Das Zeichen der Erzkönigin. Serena J. Harper

Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper


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Ringes wog schwer auf seiner Handfläche. Er musste ihn viele, viele Jahre getragen haben; so glatt poliert war das einst strukturierte Silber. Varcas suchte nach den richtigen Worten, die den Abschied beenden würden – doch Lyraine kam ihm zuvor.

      »Kommt«, sagte sie beinahe tonlos und drehte sich um, ohne zurückzublicken. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

      16

      Rodric warf nur einen kurzen Blick auf die kleine Notiz, die ihm einer der Diener gebracht hatte, bevor er sie zerknüllte und in seiner Handfläche in Flammen aufgehen ließ.

      Eure Anwesenheit wird erbeten.

      Es war keine Bitte. Er war sich nicht einmal sicher, wieso Lamia überhaupt eine schriftliche Botschaft geschickt hatte, anstatt ihn einfach holen zu lassen. Möglicherweise war ihr Zorn so weit abgeklungen, dass sie für den Rest des Hofes wieder ein wenig den Schein aufrecht erhalten wollte, er diene ihr zumindest teilweise aus freien Stücken. Die Wahrheit kannte jeder. Er war keiner ihrer Herolde und auch ansonsten kein Mitglied ihres Hofes – ihre Befehlsgewalt generierte sich nur über das unangenehme Ziehen hinter dem Glaskörper seines linken Auges.

      Es war noch recht früh am Morgen, aber Rodric war schon seit mehreren Stunden wach. Er hatte bislang nichts Neues von Tyran gehört. Das allein war kein Grund zur Sorge – Tyran nahm nur selten die Feder in die Hand, um Briefe zu schreiben, und selbst wenn er es tat, war nie sicher, ob sie zugestellt oder doch konfisziert wurden; entweder an dem Hof, an dem er diente, oder von Lamia selbst. Als Rodric einen Blick durch die Fensterscheiben nach draußen warf, an deren Rändern der Frost begann, Blumen zu malen, wünschte er sich dennoch, er wüsste, ob die Königin Elnesta tatsächlich ihren Ruf verdiente.

      Vor Lamias Gemächern stand – wie konnte es auch anders sein? – der Jäger, die Arme vor dem Körper verschränkt. Er hielt einen konstanten Schild vor dem Eingang zu ihrem Schlafzimmer aufrecht. Natürlich konnte sein Kobaltblau Rodric nicht aufhalten, doch für die niedrigeren Farben stellte es eine gewisse Herausforderung dar.

      Doch noch bevor er die Tür öffnen konnte, legte Vetis ihm eine Hand auf die Brust, um ihn zu stoppen.

      »Lass mich deine Augen sehen, Junge«, sagte er.

      Selbst nach all den Jahrhunderten hatte Rodric sich nicht an die Stimme, Eisen und Sandpapier, gewöhnt. Er hatte einmal gehört, der Jäger habe einen Dolch auf sehr unglückliche Weise mit seiner Kehle abgefangen, der eigentlich für Lamia bestimmt gewesen war. Er hatte überlebt, doch das Kratzen seiner Stimmbänder war geblieben.

      Vetis griff unwirsch nach Rodrics Kiefer, um sein Gesicht in das silbrige Licht zu drehen.

      »Ich kann immer noch das Blut sehen. Du wirst dich noch eines Tages umbringen mit deiner … Arroganz.«

      »Vorsicht, Vetis«, antwortete Rodric spöttisch, wobei er sich aus seinem Griff wand. »Sonst glaubt noch jemand, du machst dir Sorgen um mich.«

      »Ich mache mir Sorgen, es nicht selbst sein zu können, der dir eines Tages das Fleisch von den Knochen schält.«

      Rodric verneigte sich mit übertriebener Höflichkeit und drückte dann die Türen auf. Anders als er erwartet hatte, war Königin Lamia nicht allein.

      Sie hatte sich auf ihrer Chaiselongue ausgestreckt, und auf der Höhe ihrer Füße lümmelte der Lichtalbenjüngling, der sie bereits zur Hinrichtung begleitet hatte. Der junge Aristokrat ließ seine Hand auf ihrem Fußknöchel ruhen. Seine Selbstsicherheit war noch da, stellte Rodric fest, doch hatte er dieses Spiel zu häufig gesehen, um nicht die kleinen Erschütterungen im Geist des jungen Mannes erfühlen zu können. Er hatte bisher nur leicht von dem Gift genippt, das jede Beziehung zu Lamia bedeutete, aber über kurz oder lang würde es ihn genauso zerstören wie jeden anderen.

      »Ah, Rodric«, sagte Lamia mit gespielter Überraschung und streckte sich.

      Rodric klinkte die Daumen in seine Gürtellaschen.

      »Euer Majestät.«

      Das Schlafzimmer stank nach Wein, Sex und Blut, gerade genug, um wahrnehmbar zu sein. Die Königin trug nicht viel mehr am Leib als ihren seidenen Morgenmantel.

      Lamia betrachtete ihn, als wartete sie auf eine Reaktion. Als jene ausfiel und Rodric schweigend stehen blieb, richtete sie sich mit einem gereizten Seufzen auf.

      »Du kannst uns allein lassen, Liebling«, sagte sie zu dem Lichtalben. »Ich muss mit meinem Blutritter einige unangenehme Dinge besprechen. Wieso gehst du nicht etwas … frühstücken, und ich lasse nach dir später rufen?« Ganz gleich, welche Antwort der Mann hätte geben wollen, sie versiegelte seine Lippen mit einem Kuss und einem Blick, der keinen Zweifel daran ließ, dass dies ebenso wenig ein Vorschlag gewesen war wie ihre Notiz zuvor eine Bitte.

      Er erhob sich und richtete sich umständlich die Kleidung, bevor er an Rodric vorbeistolzierte und die Tür geräuschvoll schloss. Rodric sah ihm nicht hinterher.

      »Es steht nicht zum Besten um deinen Geschmack, Liebste.«

      Lamias Augen glitzerten. Sie beugte sich vor, griff nach ihrem Weinpokal und schwenkte ihn.

      »Eifersüchtig?«, fragte sie.

      Rodric lachte auf. Selbst in seinen eigenen Ohren klang das Lachen kalt. Er näherte sich der Königin des Kristallhofes.

      »Weil du dich von einem dummen Jungen besteigen lässt und hier eine kleine Scharade aufführst?«, höhnte er. »Ja, natürlich, Liebste. Ich bin furchtbar eifersüchtig.«

      Beinahe glaubte er, sie würde den Kelch nach ihm werfen wollen. Stattdessen sah er nur, wie ihre Finger sich fester darum schlossen.

      »Wein für Sir Blackthorne«, befahl sie und ein Sklavenmädchen mit weißer Rún, das sich im Nebenzimmer aufgehalten haben musste, huschte herbei, um auf das kleine Tischchen vor der Chaiselongue einen weiteren Becher zu stellen und ihn zu füllen. Rodric nahm in einem der Sessel Platz, sank tiefer in die Polster und stellte einen Fuß an die Kante des Tisches.

      »Deine Manieren lassen heute zu wünschen übrig«, bemerkte Lamia spitz. »Ich hoffe doch, du bist nicht schlecht gelaunt wegen der kleinen … Lektion, die ich dir neulich erteilen musste.«

      Seine Scherbe vibrierte.

      Rodric nahm sich den Wein und trank, zwei, drei tiefe Schlucke.

      »Gibt es einen Grund, wieso du nach mir hast schicken lassen? Denn wenn nicht, würde ich es vorziehen, dich wieder deinem Gespielen zu überlassen. Er ist sicher eifrig bei der Sache, nicht wahr? Eine Königin ist mal eine Abwechslung für den Aristokratenbengel, anstatt wie üblich verängstigte Sklavinnen über einen Tisch zu beugen.«

      Das Geräusch, das Lamias Kehle verließ, war so voller Wut, dass in Rodric süße Befriedigung aufstieg. Sie war schön, wenn sie wütend war. Sie würde noch schöner sein, wenn er ihr eines Tages das Genick brach.

      Doch als sich zu der kobaltblauen Aura vor der Tür eine weitere der gleichen Stärke gesellte – Rodric hätte diese unter tausenden erkannt – gefror das Lächeln auf seinen Lippen.

      Schlampe. Miststück.

      Das Gesicht der Königin hellte sich auf. Sie wickelte ihren Morgenmantel fester um ihre hübschen Rundungen, obwohl Rodric bezweifelte, dass es daran etwas gab, was der Mann, der nun von dem Jäger hineingelassen wurde, noch nicht gesehen hatte. Rodrics Kehle fühlte sich trocken an, als hätte er eben nichts getrunken.

      »Lord Vaharél!«, begrüßte Lamia seinen Vater, der mit schnellen, zielstrebigen Schritten ihre Chaiselongue erreichte und sich zum Handkuss beugte. Hinter ihm kam mit gesenktem Kopf ein Sklave herein. Rodric warf einen gelangweilten Blick über seine Schulter. Der Sklave trug Mahrilliumschellen an Füßen und Händen, und an seinem vorsichtigen Gang war für Rodric leicht abzulesen, dass man ihn ausgepeitscht hatte – vermutlich seine untere Körperhälfte. Zwischen seinen Händen hielt er eine Truhe, was ihn offensichtlich einige Anstrengung kostete, denn die Muskeln seiner nackten Arme zitterten.

      »Willst


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