ich es zuweilen bedauerte, der hochmütigen Dame, die alle meine Bewegungen beobachtete und meinen Herzenswunsch, meinen Freund zu pflegen, zu einer qualvollen Arbeit machte, nicht sofort nachgegeben zu haben. Niemals war eine Frau so völlig kontrolliert gewesen wie die Gräfin von Windsor. Ihr Wille hatte ihren Appetit unterdrückt, sogar ihre natürlichen Bedürfnisse; sie schlief wenig und aß kaum; ihr Körper wurde von ihr offenbar als eine bloße Maschine betrachtet, deren Gesundheit für die Durchführung ihrer Pläne notwendig war, deren Wohlgefühl aber keinen notwendigen Teil ihrer Funktion ausmachte. Es liegt etwas Furchtbares darin, wenn jemand solcherart den triebhaften Teil seiner Natur überwinden kann und dies nicht der Vollendung seiner Tugend dient; zumindest empfand ich ein wenig Furcht, wenn ich bemerkte, dass die Gräfin wachte, während andere schliefen, und fastete, während ich, von Natur aus maßvoll, oder zumindest durch das an mir zehrende Fieber zurückhaltender geworden, gezwungen war, mich mit Essen zu versorgen. Sie beschloss, meine Möglichkeiten, Einfluss auf ihre Kinder zu gewinnen, wo nicht zu verhindern, doch zumindest zu beschneiden, und bekämpfte meine Pläne mit einer kalten, ruhigen, hartnäckigen Entschlossenheit, die nicht menschlich zu sein schien. Der Krieg zwischen