Glückliches Ende. Isaac Rosa

Glückliches Ende - Isaac Rosa


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halbes, mich interessiert nicht, warum sich die Leute trennen, ich will nur wissen, warum wir, warum du und ich, warum, warum. Warum. Am Ende lagen wir schweigend da, du stelltest dich schlafend, ich wälzte mich hin und her und atmete heftig, du solltest merken, dass ich nicht schlafen konnte, und dann hakte ich nach: Und was ist mit dem Haus? Über das Haus reden wir schon noch, sagtest du leise. Wir haben so große Hoffnungen auf das Haus gesetzt. Nein, du hast große Hoffnungen darauf gesetzt. Nach dem ganzen anstrengenden Weg fühlt es sich jetzt an, als würden wir am Ufer ertrinken, erinnerst du dich an diese armen Leute am Strand?, das sind wir beide, Antonio, wir ersaufen an dem Scheißufer, wo man fast schon stehen kann, wir gehen unter wie Steine. Da hast du mich an deine Brust gezogen wie auf ein Kissen und mir den Kopf gestreichelt wie einer Hündin, und so sind wir dann doch eingeschlafen. Auch tagsüber drückten wir einander die Hand, wenn wir uns in diesen zwei Wochen in der Wohnung begegneten, trösteten uns gegenseitig, du nahmst mich in den Arm, wenn du mich mit geröteten Augen ertapptest. Ich dachte wirklich, die Entscheidung sei umkehrbar, und die Uhrzeiger vom Ende der Welt ließen sich zurückdrehen, bevor die Stunde ganz erreicht wäre. Deshalb habe ich alles versucht in diesen Tagen und Nächten, die ich für eine Zeit der Wiederherstellung hielt und jetzt als erniedrigend sehe. Tagsüber konzentrierte ich mich darauf, aufmerksam und liebevoll zu sein, aber ohne dir auf die Nerven zu gehen. Ich schrieb dir laufend Nachrichten, um in Verbindung zu bleiben. Ich bemühte mich sklavisch, alles zu vermeiden, wovon ich wusste, dass es dich störte. Ich dachte mir Unternehmungen aus, die wir zu viert machen mussten, bezog die Mädchen in mein Projekt zur Rettung der Familie ein, stiftete sie an, morgens zu uns ins Bett zu kommen. Abends, wenn ich sie schlafen gelegt hatte, holte ich dich dazu, und wir betrachteten sie von der Zimmertür aus, gewiss ein unwiderstehlicher Anblick für einen Vater, der sich mit Scheidungsabsichten trägt. Umso mehr für dich, du hattest ja immer davon geredet, wie sehr es dich berührte, deine schlafenden Töchter zuzudecken, und über die Jahre sehr bedauert, dass das in so vielen Nächten bei Germán nicht ging. Ein unwiderstehlicher Anblick, es sei denn, du hättest schon einen Ausstiegsplan. Aber sooft ich dich fragte, ob da eine andere wäre, kam von dir ein Nein. Wir setzten uns zusammen auf das Wackelsofa, und ich legte Musik auf, wenn ich daran zurückdenke, komme ich mir wie ein Trottel vor, aber wir haben wirklich da gesessen, Händchen haltend die alten 69 Love Songs gehört und leise mitgesungen: »The book of love is long and boring / And written very long ago.« Was war ich bescheuert in diesen zwei Wochen, und du hast es mitgemacht, dich auf die nostalgischen Gespräche eingelassen, in denen wir die Greatest Hits unserer gemeinsamen Geschichte Revue passieren ließen, hast dich an meiner Hand mitziehen lassen durch die Ruinen des Themenparks unserer Liebe. Dir angehört, wie ich um Verzeihung bat, denn in diesen Nächten bat ich dich ständig um Verzeihung, am Boden, herabgewürdigt, voller Schuldgefühle wegen der Trennung. Aber du bliebst stumm gegenüber meinem monotonen Verzeih mir, verzeih mir, verzeih mir. Du hast mich auch nicht aufgehalten, als ich eines Nachts alles auf eine Karte setzte: Immer noch weinend, drückte ich mich an dich, küsste dein Gesicht, den Hals, das Ohr, griff dir ins Haar und streichelte unter dem T-Shirt deine Brust. Dann schob ich mich auf dich, um deine schnelle Erektion festzustellen, holte deinen Schwanz aus der Pyjamahose, du hast schwach widersprochen: Das ist keine gute Idee, Ángela, nein, besser nicht. Und ich hatte kein bisschen Lust zu vögeln. Am Ende lagen wir Arm in Arm da, und obwohl du weiterhin sagtest, wir würden einen Fehler machen, kroch ich noch etwas weiter durch den Staub: Was ist schon Schlechtes dabei, wir könnten das doch ein paar Jahre so beibehalten, zusammen wohnen, dafür sorgen, dass unsere Töchter glücklich sind, vögeln, wenn uns danach ist, wir lieben uns doch immer noch mehr als die meisten Paare in unserem Bekanntenkreis, wenn wir uns jetzt trennen, verlieren wir alle, du und ich und vor allem die Mädchen. Von da waren es nur noch ein paar Schritte bis zum nervösen Schluchzen und qualvollen Betteln, Verzweiflung wie aus einem Groschenroman, in einiger Zeit werde ich eher lachend als leidend daran zurückdenken: Bitte geh nicht fort, gib mir noch eine Chance, mehr will ich nicht, nur eine Chance, ein bisschen Zeit, tu’s für die Mädchen, warte, bis sie älter sind, warte zwei Jahre, ein Jahr, ein halbes. Mit dieser jämmerlichen Leier und unterstützt durch je ein Bromazepam schliefen wir endlich ein: Dir fiel es leichter, bei mir war es ein unruhiger Dämmerschlaf, der das Zimmer verformte, unbestimmte Geräusche anzog, die Mädchen am Fußende des Bettes auftauchen ließ, wie wenn sie nachts aus einem Albtraum hochschreckten und zu mir ins Bett kamen. Nur standen sie jetzt gar nicht da, das waren Gespenster-Mädchen, Ausgeburten der Schlaflosigkeit und Erschöpfung: Ich redete mit ihnen, breitete die Arme aus, um ihnen Geborgenheit zu geben, doch wenn ich dann die Augen aufschlug, waren sie nicht da. Ich stand auf, um mich zu vergewissern, dass sie noch in ihren Betten lagen, deckte sie zu, legte mich wieder hin, nur um wenige Minuten später erneut aufzustehen und meine übertriebene Darstellung der gebrochenen Frau fortzusetzen. Denn mir ging es zwar schlecht, ja, sehr schlecht, vor allem aber hatte ich das Bedürfnis, dir meinen Schmerz vor Augen zu führen, der sollte nicht an dir vorübergehen. Also stand ich auf, ließ die Matratze quietschen, schlurfte in Hausschuhen herum, stieß auf dem Weg durchs Zimmer gegen einen Stuhl, schaltete das Licht im Flur an. Dann ließ ich mich aufs Sofa fallen, hüllte mich in eine Decke und setzte die kummervolle Miene auf, mit der du mich überraschen solltest, wenn du nach langen Minuten im Bett, wo du dich schlafend stelltest, endlich aufstehen und nach mir schauen würdest. Wie melodramatisch das alles. Der Gedanke, dass ich es für die Mädchen tat, tröstet mich. Aber ich verzeihe dir nicht, dass du zugesehen hast, wie ich vor dir im Staub kroch, dass du nicht gesagt hast: Lass gut sein, Ángela, ich habe mich in eine andere verliebt, ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein. Stattdessen bist du immer wieder entnervt aufgestanden, ins Wohnzimmer gekommen und hast mich an der Hand durch den Flur geführt. Und ich habe deine Umarmung angenommen, wenn ich dann dalag und wieder in einen überreizten Halbschlaf tauchte, in die Träume, die ich hinterher nie zu erzählen weiß, oder in obsessive Gedanken die ganze aufgewühlte Nacht hindurch. Ich dachte zum Beispiel, und daran kannst du meinen Gemütszustand in diesen zwei Wochen ablesen und wie sehr eine drohende Trennung uns verstört, ich dachte, Ana oder Sofía würden irgendwann nachts aufstehen, nachdem sie mich vergeblich gerufen hätten: Mama, Mama! Sie würden ins Schlafzimmer kommen und mich auf dem Boden vorfinden, mit steifer Hand die Laken umklammernd, den Kiefer starr, die bereits glasigen Augen weit geöffnet, wie einsame Frauen eben sterben, und ihre Töchter bleiben mit dem doppelten Schmerz zurück, verwaist und traumatisiert vom Anblick der Leiche. Wut und Verzweiflung, da hast du sie. Die Art von Gedanken, über die ich in einigen Monaten mit Luisa Witze reißen werde. Ich stand also wieder auf, lief durch die Wohnung, Panther im Käfig, Panther in Not. Ich schaltete Lichter an: Du solltest mich retten und zurück ins Bett bringen, in die erschöpfte Umarmung. Und wenn ich dann wach lag, nun ruhiger, mit deinem schlafenden Atem neben mir, dachte ich an uns in all den Jahren. Ich blickte zurück und suchte nach dem Moment, in dem alles zum Teufel gegangen war, die Abwärtsspirale begonnen hatte, aber es gelang mir nicht, über das Unmittelbare, die jüngsten Ereignisse hinauszusehen. Die Vergangenheit erschien mir wie eine zugeschüttete Grube, von der wir lediglich die oberste Schicht abtragen können, das oberflächliche Erdreich mit seinen dünnen Wurzeln und Würmern. Darunter sammeln sich allerlei Materialien an: Reste eingestürzter Bauten, Tonscherben, Glas, Steine, Knochen und Müll, über Jahre achtlos weggeworfen und jetzt nur noch schwer auseinanderzuhalten. Hacke und Schaufel würden da nicht genügen, wir müssten mit Präzisionswerkzeugen hantieren: kleinen Rechen, geduldigen Borstenpinseln, Spateln, Feinpinseln, sogar mit den Fingernägeln, um Stück für Stück zu bergen und es im Licht betrachten, datieren und identifizieren zu können; manches würde dabei zerbrechen und uns in die Finger schneiden. Und erst am Ende, wenn wir die letzten Ablagerungen entfernt hätten, die lose Erde, würde die Ausgangsform hervortreten: ein Ellbogen, ein Knie, ein Schädel, man würde den Pinsel einsetzen müssen, die Finger, und dann pusten, um den Sand vom Totenkopf zu entfernen. Da würden wir nun sichtbar, in der untersten Schicht, wir, die Damaligen: prachtvolle Leichen, umschlungen wie Liebende in Pompeji. Und mit diesem Bild, dem Bild von uns beiden, wie wir in diesen Nächten dalagen, im selben Bett, aber erdrückt von tonnenschwerem Schutt, schlief ich endlich für ein, zwei Stunden ein. Beim Aufwachen, emotional verkatert, fand ich noch die Kraft, unser Gespräch wieder aufzunehmen: Ich frage mich, wann alles zum Teufel gegangen ist, wann es unumkehrbar wurde und nicht mehr zu ändern. Das frage ich mich auch, sagtest du leise, worauf ich nachhakte: Wenn wir in der Zeit zurückgehen könnten, unserem Leben wie einem Fluss von der Mündung aufwärts folgen, uns vertikal durch unsere Vergangenheit
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