Krisenkommando. Will Berthold

Krisenkommando - Will Berthold


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»Sie sind ein gewürfelter Bursche, Grenzlein. Aber glauben Sie nur nicht, daß wir wegen Ihnen diesen Aufwand hier betreiben.« Mit gespielter Geschwätzigkeit setzte er hinzu: »Mit dem Kameratrick konnten wir gestern drei Millionen Lösegeld wieder herbeischaffen, weil sich die beiden Entführer ein bißchen zu ausführlich über ihr Geldversteck unterhalten haben.«

      »System-Zwerge«, versetzte Grenzlein. »Bei mir geht es um kleinere Beträge. Fürs erste. Erst später kommt die Profitmaximierung«, sagte er und zog wieder an seiner Pfeife.

      Ich wollte mir eine Zigarette anzünden, der Colonel fiel mir ein, und ich stopfte meine Neuerwerbung mit einer würzigen Dänenmischung. Ich wußte, daß mir der Vize scharf auf die Lunge sah, deshalb unterließ ich den typischen Fehler des Zigarettenkonsumenten, den Pfeifenrauch zu inhalieren, oder zu hastig zu ziehen. Übrigens war der Tabak vorzüglich. Ich konnte in der Haut Grenzleins – dessen Identität ich weitgehend zu übernehmen hätte – durchaus bei ihm bleiben, aber mein Double war auch Vegetarier mit einer Vorliebe für Süßigkeiten. Wenn ich an die vielen Himbeerpuddings, Marmeladepfannkuchen und Reisaufläufe dachte, verwandelte sich das angebliche Eiswasser in meinen Adern – die Organisation rühmte es mir nach – in Blutzucker.

      »Ich weiß nicht, ob ich durchkomme«, sagte der Kommissar. »Ich sollte schon etwas mehr vorweisen können. Ihre Enthüllungen in allen Ehren, aber nirgends wird mehr gelogen als auf der Jagd, beim Suff, in der Liebe, oder hinter Gittern.«

      Er nickte meiner Karikatur zu und verließ den Raum, in den zwei uniformierte Polizisten mit grobschlächtigen, verschlossenen Gesichtern als Wache einzogen. Vor der Tür standen zwei weitere. Am Ende des Ganges wiederum zwei. Sicherheitshalber war im Hof ein Funkstreifenwagen postiert, dessen Männer MPs trugen. Die deutschen Behörden ließen sich die Bewachung des langgesuchten Politverbrechers etwas kosten. Es würde nicht leicht sein, ihnen eine »Flucht« Grenzleins einzureden – doch das wäre nicht mehr mein Bier.

      »Der Kerl ist hart, Sir«, sagte ich. »Um den garzukochen, brauchen wir noch mindestens drei Wochen.«

      »Unter normalen Umständen«, versetzte der General. »Aber was wäre in diesem Fall normal? Heute ist schon übermorgen – also hätten wir den Kerl schon vorgestern umdrehen müssen.« Er verfolgte mechanisch meine Rauchversuche mit dem fremden Lungenmedium. »Wie weit sind Sie mit Ihrem Arabisch?« examinierte er mich.

      »Sir«, schoß ich zurück. »Vor gut zwei Tagen habe ich diesen Auftrag übernommen. Sie können von mir verlangen, daß ich in 52 Stunden zweieinhalbmal um die Welt fliege. Oder mich durch die oberen Klassen eines Mädchenpensionats hindurchpflüge. Oder den Harem des Königs Chalid des Obersten Gaddafi –«

      »Er hat keinen«, unterbrach mich der Vize.

      »Das sieht diesem Operetten-Buffo ähnlich«, giftete ich. Wir grinsten beide, obwohl wir keine Zeit dazu hatten, und vor allem keinerlei Grund zur Heiterkeit, aber auf den Libyer waren wir sauer, weil er im Verdacht stand, die Terrorkommandos, mit denen wir uns herumschlugen, zu finanzieren, und zwar mit Ölgeld.

      Bevor ich Grenzlein gegenübertrat, verschlüsselte ich mit ein paar Handgriffen mein Aussehen. Es ging ganz schnell. Ich setzte eine dicke, getönte Brille auf und verschaffte mir mit zwei Hartgummiplatten, die ich in meinen Mund schob, die Backen eines Hamsters. Meine ungleich kürzeren Haare verpaßten mir von selbst eine etwas andere Kopfform, und ein Agent, der kein Schauspieler ist – mitunter in einer Schmiere auf Leben und Tod –, braucht seine Geheimwaffen gar nicht erst auszupacken.

      »Meister«, begrüßte ich Grenzlein: »Gesprächig heute?«

      »Wir haben heute Donnerstag?«

      »Das stimmt zwar«, erwiderte ich. »Aber glauben Sie, daß diese schlichte Feststellung 200 000 Mark wert ist, Genosse?«

      »Nein«, entgegnete er. »Aber am Montag steigt dieses Superding. Und zwar in aller Frühe. Machen Sie sich auf etwas gefaßt.«

      »Auf was?« fragte ich.

      »Das erfahr’ ich selbst erst im letzten Moment«, erwiderte er. »Vielleicht entführen sie den Bundeskanzler. Oder sie machen dem US-Botschafter ihre Aufwartung und liefern seinen Gästen die heiße Schlacht am kalten Büfett. Oder sie setzen Todesbazillen auf führende Politiker an. Einige Ultras unter ihnen hätten wohl kaum Hemmungen, über die Wasserleitung den bakteriologischen Krieg zu eröffnen.« Er starrte in meine Augen. »Alles ist möglich. Glauben Sie mir das. Ich kenne diese Heißluftstrategen. Und die palästinensischen Partisanen arbeiten in Deutschland fast ohne Risiko – wenn sie sich greifen lassen, werden sie hinterher wieder freigepreßt, wie die drei Überlebenden des Olympia-Massakers.«

      »Ich kenne die Qualität und die Arbeitsmethoden Ihrer Freunde«, erwiderte ich. »Aber seien Sie bitte nicht so weitschweifig, und kommen Sie zur Sache.«

      Was die Freipressung arabischer Guerilleros anbelangt, dachte ich zufällig genauso wie er. Unsere Organisation hatte es für einen Fehler gehalten, die Olympia-Attentäter freizulassen. Erpressern gibt man nicht nach, wenigstens nicht nach unseren Spielregeln. Auch nicht, wenn einige oder mehrere Menschenleben auf dem Spiel stehen.

      Mein Freund Hinrichsen war ihnen in die Hände gefallen, und sie hatten gedroht, ihn als Geisel zu töten, wenn wir ihnen nicht im Austausch gewisse Informationen überließen. Ich gehörte zu den Männern, die es strikt abgelehnt hatten, auf diesen Handel einzugehen, obwohl ich nicht daran zweifelte, daß sie meinen Kumpel erbarmungslos abschlachten würden. Hinrichsen hätte sich genauso verhalten, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre. Das ist bei uns eisernes Gesetz. Dabei gibt es – allenfalls – Tränen, Männertränen, doch keine Diskussionen.

      »Erraten«, spottete mein angebliches Double. »Bonn ist schon wegen eines halbbesetzten Mittelstreckenflugzeuges umgefallen.« Er zog genüßlich an seiner Pfeife. »Was meinen Sie denn, auf welch’schwachen Füßen erst der Widerstand der Bundesrepublik steht, wenn es um die rund 100 Millionen Tonnen arabisches Öl geht, die von der deutschen Wirtschaft als Mindestbedarf in einem einzigen Jahr benötigt werden?« Er lächelte schräg, »Natürlich haben die Ölscheichs nichts mit diesen Geschichten zu tun. Sie finanzieren sie höchstens und bedauern sie heftig. Mit Worten. Ansonsten waschen sie ihre Hände in Unschuld, der Trick stammt ja auch aus der Gegend da unten.«

      Die Gummiplatten scheuerten an meinen Zähnen. Ich zündete mir eine Zigarette an. Obwohl sonst von Berufswegen unempfindlich gegen Wetterstürze, erlebte ich ein paar Sekunden lang ein Wechselbad von Frost und Hitze.

      Die Meuchler und die Heuchler, Hand in Hand. Wer die Freudentänze der Libyer bei der Ankunft der Olympia-Mörder auf dem Bildschirm verfolgt hat, erlebte einen Abklatsch des heißen Orients, wo das Blut schneller trocknet, als es fließt. Kaltblütige Killer, den ordentlichen Gerichten entzogen, wären beinahe nachträglich von der künstlich entfachten Begeisterung erdrückt worden. In den arabischen Ländern wird auf der Flamme des Nationalismus die Giftsuppe gekocht.

      Aber auch der neue israelische Premierminister hat die Toleranz nicht gerade mit dem Löffel gefressen, und ein Stück Arabien steckt in jedem Land, in westlichen genauso wie in orientalischen. Überall werden Emotionen geschürt, um Zweckpolitik zu betreiben, werden Normalbürger dadurch zu Narren gemacht, wie einst im Sportpalast.

      In jeder Stadt liegt ein Sportpalast, in Berlin wie in Buenos Aires, in Damaskus wie in Teheran, und wenn man die Massen berauscht, schreien sie nach Kanonen, statt nach Butter – vor allem, wenn sie nicht zu essen haben.

      Ich hatte klare Vorstellungen über die Abwicklung unserer Transaktion, aber ich mußte Grenzlein noch ein wenig hinhalten:

      »Wir haben zwar schon das letzte Mal darüber gesprochen«, begann ich, »aber ich komme einfach nicht ganz klar. Als Berufs-Revolutionär kämpfen Sie, wie Sie sagen, für die Veränderung des Systems. Ich nehme Ihnen Ihre Erklärung für das Geld, das Sie haben möchten, einfach nicht ab.«

      »Im Prinzip haben Sie ganz recht«, ging er darauf ein, »und mein Hauptanliegen ist ja auch die Freiheit und nicht das Geld. Aber ich muß doch noch einmal ausholen: Der von der Gesellschaft ausgebeutete Mensch wird durch raffinierte Zwänge beherrscht. Einer heißt Geld.


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