Glückliches Ende. Isaac Rosa

Glückliches Ende - Isaac Rosa


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sie schon? Wie findest du sie? Germán antwortete sofort: Weiß nicht, hab nur ein Foto gesehen, sieht nett aus, aber du sahst auch nett aus, als ich dich kennengelernt habe, und jetzt warf sich sein Emoticon auf den Boden und strampelte vor Lachen. Wie heißt sie noch mal?, fragte ich, und dein Sohn schrieb zurück, mit der Naivität eines Vierzehnjährigen, wie ich damals glaubte: Inés.

      Meine Blödheit, wieder mal. Genau an dem Nachmittag hatte ich mit Germán geredet. War mit ihm was essen gegangen in einem VIPS voller Trennungsväter, die ihren Kindern am vereinbarten Tag nach der Schule Entschädigungs-Pancakes und Entschuldigungs-Milchshakes spendierten. Du kennst doch diese Cafés, in denen man nur uns Väter reden hört, aufgekratzt, während die Kinder kauen und nicken, dieses Bedürfnis der Geschiedenen, alles Fragbare zu fragen und alles Erzählbare zu erzählen, damit bloß kein Schweigen aufkommt. Ich war an dem Nachmittag auch der Einzige, der geredet hat, während Germán seinen Milchshake schlürfte und nickte und einsilbig auf mein Geschwätz antwortete. Ich begann ihn auszufragen, wie läuft’s so (gut), wie läuft’s in der Schule (gut), wie sind die Klassenarbeiten gelaufen (gut), steht eine neue an (nein), irgendeine neue Note (nein), Hausaufgaben für morgen (nein), wie läuft’s mit deinen Freunden (gut), wie läuft’s mit Mama (gut), hast du am Wochenende was vor (keine Ahnung). Als die Routinefragen abgehakt waren, zögerte ich den Hauptgrund für den Cafébesuch noch etwas hinaus, ich wollte es ihm nicht einfach so hinknallen, ohne Aufwärmphase. Also erzählte ich ihm von einem Artikel, den ich gerade veröffentlicht hatte, »Der Download von Glückshormonen. Ein Klick, ein Kick«, ein aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen rasch zusammenkopierter Überblick zum Thema Dopaminausschüttung und soziale Netzwerke, der zum meistgelesenen Artikel des Tages geworden war. Doch als ich Germán von Neurotransmittern und Technologiesucht erzählte, dachte er wohl, jetzt kämen gleich neue Beschränkungen beim Handygebrauch, oder sein Vater würde versuchen, seine Bewunderung zu erlangen, indem er sich als erfolgreicher Journalist präsentierte. Als ich sein genervtes Gesicht sah, beschloss ich also, zur Sache zu kommen. Ich wechselte einen solidarischen Blick mit einem anderen Vater, der am Nebentisch mit einer stummen Vorpubertierenden monologisierte, und überfiel Germán nach einem kurzen einleitenden Gestammel mit den Worten: Ángela und ich trennen uns, das haben wir beschlossen, aber sag deinen Schwestern nichts, die wissen es nämlich noch nicht. Da Germán lediglich nickte und keinerlei Gefühlsregung zeigte, redete ich weiter und vergaß wieder mal die goldene Regel für Problemgespräche mit Jugendlichen: Gib ihnen die nötige Information, nicht mehr und nicht weniger, und antworte nur, wenn sie dich was fragen. Aber nein: Der horror vacui des Trennungsvaters zwang mich weiterzureden, immer schneller und wahlloser, je weniger Germán reagierte, denn der blieb einfach stumm wie diese gerissenen Journalisten, die mit ihrem Schweigen erreichen, dass die Interviewten mehr sagen, als sie sollten: Mit ihr und mir laufe es schon länger nicht so gut, erzählte ich, das kommt vor, so ist das Leben, die Liebe ist ewig, bis sie aufhört, manchmal lieben sich Paare einfach nicht mehr, und dann ist es besser, sich in aller Freundschaft zu trennen, als die Beziehung noch zu verschlimmern, deine Freunde haben fast alle getrennte Eltern, bei dir ist es ja auch so, und du siehst, wie gut Mama und ich uns verstehen und wie lieb wir dich haben, Eltern trennen sich, aber von unseren Kindern trennen wir uns nie, ich kenne mehr unglückliche Kinder aus intakten Familien als glückliche, und dafür viele glückliche Kinder, die zwei Zuhause haben, zwei Zuhause zu haben ist ja kein Problem, es kann sogar ein Vorteil sein, wenn man zwei Zuhause und zwei Zimmer hat, zwei Geburtstage und zwei Weihnachten und zwei was weiß ich, zwei von allem. Germán stocherte mit seinem Strohhalm im Glas herum und vermied es, mich anzusehen, auf seinem Gesicht ein Ausdruck, dem ich nicht entnehmen konnte, ob er betroffen war, seine Interessen abwog oder einfach nur vollkommen gelangweilt, weshalb ich noch tiefer einstieg, obwohl mich niemand darum gebeten hatte: Ich erzählte ihm, dass es da jemand anderen gebe, auch das kommt vor, plötzlich taucht jemand in deinem Leben auf und alles wird umgekrempelt, das wirst du auch noch erleben, wenn du groß bist und dich verliebst. Und da keiner der geschiedenen Väter ankam und mir mitfühlend empfahl, doch verdammt noch mal meinen Mund zu halten, ritt ich mich noch mehr rein: Sie ist sehr nett, heißt Inés, du wirst sie bald kennenlernen, ihr werdet euch gut verstehen, vom Alter her ist sie dir fast näher als mir, sie ist Historikerin, kann dir also in Geschichte helfen, falls du das mal brauchst, soll ich dir ein Foto von ihr zeigen? Erst als Germáns Handy klingelte und er ranging, hörte ich endlich auf zu reden. Ich hätte ihm wohl besser eine knappe Nachricht geschickt, aber dafür war es nun zu spät. Willst du noch was fragen?, drängte ich ihn, und da er den Kopf schüttelte, ritt ich mich vollends hinein: Also das mit Inés, das erzähl aber bitte nicht Ángela, die weiß es nämlich noch nicht, ich hab’s dir erzählt, damit du siehst, dass ich dir vertraue.

      Hätte mir dein Sohn nur früher davon erzählt, wenn schon du Inés vor mir verstecken musstest. Warum eigentlich? Um mir einen Schmerz zu ersparen, der zu dem Zeitpunkt keinen großen Unterschied mehr gemacht hätte? Damit die Trennungsvereinbarung weniger kompliziert wird, ohne sentimentale Verzerrungen, und du kein emotionales Kapital verlierst? Oder eher, wie ich vermute, um die Verantwortung für das Ende zu teilen? Was sage ich: um sie komplett bei mir abzuladen, ich sollte mich verantwortlich fühlen für unser endgültiges Scheitern. Wenn du von Anfang an ehrlich gewesen wärst, hätte mich das geschmerzt, sogar mehr, als du denkst. Aber ich hätte es akzeptiert, ohne melodramatisches Getue. Und vor allem hättest du mir zwei Wochen erspart, die zwei Wochen zwischen deiner Trennungsankündigung und deinem Auszug. Zwei Wochen, die ich bis zu Germáns Nachricht als eine Zeit des Waffenstillstands und der Neuorientierung gesehen hatte, in denen ich es noch für möglich hielt, du könntest es dir anders überlegen. Nachher jedoch, als ich von deiner Inés erfahren hatte, gab ich den zwei Wochen einen neuen Namen, die Große Zeit der Erniedrigung. Einer Erniedrigung, die du mir nicht hast ersparen wollen, von der ich aber lieber annehmen möchte, dass du sie nicht gesucht hast. Zwei Wochen, in denen wir noch zusammenlebten, vor den Mädchen Ehetheater spielten, wir hatten ja ausgemacht, ihnen noch nichts zu sagen. Wir schliefen sogar zusammen in diesen zwei Wochen, die wir uns eingeräumt hatten, um nichts zu überstürzen und alles richtig hinzubekommen, und ich dachte, dieser Aufschub wäre ein Beweis für die Schwäche deiner Entscheidung: In Wirklichkeit würdest du mir nur einen Warnschuss verpassen und mir die Chance geben, unsere Beziehung in der zusätzlichen Zeit neu auszuhandeln. Am ersten Abend, nachdem du mir gesagt hattest, dass du dich trennen wolltest, hast du dich aufs Sofa gelegt, ohne viel Aufhebens zu machen, hast dich mit einem Laken zugedeckt und Gute Nacht gesagt. Aber am nächsten Tag war ich so blöd und bat dich, zurück in unser Bett zu kommen, die Mädchen sollten dich nicht auf dem Sofa vorfinden, wenn sie früher wach würden, außerdem sah ich diese zwei Wochen wirklich als einen Rückeroberungsfeldzug. War ich bescheuert. Wir schliefen zusammen, oder besser gesagt, wir lagen zusammen im Bett, denn geschlafen haben wir wenig: Wir redeten stundenlang, hielten uns fest an den Händen, und beim Aufwachen überraschte uns der Morgen eng umschlungen. Und das kam nicht von mir, du hast dich im Schlaf an mich geschmiegt, meine Hände genommen und deine Finger mit meinen verschränkt, auch wenn du jetzt sicher sagen wirst, das war nur die Gewohnheit der Körper. Im Halbdunkel des Schlafzimmers redeten wir pausenlos, ich hielt das alles für einen Teil deiner verqueren Strategie, unsere Verbindung über die Trennungsangst zu erneuern. Wir redeten stundenlang, erinnerten uns an gemeinsame Momente, gingen zurück an unsere Anfänge. Wir amüsierten uns in der Dunkelheit über das Repertoire an alten Anekdoten, die wir einander seit Jahren erzählten und dabei immer weiter abwandelten. Eine Trennung ist auch, ist vor allem der Verlust einer gemeinsamen Sicht auf die Dinge, und im Moment des Bruchs spürt man noch mal den Drang zu erzählen, ein letztes Mal. Und das taten wir in jenen Nächten: Wir erzählten uns. Hand in Hand ließen wir der Erinnerung die Zügel schießen und weinten am Ende und küssten uns die Tränen weg, und ich deutete deine Rührung falsch und schlug dir vor, uns Zeit zu lassen, abzuwarten, unsere Beziehung neu anzugehen, es mit einer Paartherapie zu versuchen, zusammenzubleiben, bis die Mädchen etwas größer wären, weiter zusammenzuwohnen, als Familie, auch wenn jeder sein eigenes Leben lebte. Du versuchtest, mich davon zu überzeugen, dass eine Scheidung nicht das Ende der Welt sei, nicht einmal eine Scheidung mit Kindern, viele unserer Freunde haben sich getrennt, sogar unsere eigenen Eltern, und alle sind okay, das Leben geht weiter, die Leute fangen sich wieder, die Kinder stellen sich darauf ein, eine Scheidung ist ein Ereignis unter vielen, so gängig wie das Heiraten. Ich widersprach, wollte es nicht so sehen: Was schert mich, was die Leute machen, das hier ist unsere Scheidung,


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