Krisenkommando. Will Berthold

Krisenkommando - Will Berthold


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      »Die Frustration«, dozierte er hochmütig. »So etwas wie zum Beispiel Ihre Beamtenlaufbahn.«

      Während Grenzlein kleine Wölkchen aus seiner Pfeife paffte – eine bestimmte Sorte dänischen Tabaks –, sah es aus, als hätte der Vernehmende den Faden verloren. Jedenfalls war der lohnabhängige Kommissar sein Gehalt wert.

      »Also, zum letztenmal«, polterte der 30jährige mit der Terror-Erfahrung. »Ob ich diesen Ali kenne oder nicht, richtet sich ausschließlich danach, ob wir endlich ins Geschäft miteinander kommen oder nicht. Ich hab’ nichts gegen Sie, aber für diesen Fall sind Sie mir einfach zwei Schuhnummern zu klein. Entweder bringen Sie mir bis heute mittag einen Fachmann aus der Pullacher BND-Zentrale, oder ich trete in den Aussage-Streik.«

      »Das ist nicht so einfach, Herr Grenzlein«, erwiderte der Kripomann und leistete sich einen hübschen Witz. »Ihr Antrag ist auf dem langen Marsch durch die Institutionen«, setzte er hinzu, ohne das Gesicht zu verziehen.

      Pause. Der U-Häftling wurde allein gelassen. Der Beamte ging ein wenig zu schnell. Es war ziemlich sicher, daß mein Double auf die Subalternmasche hereinfiel.

      Was nunmehr auch geschehen würde, das Drehbuch dazu hatte unsere Organisation geschrieben. Es wußte niemand, daß Grenzlein in Stadelheim einsaß. Wir hatten von vornherein dafür gesorgt, daß die Erfolgsmeldung über seine Verhaftung nicht im Polizeibericht stand.

      Wir konnten auf die Dauer aber nicht verhindern, daß er mit seinem Anwalt in Verbindung trat, und der Verteidiger würde darauf bestehen, daß gegen Grenzlein ein Haftbefehl ausgestellt oder er aber aus dem Gefängnis entlassen würde. Bei dem Sündenkonto Grenzleins konnte es nicht schwer sein, vom Ermittlungsrichter die legale Grundlage zu erhalten, aber wenn der Haftbefehl ausgestellt war, setzten sich automatisch die Mühlen der Justiz in Bewegung, und dann wäre es sicher schwierig, mit dem Revoluzzer zu einem echten – oder auch falschen – Arrangement zu kommen. Natürlich konnten wir, um ihn seinem Anwalt zu entziehen, einen der üblichen Tricks anwenden und ihn von einer Haftanstalt in die andere verlegen, so daß sich Arrestant und Beistand eine Weile lang verfehlen würden wie die berühmten Königskinder.

      Schließlich würden wir einen Ausbruch in Wildwestmanier inszenieren und dann ganz klein beigeben. Leider wäre nicht zu vermeiden, daß die deutsche Polizei mit Vorwürfen überschüttet würde, weil wegen ihrer Nachlässigkeit ein langgesuchter Extremist getürmt sei.

      Der Witz bei der Sache bliebe nur, daß ich den Geflüchteten darstellen würde – während Grenzlein auf Nummer sicher bliebe, gehütet wie ein Augapfel, und zwar aus gutem Grund. Sollte er auftauchen, während ich im nahöstlichen Operationsraum arbeitete, wäre mein Leben nicht mehr wert als der Schuß Pulver, der es auslöschen würde.

      Bisher war er meine schlechte Kopie – in der Stunde X würde er zwangsläufig zum Pseudo-Original. Jetzt schon wußte ich ein bißchen mehr über sein Leben, als daß er fast vegetarisch aß, mit Vorliebe Mehlspeisen, und daß die Schürzenjagd sein Lieblingssport war. Zu meinem Glück fast nur Eintagsfliegen in Zweibettzimmern, denn je länger ihn seine Gespielinnen kannten, desto geringer wurden meine Chancen, von ihnen als »Grenzlein« akzeptiert zu werden.

      Unsere Organisation hatte das System 777 ausgeheckt und war bei dieser runden Zahl geblieben, obwohl zur Erstausstattung mit einer fremden Persönlichkeit weit über 800 Antworten gehörten. Eine solchermaßen gestrickte Identität hielt nach unseren Erfahrungen auch einem fachkundigen Kreuzverhör durch die Polizei eine Nacht lang stand, aber spätestens im Morgengrauen wäre die angenommene Legende zerfleddert.

      Trotz Zeitnot hatten wir extrem-gründlich vorzugehen und Grenzleins Vergangenheit aus winzigen Mosaiksteinchen zusammenzustellen. Wir mußten mehr wissen, als den Markennamen der Uhr, die ihm Tante Emma vor 17 Jahren zur Konfirmation geschenkt hatte, oder den Namen des Kinderarztes, von dem seinerzeit die Masern behandelt worden waren. Der erste Kuß gehörte genauso in dieses Sittengemälde wie die letzte Liebesnacht.

      Wir setzten mehr als ein Dutzend Leute auf mein anderes Ich an. Kindheit, Elternhaus, Familienleben wurden ebenso durchforstet wie Pubertätsschwierigkeiten und Studienmilieu. Ohne es zu merken, arbeiteten Nachbarn, Lehrer, Kommilitonen und Freundinnen für meinen Schutz.

      Bevor ich mich für das Gespräch mit Grenzlein einließ – natürlich äußerlich so verändert, daß ihm unsere Ähnlichkeit nicht auffallen konnte –, mußte ich mich durch einen ganzen Berg von Informationen hindurcharbeiten.

      Manchmal haderte ich mit der Natur, daß sie einem solchen Burschen meine Gesichtszüge geliehen hatte. Zwei Tage lang stand Grenzlein tatsächlich eine Art Schweigehaft durch. Wir ließen ihn im eigenen Saft schmoren und knöpften uns dafür um so energischer den Kurier aus Beirut vor, der die Spezialabteilung des Bundeskriminalamtes auf Grenzleins Fährte gebracht hatte und übrigens ein Jordanier war.

      Der Name, den er uns nannte, war mit Sicherheit falsch, aber wir quetschten mit der Zeit aus ihm heraus, daß er zu einer palästinensischen Terrororganisation gehörte, die sich »Arabiens Speerspitze« nannte und wohl eine Art Konkurrenz zum »Schwarzen September« darstellte. Er hatte fast zwei Jahre in Deutschland als Gastarbeiter gearbeitet und dabei Grenzlein kennengelernt, war dann anschließend aufgefallen und abgeschoben worden. Mit einem falschen Paß illegal eingereist, hatte er den Befehl, den Kontaktmann Lothar Grenzlein in seinem Schlupfwinkel aufzusuchen und ihm das Stichwort »Rabîs« zu nennen.

      Rabîs heißt zu deutsch Frühling, und wir konnten uns denken, daß es der Codename für eine neuerliche Schweinerei war, wie zum Beispiel Flugzeugentführung oder Olympia-Massaker, wobei Grenzlein wohl auf deutschem Boden als Lotse verwandt werden sollte.

      Er war womöglich zweite Wahl, denn den Zielfahndern des Bundeskriminalamts war es in den letzten Monaten gelungen, einige der gefährlichsten Anarchisten festzunehmen. Der Verhaftete gab mehr blumige Propaganda von sich als exakte Information, aber aus dem Schwulst konnten wir ein paar brauchbare Körnchen destillieren. Wir kamen zu der Ansicht, daß mehrere Kommandos der Untergrundgruppe »Arabiens Speerspitze« in Europa unterwegs waren, um schlagartig ihre Wahnsinnsaktionen zu starten.

      Zunächst einmal ging es darum, ein neuerliches Massaker und eine Erpressung größten Ausmaßes zu verhindern, und dabei bot sich die Chance, tief in die deutsche Terrorszene vorzustoßen, denn die Schätzchen vom Jordan waren mit Sicherheit auf deutsche Komplicen angewiesen, die womöglich den Plan ausgeheckt hatten. Das Schlimme an der Situation war ja, daß die Desperados längst weit besser international zusammenarbeiteten als ihre Verfolger, die von nationalen Vorschriften, Gesetzen und Rivalitäten aufgehalten wurden.

      Die Zeit für ein erstes Zusammentreffen mit Grenzlein war gekommen.

      Ich hatte mich mit ein paar Handgriffen so verändert, daß auf dem Gang des viereckigen Fuchsbaus – Organisationsintern »Quadrogon« genannt – Diana an mir vorbeilief, ohne mich zu erkennen.

      »Ich komme aus Pullach«, stellte ich mich Grenzlein vor. »Ich heiße Meier, oder auch Müller. Oder Huber. Ganz wie Sie wollen – suchen Sie sich das Passende aus.«

      »Und wie wollen Sie sich als bevollmächtigter Unterhändler ausweisen?« fragte er mild.

      »Hiermit«, erwiderte ich und öffnete meine Aktentasche.

      Ganze Bündel banderolierter Hundert-Mark-Scheine sprangen ihm förmlich in das Gesicht.

      Seine Augen wurden rund wie Fünf-Mark-Stücke.

      »Schön«, sagte er. »Dieser Ausweis zählt bei mir.«

      Ich klappte die Mappe wieder zu, stellte sie neben mich.

      »Sie sitzen ganz schön in der Tinte, Grenzlein«, begann ich ihn zu kneten. »Und wir können Sie erst noch richtig hineinreiten«, setzte ich den Hebel an. »Wir könnten Sie aber – unter Umständen – auch hier herausholen.«

      »Lassen Sie doch diese Kindereien«, versetzte er großartig. »Wenn Sie nicht so scharf auf mich wären, hätten Sie doch nur hundert Mark in der Tasche –«

      »Zweihundert«, erwiderte ich. »Und was kosten Sie?«

      »Straffreiheit«,


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