Glückliches Ende. Isaac Rosa
näheren Zukunft zu reden, in diesen Tagen brachte ich ein kleines Exposé zustande und nicht viel mehr, das Einzige, was ich letztlich geschrieben habe, war diese Reportage, von der ich nicht weiß, ob du sie gelesen hast, da du das, was ich schreibe, ja schon länger nicht mehr liest.
Nein, ich habe sie nicht gelesen, und du hast mir auch nicht davon erzählt, wird schon seinen Grund gehabt haben. Aber ich habe um diese Zeit einen anderen Text von dir gelesen, den ich jetzt besser verstehe. Einen, auf den ich stieß, ohne zu wissen, dass er von dir war, mich hat einfach die Titelzeile angesprochen: »Wirf die Briefe deiner Ex nicht weg!«, auf dieser Reise-Website, wo sie dich für einen Globetrotter halten und dir noch immer Reportagen über Orte bezahlen, wohin du nie einen Fuß gesetzt hast. Diesmal ging es um das Museum der Zerbrochenen Beziehungen in Los Angeles, über das du mit einem Enthusiasmus schriebst, den ich auffällig fand, wenn man bedenkt, dass es sich um ein kleines, unbekanntes Museum handelt, von zweifelhaftem künstlerischen Wert. In deiner Darstellung erinnerte es mich an die Kapelle, die wir vor Jahren in Portugal besucht hatten, wo von Krankheiten Geheilte der dortigen Jungfrau für ihren wundersamen Beistand dankten, indem sie die Wände mit Tausenden von Votivgaben aus Wachs dekorierten, eine scheußlicher als die andere: Hände, Füße, Köpfe, Beine, Arme, Ohren, Augen, Knochen, Gebisse, innere Organe, dazu Haarmähnen, Fläschchen mit Körperflüssigkeiten, Kleidungsstücke, Krücken, Fotos, Heiligenbildchen und handgeschriebene Briefe, das alles so dicht an dicht, dass man nichts mehr von den Mauern sah. Als ich über das von dir bewunderte Museum in Kalifornien las, verspürte ich einen ähnlichen Widerwillen gegen diese Sammlung von einzelnen Eheringen, Dessous, Haarsträhnen, Brautkleidern, Kuscheltieren, verlorenen Haustürschlüsseln, Liebesbriefen, Figürchen von Hochzeitstorten, Reiseaufzeichnungen, Flugtickets, billigem Nippes, dessen emotionale Bedeutung nur schätzt, wer ihn verschenkt hat, sogar zwei Silikonimplantate waren dabei, die sich eine enttäuschte Braut hatte herausoperieren lassen, was dich zu dem billigen Witz inspirierte: Das Herz hat sie wohl doch noch gebraucht. Ich konnte die Leidenschaft nicht begreifen, mit der du über die Säle schriebst, die du angeblich innig gerührt durchwandert hattest, vertieft in die Geschichten, die jeder Liebesreliquie beigefügt waren. Nach diesem emotional aufwühlenden Museumsbesuch, hieß es weiter, seist du dann recht melancholisch über den Hollywood Boulevard spaziert. Dem folgten ein paar Gedanken über den Schmerz am Ende einer Liebe, ziemlich trivial, wenn du gestattest. Abschließend fragtest du den Leser, was er denn dem Museum zur Verfügung stellen würde, um Zeugnis von seinem gebrochenen Herzen zu geben, auf welchen Gegenstand er all sein Glück und all seine Trauer über die verlorene Liebe konzentrieren würde. Tut mir leid, aber ich konnte mit der Frage nicht viel anfangen, meine Augen wanderten vom Bildschirm zum Wohnzimmer, ohne etwas zu finden, das ich für würdig befunden hätte, in einem Museum unser Zusammenleben zu repräsentieren. Ganz schön naiv von mir, ich kam keine Sekunde lang auf die Idee, den Text als Ausdruck davon zu interpretieren, dass dir etwas auf der Seele brannte. Wenn er eine Warnung war, habe ich sie nicht wahrgenommen.
Von dem Museum hat mir Inés erzählt, am ersten Nachmittag in ihrer Wohnung, nur zehn Tage nachdem der Zufall uns wieder zusammengebracht hatte, falls man den Algorithmus eines sozialen Netzwerks, der dir neue Freunde und Kontakte vorschlägt, überhaupt als Zufall bezeichnen kann. Inés war gerade von einem zweijährigen Aufbaustudium in Los Angeles wiedergekommen, und sie erzählte mir von diesem Museum der Zerbrochenen Beziehungen, nachdem ich ihr gestanden hatte, dass es zwischen dir und mir nicht mehr so gut lief, dass wir uns in der Nachspielzeit befanden. Oder eigentlich in der garbage time, um einen Begriff aus dem Basketball zu verwenden. Nach zehn Tagen Online-Verführung waren wir so weit und verabredeten uns in ihrem Apartment, um offene Rechnungen zu begleichen, zwischen ihr und mir, und ja, auch zwischen dir und mir. Apartment nannte sie es, obwohl es größer ist als unsere alte Wohnung, über neunzig Quadratmeter auf einer einzigen, offen angelegten Fläche, mit einer eingezogenen Ebene zum Schlafen, freigelegten Backsteinwänden, einer breiten Fensterfront, IKEA-Möbeln, aber den hochwertigen, einer guten Stereoanlage und zahlreichen Ausstattungsdetails, die nicht zu der Kaufkraft einer Stipendiatin in den Dreißigern passten, die in einem Forschungsprojekt arbeitet, weshalb sie gleich, als ich reinkam, ungefragt erklärte: Ich weiß, was du denkst, wie kann ich mir so was leisten, aber da ist ein Trick dabei, die Wohnung gehört meinen Eltern. Sie zeigte mir die Terrasse, das Apartment stellte sich nämlich als Penthouse heraus, und ans Geländer gelehnt betrachtete ich die umliegenden Gebäude, während sie mir erzählte, dass ihre Eltern, als die Wirtschaftskrise begann und alle Welt verkaufen wollte, sich ganz gut arrangiert hätten und später zu Stammgästen auf Versteigerungen geworden seien, wo Immobilien verstorbener Eigentümer ohne Erben verkauft wurden, wodurch sie sich eine hübsche Sammlung von Wohnungen zugelegt hätten, die sie nun vermieteten, außer der hier, die sie bekommen hätte. Auf einer Dachterrasse auf der anderen Straßenseite lag ein Mann in meinem Alter auf einem Liegestuhl, er las, barfuß, neben sich einen Drink mit Eiswürfeln, einer dieser Leute, die an einem normalen Arbeitstag abends um sechs auf der Terrasse ihrer Dachwohnung lesen und einen Gin Tonic trinken können. Auch auf Inés’ Terrasse stand ein Liegestuhl. Ich setzte mich darauf und zog meine Schuhe aus. Zurückgelehnt, die Augen wegen der Sonne halb geschlossen, fühlte ich mich in der sanften Oktoberwärme auf einmal müde. Sehr müde. Unendlich müde. Eine jahrhundertealte Müdigkeit. Müde von dir und von mir und von uns, müde von dieser langen Überfahrt, bei der mir inzwischen egal war, ob sie in einem Schiffbruch endete, ganz gleich, wie nah das verfluchte Ufer sein mochte. Du hast diese Müdigkeit auch oft gespürt, das weiß ich, und du weißt, dass es in diesen schwachen Momenten nur eines kleinen Anstoßes bedarf, damit alles zusammenbricht. Die Liane, die verdammte Liane, mit der Inés winkte, als sie sich über mich beugte, meinen Kopf zwischen ihre Hände nahm und mich auf die Stirn küsste. Aufs Ohr. Auf das andere Ohr. Auf ein Augenlid. Die Nase. Das Kinn. Was für eine Müdigkeit, Ángela, was für eine schreckliche und was für eine köstliche Müdigkeit in diesem Augenblick, was für eine Lust zu weinen, zu schreien, mich von der Terrasse zu stürzen, mich an Inés zu klammern, nach Hause zurückzukehren und dich dort anzutreffen, alles auf einmal, und nichts schien stark genug zu sein, um mich von dieser Müdigkeit zu kurieren. Ich zog Inés auf den Liegestuhl, und als wir uns küssten, spürte ich, wie die wenige Energie, die mir noch geblieben war, um mit dir weiterzukämpfen auf dem Boot, aus meinem Mund entwich und mein Körper gleichzeitig von einer neuen Energie erfasst wurde. Ohne meinen Mund von Inés’ Mund zu lösen, blinzelte ich mit einem Auge und sah den Nachbarn auf seiner Dachterrasse, und der hätte in diesem Augenblick ohne Weiteres sein Glas erheben und mir mit einem Lächeln zuzwinkern können.
Spazieren gegangen seid ihr, hast du gesagt. Heimliche Spaziergänge, so hast du es genannt. Die Vorstellung, wie du es in ihrer Neureichenwohnung mit ihr treibst, tut mir nicht annähernd so weh, wie zu erfahren, dass du mit ihr spazieren warst, spätnachmittags, wenn du unter irgendeinem Vorwand aus dem Haus gingst, wahrscheinlich habt ihr euch dann am Stadtrand getroffen, geschützt vor den Blicken Bekannter. In einem Park, einem Neubauviertel mit unberührten Gehsteigen und mickerigen Bäumen, auf einem schmalen Weg, der sich am Rand der Autobahn gehalten hat, vielleicht auf einem Friedhof. Auf meinem Heimweg von der Arbeit, im Bus, sehe ich sie immer durchs Fenster, Liebespaare, die etwas tun, das sich fast niemand mehr leisten kann: spazieren gehen. Ohne Ziel, ohne Eile, mit aller Zeit der Welt. Gemächlich, ganz gemächlich gehen, eine größere Auflehnung kann ich mir nicht vorstellen. Hand in Hand, einen Arm um die Taille oder die Schultern gelegt, die Schritte im selben Rhythmus. Sich an jeder Ampel küssen. Stehen bleiben, um an einer Fassade die Giebel zu bestaunen, eine Industrieruine. Das endlose Flanieren der Verliebten, für die Gehen eine andere Form ist, sich kennenzulernen, aber auch, sich den Raum neu anzueignen und daraus einen gemeinsamen zu machen, und dabei hinterlassen sie den glitzernden Speichel des Begehrens. Kommt dir das bekannt vor, dieses Wortgeklingel? Die Liebenden, die Parks und Brachen durchstreifen, auf den Wegen des Begehrens, desire paths, lignes de désir, das Begehren bricht sich stets Bahn und bewegt sich am liebsten auf einer Geraden. Hast du das mit den Wegen des Begehrens auch Inés erklärt? Unser, dein und mein letzter Spaziergang war vor dem Sommer gewesen, an unserem Hochzeitstag. Weißt du noch? Nachdem wir ihn jahrelang nicht gefeiert, sogar das Datum vergessen hatten, ließen wir diesmal die Mädchen bei meiner Mutter und gingen für ein paar Stunden aus. Doch anstelle eines Restaurantbesuchs schlug ich dir vor, spazieren zu gehen, nichts weiter, ein Spaziergang, wie wir seit Jahren keinen gemacht hatten. Du wirktest nicht sonderlich begeistert, warst