Wladimir Kramnik. Carsten Hensel

Wladimir Kramnik - Carsten Hensel


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zwischen Karpow und Kasparow, die sich zwischen 1984 und 1990 fünf große Duelle lieferten.

      

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      1991 war Kramnik erst 16 Jahre alt, und schon zu diesem für einen Schachprofi extrem frühen Zeitpunkt stand er kurz vor seinem internationalen Durchbruch. Es war das Jahr, in dem ich den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow bei der CEBIT in Hannover, seinen Vorgänger Anatoli Karpow und die drei Polgár-Schwestern an der Seite ihres rührigen Vaters erstmals traf.

      Im gleichen Jahr erlebte ich mein erstes wirklich großes Schachereignis. In Brüssel wurden die Kandidatenwettkämpfe im Radisson SAS vom SWIFT-Manager Bessel Kok organisiert. Vor Ort sahen wir die unsterbliche Partie des aus Russland stammenden Weltklassespielers Artur Jussupow gegen Wassili Iwantschuk (Ukraine). Es war die Zeit, in der ich Dr. Helmut Pfleger, Großmeister und bekannter TVModerator, und viele andere Größen der Schachszene traf.

      Während wir in Brüssel mit der Organisation einer Pressekonferenz zu tun hatten, fand gleichzeitig an Kramniks Wohnsitz in Moskau ein Putsch gegen Michail Gorbatschow statt. Im August 1991 zeigten Panzer Präsenz auf dem Roten Platz, und das Weiße Haus wurde beschossen. Der Putsch einiger machtvoller Funktionäre der Kommunistischen Partei scheiterte nach wenigen Tagen, aber er läutete das endgültige Ende der Sowjetunion ein. Am 25. Dezember 1991 trat Gorbatschow zurück, und das Ende der UdSSR wurde beschlossen. Die Rechtsnachfolge trat die Russische Föderation an, die von Boris Jelzin angeführt wurde.

      Um ein Gefühl für die Situation Anfang der 1990er Jahre in Russland zu vermitteln, ist die Geschichte des schon erwähnten Großmeisters Artur Jussupow ein zwar extremes, aber durchaus treffendes Beispiel. Der Eiserne Vorhang war gefallen. Wir im Westen waren voller Euphorie, den Kalten Krieg überwunden zu haben. Die Zeche aber zahlten die Menschen im Osten, ganz besonders in Russland. Den Verfall des Gewaltmonopols des russischen Staates konnte man besonders in der Hauptstadt tagtäglich erleben. Folgerichtig galt dort nur noch das Recht des Stärkeren. Ein staatlicher Schutz vor kriminellen Machenschaften war praktisch nicht mehr vorhanden.

      Jeder war auf sich allein gestellt und musste zusehen, wie er klarkam. In dieser Zeit reiste ich mehrfach nach Moskau. Ohne die Hilfe der Einheimischen war dies ein hochgradig gefährliches Unterfangen. Um meine Sicherheit bemühte sich gewissenhaft Alexander Bach, ehemaliger Direktor des russischen Schachverbandes, denn für Menschen aus dem Westen, mit US-Dollar oder Deutscher Mark in der Tasche, war die Situation schlicht und einfach lebensgefährlich. Zweimal sind während meiner Aufenthalte Geschäftsleute vor den Hotels Belgrad und Kosmos durch Überfälle ums Leben gekommen.

      In jener Zeit klingelte es an der Wohnungstür von Artur Jussupow. Er war gerade von einem Münchner Turnier mit seinem Preisgeld zurückgekehrt. Als er öffnete, standen junge Männer davor und zeigten Polizeiausweise. Dann zogen sie Messer und Pistole. An Artur vorbei stürmten sie in die Wohnung. Ein Bauchschuss traf ihn, er wurde gefesselt. Sein Preisgeld, von dem er 50 Prozent an das Sportkomitee abzuliefern hatte, lag noch auf dem Küchentisch. Sie nahmen es und dazu mehrere elektronische Geräte. Artur war lebensgefährlich verletzt und wurde einfach liegen gelassen. Die Täter wurden nie ermittelt. Zum Glück überlebte dieser große Spieler und Mensch. Nach seiner Genesung emigrierte er nach Deutschland, wo er sich sicher fühlen konnte. Er war nicht der Einzige, der auswanderte. Allein in der deutschen Schachbundesliga spielten in der Saison 1991/92 mehr als 20 Großmeister aus der ehemaligen Sowjetunion.

       LICEW, ALEXANDER – KRAMNIK, WLADIMIR

      Tuapse 1985, Bedenkzeit: klassisch

      1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sc6 5. Le2 Sf6 6. Sc3 d6 7. Le3 Le7 8. 0-0 0-0 9. Dd2 a6 10. f4 Dc7 11. a4 Td8 12. Kh1 Sa5 13. g4 Sc4 14. Dc1 Sxe3 15. Dxe3 Dc5 16. g5 Se8 17. Dd2 Db4 18. Sb3 d5 19. e5 d4 20. Se4 Dxd2 21. Sbxd2 Ld7 22. Ld3 Lc6 23. Kg1 Sc7 24. Sb3 b6 25. Tf3 Tac8 26. Th3 Sd5 27. Th4 Sb4 28. Sbd2 Sxd3 29. cxd3 Ld5 30. Tb1 Tc2 31. b3 Lb4 32. Sc4 Lxe4 33. dxe4 d3 34. Kf1 Td4 35. Th3 d2 36. Td1 Txe4 37. Se3 Tc3 38. Ke2 Lc5 0:1

       Wladimir Kramnik:

       »Als ich diese Partie spielte, war ich neun Jahre alt. Sie wurde von meinem Gegner etwas naiv angelegt, aber man sollte natürlich berücksichtigen, dass wir noch Kinder waren. Ich finde, dass ich für dieses Alter schon ganz gut gespielt habe: eine logische Partieführung mit Kontrolle des Zentrums. Weiß hat natürlich nicht perfekt agiert, aber mein Spiel war im positionellen Sinne schon ziemlich akkurat.

       Das hier ist eine erste Präsentation meines Schachstils. Er ist klassisch. Der Stil eines Spielers ändert sich nie wirklich. Tatsächlich ist es so, dass du mehr oder weniger dein ganzes Leben so spielst, wie du es mit zehn Jahren tust. Die Partien, die ich in diesem Kapitel zeige, präsentieren schon meine ganz spezifische Marke: einen aktiven, positionellen Stil. Ich spiele klassisch und doch ziemlich aktiv. Ich verteidige weniger, attackiere aber mit einem soliden positionellen Fundament.«

       ODEEV, HANDSZAR – KRAMNIK, WLADIMIR

      U18-Meisterschaft UdSSR, Ukraine 1988, Bedenkzeit: klassisch

      1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. b3 Sc6 4. Lb5 Sf6 5. e5 Sd5 6. 0-0 Le7 7. c4 Sc7 8. Lxc6 bxc6 9. d4 cxd4 10. Dxd4 c5 11. Dg4 0-0 12. Sc3 f6 13. Lf4 Lb7 14. Dg3 Se8 15. Se1 fxe5 16. Lxe5 d6 17. Lf4 Lf6 18. Tc1 Lh4 19. Dh3 Txf4 20. g3 Td4 21. Dxe6+ Kh8 22. Sc2 Td3 23. Se1 Td4 24. Sc2 Td2 25. gxh4 Dxh4 26. De3 Sf6 27. Dg3 Dxg3+ 28. hxg3 Se4 29. Sb1 Te2 30. Tfe1 Sxg3 31. Sc3 Txe1+ 32. Txe1 Sf5 33. Se3 Sd4 34. Kf1 Te8 35. Sb5 Sxb5 36. cxb5 Lf3 37. Sc4 Lg2+ 38. Kxg2 Txe1 39. Sxd6 Ta1 40. a4 Ta3 41. Sc8 Txb3 42. Sxa7 c4 43. Kf1 c3 44. Ke2 h5 0:1

       Wladimir Kramnik:

       »Das war mein erster Auftritt im Rahmen eines Turniers auf nationaler Ebene und somit das erste große Jugendturnier in meinem Leben. Es war die sowjetische U18-Meisterschaft und damit das stärkste Jugendturnier der Sowjetunion und zu jener Zeit gleichzeitig das beste der Welt. Alle aufstrebenden Stars waren am Start: Gata Kamsky, Alexei Schirow oder Peter Swidler, um nur einige zu nennen. Insgesamt nahmen 60 Spieler teil, und sie waren im Durchschnitt vier bis fünf Jahre älter als ich. Denn ich war erst zwölf und konnte am Ende immerhin einen hervorragenden fünften Platz belegen.

       Es war mein erster großer Erfolg. Danach wusste in Russland jeder, dass es da einen talentierten Spieler aus der tiefsten russischen Provinz gab. Mein 16-jähriger Gegner Handszar Odeev war selbst einer der besten Junioren zu dieser Zeit. Die Partie ist ebenfalls ein gutes Beispiel für meinen Stil: aktiv, positionell und für das Alter ziemlich präzise gespielt. Ich hatte das Läuferpaar und konnte ihn überspielen. Im Endspiel zeigte ich schon eine ganz ordentliche Technik.«

       KRAMNIK, WLADIMIR – GERMANAVICHUS, SERGEI

      U18-Meisterschaft UdSSR, Pinsk/Weißrussland 1989, Bedenkzeit: klassisch

      1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 a6 6. f4 e5 7. Sf3 Sbd7 8. a4 Le7 9. Ld3 0-0 10. 0-0 exf4 11. Kh1 Sc5 12. Lxf4 Ld7 13. De2 Te8 14. a5 Tc8 15. Le3 Lf8 16. Ld4 Lg4 17. De3 Lh5 18. Lxf6 Dxf6 19. Sd5 Dd8 20. b4 Sd7 21. c4 Lg6 22. Tae1 Le7 23. Da7 Tb8 24. Lc2 Sf6 25. La4 Tf8 26. Dd4 Sxd5 27. Dxd5 Lf6 28. e5 dxe5 29. Sxe5 Lxe5 30. Txe5 h6 31. Ld7 Dc7 32. c5 Kh8 33. Te7 Tbd8 34. Dd6 Dxd6 35. cxd6 f5 36. Td1 f4 37. Lg4 Lf5 38. Lf3 Tf6 39. d7 Kh7 40. Lxb7 h5 41. b5 axb5 42. a6 Tb6 43. Te8 Txd7 44. Txd7 Lxd7 45. Le4+ g6 46. Te7+ Kh6 47. a7 Lc6 48. Te6 1:0

       Wladimir Kramnik:

       »Die Partie spielte ich ebenfalls während der sowjetischen U18-Meisterschaft, nur ein Jahr später. Ich würde sie auch heute nicht viel anders spielen und wäre glücklich damit: im gleichen positionell aktiven Stil. Man kann erkennen, dass sich dieser innerhalb eines Jahres wiederum erheblich verbessert hat, und in dieser Partie stand am Ende ein schön herausgespielter Sieg.«

       VAN WELY, LOEK – KRAMNIK, WLADIMIR

      U21-Europameisterschaft, Arnheim/Niederlande 29.12.1990, Bedenkzeit: klassisch

      1. d4 e6 2. c4 f5 3. g3 Sf6 4. Lg2 c6 5. Sf3 d5 6. 0-0 Ld6 7. b3 De7 8. Lb2 b6 9. Se5 Lb7 10. Sd2 0-0


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