Der letzte Mensch. Mary Shelley

Der letzte Mensch - Mary Shelley


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»Was kann ich tun?«, rief sie, »Ich bin verloren – wir beide sind auf ewig verloren! Aber komm – komm mit mir, Lionel; hier kann ich nicht bleiben – wir können uns in der nächsten Poststation eine Kutsche besorgen, noch haben wir vielleicht Zeit! Komm mit mir, um mich zu retten und zu beschützen!«

      Als ich ihre kläglichen Forderungen hörte und sah, wie sie mit ungeordnetem Kleid, zerzausten Haaren und ängstlichen Blicken ihre Hände rang – schoss mir der Gedanke durch den Kopf, ist auch sie verrückt? – »Mein Liebling«, und ich zog sie an meine Brust, »ruhe dich besser aus, als weiterzuwandern – setze dich – meine Geliebte, ich werde ein Feuer machen – du frierst.«

      »Mich ausruhen!«, rief sie, »hinsetzen! Du redest irre, Lionel! Wenn du zögerst, sind wir verloren; ich bitte dich, komm, es sei denn, du willst mich für immer vertreiben.«

      Dass Idris, die fürstlich Geborene, die in Reichtum und Luxus aufgewachsen war, durch die stürmische Winternacht von ihrer königlichen Behausung gekommen sein, an meiner niedrigen Tür stehen und mich durch Dunkelheit und Sturm mit sich zur Flucht bewegen sollte – war gewiss ein Traum – doch ihre klagenden Töne, ihr liebreizender Anblick überzeugten mich, dass es keine Vision war. Sie sah sich ängstlich um, als fürchte sie, belauscht zu werden, und flüsterte: »Ich habe entdeckt, dass morgen – das heißt, heute, denn Mitternacht ist bereits vorüber – noch vor dem Morgengrauen Ausländer, von meiner Mutter angeheuerte Österreicher, hier sein werden, um mich nach Deutschland zu bringen, ins Gefängnis, in eine Ehe – überallhin, nur fort von dir und meinem Bruder – bring mich fort, denn sie werden bald hier sein!«

      Ich war erschrocken von ihrer Heftigkeit und glaubte an irgendeinen Fehler in ihrer unzusammenhängenden Geschichte; doch ich zögerte nicht länger, ihr zu gehorchen. Sie war allein vom Schloss gekommen, drei lange Meilen, um Mitternacht, durch den schweren Schnee; wir mussten Englefield Green, eineinhalb Meilen weiter, erreichen, ehe wir eine Kutsche bekommen konnten. Sie sagte mir, dass sie ihre Kraft und ihren Mut bis zu ihrer Ankunft in meiner Hütte aufrechterhalten hatte und dann beide versagten. Jetzt konnte sie kaum mehr gehen. Obgleich ich sie stützte, so gut ich konnte, blieb sie zurück; und nach einer halben Meile Entfernung, nach vielen Unterbrechungen, Zittern und halben Ohnmachten, rutschte sie von meinem stützenden Arm in den Schnee und beteuerte unter einem Strom von Tränen, dass sie getragen werden müsse, da sie nicht weitergehen könne. Ich hob sie in meine Arme, ihre zarte Gestalt ruhte an meiner Brust. – Ich fühlte keine Last, abgesehen von der inneren Belastung der gegensätzlichen und widerstreitenden Gefühle. Reines Entzücken überkam mich jetzt. Wiederum berührten mich ihre kalten Glieder, so dass es mich wie ein Blitz durchfuhr; und ich schauderte vor Mitgefühl mit ihrer Pein und ihrer Angst. Ihr Kopf lag auf meiner Schulter, ihr Atem hauchte in meine Haare, ihr Herz schlug nahe dem meinen, die Gefühle ließen mich erzittern, blendeten mich, peinigten mich – bis ein gedämpftes Stöhnen, das ihren Lippen entkam, das Klappern ihrer Zähne, das sie vergeblich zu unterdrücken versuchte, und alle Zeichen des Leidens, die sie zeigte, mich an die Notwendigkeit von Eile und Hilfe erinnerten. Endlich sagte ich zu ihr: »Da ist Englefield Green, dort das Wirtshaus. Aber wenn man dich in einem solch merkwürdigen Zustand sieht, liebe Idris, könnten deine Feinde dadurch zu früh von deiner Flucht erfahren. Wäre es nicht besser, wenn ich allein die Kutsche besorgte? Ich werde dich inzwischen in Sicherheit bringen und sofort zu dir zurückkehren.«

      Sie antwortete, dass ich recht habe und mit ihr verfahren könne, wie es mir gefiele. Ich bemerkte die nur angelehnte Tür eines kleinen Nebengebäudes. Ich stieß sie auf; formte aus etwas verstreut umherliegendem Heu ein Bett für sie, legte ihre erschöpfte Gestalt darauf und bedeckte sie mit meinem Umhang. Ich fürchtete, sie zu verlassen, sie sah so schwach und blass aus – aber plötzlich erwachte sie wieder zum Bewusstsein und damit zum Zustand der Angst, und wieder flehte sie mich an, nicht zu zögern. Die Leute vom Gasthaus zu wecken und einen Wagen und Pferde zu erhalten, war, obwohl ich sie selbst anspannte, die Arbeit von vielen Minuten; Minuten, deren jede ein ganzes Zeitalter zu sein schien. Ich ließ den Wagen ein wenig vorrücken, wartete, bis die Leute vom Gasthaus sich zurückgezogen hatten, und ließ dann den Postjungen die Kutsche zu der Stelle lenken, wo Idris, ungeduldig und jetzt etwas erholt, auf mich wartete. Ich hob sie in die Kutsche und versicherte ihr, dass wir mit unseren vier Pferden vor fünf Uhr in London ankommen sollten, zu der Stunde, in der sie gesucht und vermisst werden würde. Ich bat sie, sich zu beruhigen; ein dankbarer Tränenschauer erleichterte sie, und nach und nach erzählte sie ihre Geschichte von Angst und Gefahr.

      Sofort nach Adrians Abreise hatte ihre Mutter sie in einem peinlichen Verhör um ihre Verbundenheit mit mir befragt. Jedes Argument, jede Drohung, jeder zornige Spott war vergebens. Sie schien zu glauben, dass sie durch mich Raymond verloren hätte; dass ich der böse Einfluss in ihrem Leben sei; ich wurde sogar beschuldigt, die übergroße und grundlegende Abneigung Adrians vor allen Aussichten auf Erhöhung und Verbesserung zu vergrößern und zu bestätigen; und nun sollte dieser elende Bergbewohner auch noch ihre Tochter stehlen. Niemals, so erzählte Idris, kehrte die zornige Dame zu Sanftmut und Überredung zurück; wenn sie es getan hätte, wäre es außerordentlich peinvoll gewesen zu widerstehen. So wie es war, wurde die großzügige Natur des lieben Mädchens dazu erweckt, mich zu verteidigen und sich mit mir zu verbünden. Ihre Mutter endete mit einem halb verächtlichen und halb triumphierenden Blick, der für einen Augenblick Idris’ Verdacht erweckte. Als sie sich für die Nacht trennten, sagte die Gräfin: »Ich vertraue darauf, dass sich morgen dein Ton ändern wird. Fasse dich, ich habe dich erregt, geh zu Bett, und ich werde dir eine Medizin schicken, die ich immer nehme, wenn ich unruhig bin – sie wird dir eine ruhige Nacht schenken.«

      Sobald sie mit beklommenen Gedanken ihre Wange auf ihr Kissen gelegt hatte, brachte ihr die Dienerin ihrer Mutter einen Trank. Ein Verdacht durchfuhr sie bei dieser neuen Entwicklung, der erschreckend genug war, um sie zu überzeugen, den Trank nicht einzunehmen; doch die Abneigung gegen Streitigkeiten und der Wunsch, herauszufinden, ob es einen berechtigten Grund für ihre Vermutungen gab, brachten sie dazu, sagte sie, beinahe instinktiv und im Gegensatz zu ihrer üblichen Offenheit vorzugeben, die Medizin zu schlucken. Unruhig, wie sie es durch die Gewalt ihrer Mutter gewesen war, und jetzt aufgrund neuer Ängste, lag sie bei jedem Laut zusammenfahrend und unfähig zu schlafen da. Bald öffnete sich leise ihre Tür, und als sie hochfuhr, hörte sie ein Flüstern: »Sie schläft noch nicht«, und die Tür schloss sich wieder. Mit pochendem Herzen erwartete sie einen weiteren Besuch, und als nach einer Weile wieder jemand in ihr Zimmer eindrang, gab sie, nachdem sie sich zuerst versichert hatte, dass die Eindringlinge ihre Mutter und eine Dienerin waren, vor, zu schlafen. Ein Schritt näherte sich ihrem Bett, sie wagte nicht, sich zu bewegen, sie bemühte sich, ihr Herzklopfen zu beruhigen, das heftiger wurde, als sie ihre Mutter murmelnd sagen hörte: »Du kleiner Einfaltspinsel, merkst du nicht, dass dein Spiel schon aus ist.«

      Für einen Moment dachte das arme Mädchen, dass ihre Mutter glaubte, sie hätte Gift getrunken: Sie war im Begriff, aufzuspringen; als die Gräfin, die schon in einiger Entfernung vom Bett war, mit leiser Stimme zu ihrer Begleiterin sprach. Und wieder lauschte Idris: »Eile dich«, sagte sie, »es ist keine Zeit zu verlieren – es ist längst nach elf, sie werden um fünf hier sein, nimm nur die Kleider, die für ihre Reise nötig sind, und ihre Schmuckschatulle.« Die Dienerin gehorchte; auf beiden Seiten wurden wenige Worte gesprochen, diese jedoch wurden vom ausersehenen Opfer begierig aufgefangen. Sie hörte, wie der Name ihrer eigenen Zofe erwähnt wurde. – »Nein, nein«, antwortete ihre Mutter, »sie geht nicht mit uns; Lady Idris muss England und alles, was dazugehört, vergessen.« Und wieder hörte sie: »Sie wird morgen erst spät aufwachen, und dann werden wir auf See sein.« »Alles ist bereit«, gab die Frau schließlich bekannt. Die Gräfin trat wieder ans Bett ihrer Tochter: »Zumindest in Österreich«, sagte sie, »wirst du gehorchen. In Österreich, wo Gehorsam durchgesetzt werden kann und keine andere Wahl bleibt als die zwischen einem ehrenvollen Gefängnis und einer passenden Ehe.«

      Beide zogen sich dann zurück; obgleich die Gräfin, als sie ging, sagte »Leise, alle schlafen zwar, doch wurden nicht alle zum Schlafen gebracht wie sie. Ich möchte keinen Verdacht wecken, sonst könnte sie zum Widerstand erregt werden und vielleicht flüchten. Komm mit mir in mein Zimmer, wir werden dort bis zur vereinbarten Stunde verweilen.« Sie gingen. Idris, in grenzenlosem Entsetzen, doch durch ihre übermäßige Angst belebt und gestärkt, zog sich


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