Glückliches Ende. Isaac Rosa
in Ordnung zu bringen? Und dann du, nach einer dramatischen Pause: Da müssten wir weit zurück, Ángela, sehr weit zurück.
8
Gehen wir nicht ganz so weit zurück, noch nicht. Wenn wir mit unserer Ausgrabung beginnen, taucht direkt unter der obersten Erdschicht der Abend auf, der am Anfang dieser beiden Wochen stand: der Abend, an dem ich dir gesagt habe, dass ich mich trennen möchte. Da hast du uns: Wir sitzen bei einem Hochzeitsbankett, an dem Tisch, den Fabio die Schiffbrüchigen nannte. Unser heldenhaftes Pärchen hier hat ein Abendessen gewonnen, sagte Fabio, er stand hinter uns, eine Hand auf deiner, eine auf meiner Schulter, in der Stimme schon die erste Trunkenheit, und nachdem er uns beide schallend auf den Mund geküsst hatte, klärte er uns auf: Erinnert ihr euch noch an dieses Abendessen, um das wir vor Jahren mal gewettet haben? Ihr seid die Gewinner, Antonio und Ángela, Ángela und Antonio, Angelonio, ihr seid die Überlebenden, die Einzigen, die nicht über Bord gegangen sind, seht euch die anderen an, wie sie sich sonnenverbrannt an eine Holzplanke klammern. Fabio zählte die elf Tischgenossen auf: zwei, die nach der Trennung Single geblieben waren, drei in Begleitung ihrer neuen Partner oder Partnerinnen, Fabio selbst, frisch geschieden von Néstor, außerdem der Bräutigam, der, ebenfalls getrennt, nun ein weiteres Mal heiratete, und du und ich als einziges überlebendes Paar jenes Jahre zurückliegenden Treffens. Ich habe dich flüsternd gefragt, ob wir lieber gehen sollen, du hast deinen verkrampften Mund zu einem unwahrscheinlich süßen Lächeln verzogen und gesagt, auf keinen Fall: Wir bleiben, Schatz, wir wollten uns doch amüsieren. Fabios Bemerkung löste an unserem Tisch ein Gespräch über den Familienstand aus, ein Wirrwarr von Stimmen, bei dem ich nicht mehr weiß, wer was gesagt hat: In der Klasse meiner Tochter sind wir geschiedenen Eltern in der Mehrzahl. Es gibt nur deswegen nicht noch mehr Trennungen, weil sich das nicht jeder leisten kann. Schuld an dem Ganzen ist die gestiegene Lebenserwartung, wenn man noch so viel Leben vor sich hat, bleibt man nicht ewig mit derselben Person zusammen. Man wechselt tausendmal den Job, die Wohnung, den Telefonanbieter, die Frisur, und wenn es schon sonst nichts Dauerhaftes mehr gibt im Leben, warum dann ausgerechnet die Liebe. Da hast du dich eingeklinkt, offensichtlich hattest du Lust, diese frivole Unterhaltung auf ein anderes Niveau zu heben: Genau deshalb, weil nichts mehr dauerhaft ist in unserem Leben, brauchen wir etwas Beständiges, das uns Halt gibt, etwas, das dem Auseinanderdriften widersteht. Doch als Reaktion kamen nur scherzhafte Buhrufe, Romantikerin, Romantikerin, riefen sie, und es regnete Brotkrumen. Ein Hoch auf die widerstandsfähige Liebe!, brüllte Fabio mit erhobenem Glas, der ganze Saal prostete mit, und dann wandte er sich frech an dich: Angelita, Angelita, ich kann es nicht fassen, du bist ja immer noch dieses naive Mädchen, das an die transformative Kraft der Liebe glaubt, wie war noch mal dein schöner Spruch, die Liebe als absolute Hingabe, sich lieben ohne jede Berechnung …? Ángela hat recht, kam dir einer der Singles zu Hilfe, der vor ein paar Monaten von seiner Frau verlassen worden war: Ángela hat recht, wir nennen das Liebe, was nichts weiter ist als Begehren, eine andere Form des Konsums. Aber Liebe ohne Begehren ist unmöglich. Ich meine etwas anderes, Liebe ist das Gegenteil dieses Begehrens, das uns immer unbefriedigt zurücklässt, das Begehren will verschwenden und ersetzen, während Liebe bewahren will, erschaffen, sich vervielfältigen, irgendwo habe ich mal gelesen, dass die Liebe zentrifugal ist, während das Begehren zentripetal ist, also nach innen strebt. Die Liebe hält nur drei Jahre. Waren es nicht sieben? Ein Hoch auf die zentrifugale Liebe!, schlug Fabio vor, was Gelächter an den Nebentischen auslöste. Wir leben in einem Markt der Liebesangebote, und jeder Markt bringt Ungleichheit, Arme und Reiche hervor. Ich hör’s schon, gleich gibst du dem Kapitalismus die Schuld, wie immer. Wenn jemand sich trennt, sagen wir, er ist wieder zu haben, wir gehen auf den Markt und suchen uns eine neue Liebe wie jemand, der eine dieser blöden Wonderboxes kauft, neue Erfahrungen, Badespaß, Paragliding. Hey, hey, wir haben dem Brautpaar auch so eine blöde Box geschenkt. Besser hätten wir den beiden ihre zukünftige Scheidung geschenkt, ich habe da von einer Firma gehört, die einen kompletten Trennungsservice anbietet, sie kümmern sich um alles: Anwälte, Therapie, Hilfe mit den Kindern, Coaching, damit man wieder auf die Beine kommt; ich kann mir kein besseres Hochzeitsgeschenk vorstellen. Womit wir wieder beim Thema wären, manche Leute trennen sich deshalb nicht, weil sie es sich nicht leisten können. Der strahlende Sieger ist heute der Single, die Welt ist für Singles gemacht, für den freien Menschen ohne Bindungen, der bei jeder Gelegenheit sein Leben ändern kann, ohne sich darum zu kümmern, wie viele Leichen seinen Weg pflastern. Es leben die Singles!, brüllte, allmählich etwas penetrant, Fabio, was nur noch von einem fröhlichen Tisch hinten im Saal beantwortet wurde. Hör mal, einige von uns sind geschiedene Eltern, und ich lasse mir nicht sagen, dass Leichen meinen Weg pflastern, ich liebe meinen Sohn über alles, und ich habe mich genau deshalb für die Scheidung entschieden, damit er glücklich wird. Du wolltest selber glücklich sein, darum geht’s. Okay, ich nehm’s dir nicht übel, du bist betrunken. Eine gute Scheidung ist für Kinder besser als eine schlechte Ehe. Das war dein Stichwort, und du sagtest, zunehmend gereizt: Das ist ein beschissener Satz, mit dem wir uns trösten und entlasten, wir reden uns ein, wir tun es für sie, während wir doch nur unser eigenes Glück suchen, wir sind nicht bereit, bestimmte Dinge auszuhalten und uns mit weniger zufriedenzugeben, um unseren Kindern eine traumatische Erfahrung zu ersparen. Red keinen Quatsch, Ángela, genau das haben Frauen jahrhundertelang gemacht, aushalten und sich zufriedengeben. Sie hat doch recht, für manche Leute ist das Kinderkriegen eine weitere Form des Konsums, eine weitere Wonderbox. Hör doch auf mit deinen blöden Boxen. Du sprachst weiter und sahst mich dabei fest an: Eine Scheidung kann für Kinder verheerend sein, vor allem für kleinere, würden wir uns den Schaden, den sie davontragen, besser bewusst machen, dann würden wir uns nicht so leichtfertig scheiden lassen, sondern mehr dafür tun, um die Beziehung zu retten, und unsere Anforderungen an den Partner ein wenig herunterschrauben. Ich glaube, du übertreibst, Ángela, es gibt doch so viele Trennungskinder, einige von uns sind sogar selber welche, und ich glaube nicht, dass das so verheerend war. Mir kommt dieser Gedanke des Aushaltens sehr rückständig vor, meine Mutter hat jahrelang alles Mögliche ausgehalten, und ich kann dir versichern, meinen Geschwistern und mir wäre eine Scheidung zur rechten Zeit lieber gewesen. Ich hab es satt, ich will mit niemandem mehr zusammen sein, solange ich lebe. Wieso, das kann sich doch heute Abend noch ändern, ich sehe den Mann deiner Träume. Ich scheiß auf den Mann meiner Träume, ich scheiß auf diese blöde romantische Liebe, mein ganzes Leben lang habe ich falsche Entscheidungen getroffen, mich immer nur in die kleine Zweierbeziehungsliebe zurückgezogen und die vernachlässigt, die mich wirklich geliebt haben. Ich scheiß auf die romantische Liebe!, brüllte Fabio, und diesmal wurde er ausgepfiffen. Mein Leben besteht aus unverbundenen Teilen, ich muss mich ständig neu erfinden, wie soll ich denn immer denselben Menschen lieben, wenn sich doch alles ändert, wenn ich selbst mich ändere? Genau deshalb, sagtest du beharrlich, über das Geschrei hinweg: Genau deshalb, weil alles so unsicher, so kurzfristig ist; aber wir haben aus der Liebe, und ich meine jetzt nicht nur die Liebe für den Partner, sondern auch die für die Kinder oder die pflegebedürftigen Eltern, wir haben aus ihr einen Klotz am Bein gemacht, und gleichzeitig verlangt man von uns, schnell, agil, kühn und unbarmherzig zu sein, also müssen wir uns von allem lösen, damit wir schneller rennen können. Das seh ich anders, Ángela, was schlägst du denn vor, etwa dass wir zur patriarchalischen Familie zurückkehren? Ich dachte, davon befreien wir uns gerade, wir leben doch die Liebesbeziehungen heute freier. Es lebe die freie Liebe!, Fabio war außer Rand und Band, unerträglich, der Wirt bat ihn, leiser zu sein, und du wurdest lauter: Am Ende geht es immer um die Freiheit, aber was ist das für eine Freiheit, mit dieser beschissenen Freiheit ziehen sie uns doch nur den Boden unter den Füßen weg, ich hab die Schnauze voll von dieser ganzen Freiheit, der Freiheit, die Schule zu wählen, der Freiheit, den Arzt zu wählen, der Freiheit, die Karriere zu wählen, die Arbeitsstelle, die Zukunft, der Freiheit, seine Arbeitsbedingungen direkt mit dem Arbeitgeber auszuhandeln, der Freiheit bei den Arbeitszeiten, der Freiheit zu streiken oder zu arbeiten, wenn andere streiken, der Freiheit, sich zusammenzutun und wieder zu trennen, der Freiheit, Kinder in die Welt zu setzen und mit ihnen zu machen, was man will; eine Scheiße ist das: Diese ganzen Freiheiten können nur Menschen genießen, die sich eine gute Schule leisten können, eine vernünftige Krankenversicherung, ein Auslandsstudium, unbezahlte Praktika, die ihre Familie mit einem einzigen Gehalt ernähren können, für die jemand putzt und sich um die Alten und die Kinder kümmert, die eine Geliebte haben, die sich scheiden lassen können, und wir, die